Journal Samstag, 15. März 2025 – Daheim-Gefühle

Sonntag, 16. März 2025 um 8:27

Guter Nachtschlaf, lediglich beeinträchtigt von Beinschmerzen rechts (WTF?); ich kürzte ihn ab, als ich in der letzten Schlafphase wieder den Angstpegel steigen fühlte und Arbeitsprobleme ihre Tentakeln durch das Gesamtsystem fingerten – ich nehme ihnen das übel.

Aufstehen zu einem dunkelgrauen Tag. Der Übernachtungsgast war sehr früh schon wieder auf dem Sprung, ich bloggte, räumte, trank Tee wie sonst auch an Samstagen. Abweichung vom Standardsamstag war die Einladung zu einer Geburtstagsfeier in bei Ingolstadt am Abend, davor hatte ich aber noch genügend Zeit für eine Schwimmrunde. Unruhig machte mich das Warten auf das Geburtstagsgeschenk für den Abend: Am Dienstag bestellt mit angekündigten 1-3 Tagen Lieferzeit war die Zustellung am Freitag kurzfristig widerrufen worden – ich befürchtete, mit leeren Händen dazustehen.

Zum Olympiabad nahm ich die U-Bahn, das Draußen schreckte mich mit Unwirtlichkeit und Kälte ab. Das Schwimmbecken war erstmal sehr voll, doch nach elf und meinen ersten 1.000 Metern wurde es lichter (diesen Rhythmus kenne ich bereits). Endlich mal wieder befriedigender Sport: Ich schwamm bis zum letzten meiner 3.000 Meter kraftvoll und mit Freude.

Geometrisches Muster aus den hellgrünen Glaswänden von Umkleidekabinen hintereinander, hellgelb gekachelter Boden, gegenüber eine orange Wand, darüber weiße Decke mit viereckigen Platten und eingelassenen viereckigen Leuchten in derselben Größe

Dieser Anblick des Umkleidebereichs Olympiabad ist ein Neuzugang in meiner Sammlung “Heimat” = was löst bei mir Daheim-Gefühle aus. Zum ersten Mal wurde ich mir dieses Auslösens vor vielen Jahren beim
1. Anblick von Hopfengärten (in der Holledau) durchs Zugfenster
bewusst (da war ich aber schon über 50). Dazu kamen seither:
2. Mittagsläuten
3. Der Duft frisch gebackenen Sauerteigbrots, ob in einer Bäckerei oder der eignenen Wohnung

Ich bin daheim, wo Schwimmbäder so aussehen, wo man aus dem Zugfenster Hopfengärten sieht, wo um 12 Uhr Kirchenglocken lange läuten, wo es genau so nach frischem Brot riecht (jeweils inlusive aller Umstände, die dazu nötig sind).

Ich glaube, diese Auslöser verbindet ihre Überzeitlichkeit.

Frühstück um halb zwei: Apfel, zwei Scheiben selbst gebackenes Roggenmischbrot mit Butter und Marmelade.

Kurz vor drei erlöste mich das Klingeln an der Tür: Der Packerl-Bote brachte das Geburtstagsgeschenk, ich wickelte es endlich in Geschenkpapier mit Schleife.

Nachmittag mit Zeitung- und Internetlesen. Schließlich machten Herr Kaltmamsell und ich uns mit Übernachtungsgepäck (am Sonntag wird ein weiterer Geburtstag in Ingolstadt gefeiert) auf den Weg zu Bahnhof. Ereignislose Fahrt, in Ingolstadt Nord holten meine Eltern uns ab und fuhren uns zur Party in bei Ingolstadt.

Großes Hallo, viele schöne Begegnungen, eine Rotweinentdeckung, Lauch-Käse-Suppe, rohes Gemüse mit Dips, Schokolade.

Aufsicht auf die Knie und Schuhe von drei sitzenden Menschen

Party-Situation.

Da sowohl Herr Kaltmamsell als auch ich sehr müde waren, nutzten wir die Gelegenheit, schon weit vor Mitternacht mit meinen Eltern zum Elternhaus zu fahren, wo wir übernachteten.

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Zum fünftem Mal jährt sich der Beginn der Corona-Pandemie, die Medien sind voll davon. Doch die Berichterstattung hinterlässt bei mir den Eindruck, es hätte ausschließlich Unannehmlichkeiten unterschiedlicher Schwere durch die Schutzmaßnahmen gegeben: Vergeblich warte ich auch nur auf eine Gedenkminute für die vielen, vielen Tausenden Toten – geschweige denn auf ein Denkmal für sie.

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Klimabilanz in Deutschland: Ausgerechnet der Wald fällt uns in den Rücken (wundert mich nach den erschreckenden Anblicken bei meinem Wanderurlaub im Frankenwald nicht).
“Vom Klimahelfer zum neuen Problembereich”.

Die Bundeswaldinventur im vergangenen Jahr hat ergeben, dass der Wald seit 2018 zum ersten Mal seit Jahrzehnten mehr CO2 abgibt, als er in der gleichen Zeit einlagern kann.

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Die Schriftstellerin Jasmin Schreiber (@lavievagabonde) erinnerte sich vor zwei Jahren an ihre Schreib-Anfänge in einer patriarchischen Literarturwelt:
“Schreiben wie ein Mann”.

Der Satz “du bist nicht wie andere Frauen” ist kein nettes Kompliment, sondern wie Gift, weil er impliziert, dass von der Gesellschaft als “weiblich” zugeordnete Attribute negativ sind, weil er die Unterdrückung dieser Teile unserer Persönlichkeit fördert und Frauen gegeneinander ausspielt.

Der Satz suggeriert, dass es etwas Positives ist, nicht wie “andere Frauen” zu sein, denn als weiblich zugeordnete Eigenschaften werden oft mit negativen Konnotationen in Verbindung gebracht, wie z. B. übermäßig sensibel, schwach, weinerlich, zu emotional, zu pingelig, zu gestresst, zu unentspannt, dramatisch oder “crazy” zu sein. Dieses Framing ermutigt Frauen (aber auch Männer!) dazu, diese Eigenschaften zu unterdrücken, um eben nicht so nervig und simpel wie “andere Frauen” zu sein.

(Aber: Es macht mich so müde, dass Frauen, die so viel jünger sind als ich, dass sie Kathrin Passig ALS SCHULLEKTÜRE gelesen haben – und nicht in ihrem natürlichen Habitat online kurz nach geschrieben -, vor exakt derselben gesellschaftlichen Frauenfeindlichkeit stehen wie ich selbst Jahrzehnte zuvor.)

§

Kolleg*innen, die weit außerhalb Münchens und so ländlich leben, dass “es ohne Auto wirklich nicht geht”, schwärmen allesamt regelmäßig und konsequent davon. Gerne in der Variante, wie schrecklich der jüngste Stadtbesuch gewesen sei, nein, da könnten sie nicht leben, wie schön sie es daheim hätten. Umgekehrt höre ich eigentlich nie Geschichten von schwärmenden Stadtbewohner*innen. Und so frage ich mich: Warum bin eigentlich ich die mit der exorbitanten Miete und sind es nicht die auf dem wunderbaren Land?

Wie ich draufkomme: Frauke Suhr schreibt bei Krautreporter von einer ganz anderen Welt.
“Wer als Mutter aus der Großstadt rauszieht, verliert”.

Von dem Umzug erhoffte ich mir auch Entschleunigung: Am Vormittag für die Redaktion arbeiten, am Nachmittag mit den Kindern im Garten spielen. Mehr Platz haben, mehr Hilfe von den Großeltern. Vielleicht sogar ein Arbeitszimmer für mich allein. Trotzdem mussten wir am Ende viel für unser neues Leben aufgeben. Vor allem ich, als Mutter.

Den Artikel schenke ich Ihnen.

die Kaltmamsell

2 Kommentare zu „Journal Samstag, 15. März 2025 – Daheim-Gefühle“

  1. Jürgen Plieninger meint:

    ******************KOMMENTAROMAT**********************

    Gerne gelesen

    *******************************************************

  2. Sabine B. meint:

    Danke für Ihre Worte. Ich warte hier in Kanada auch vergeblich auf die Gedenkminute, das Denkmal für die Toten der Pandemie. Da ist nichts.

Beifall spenden: (Unterlassen Sie bitte Gesundheitstipps. Ich werde sonst sehr böse.)

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