Journal Mittwoch, 9. April 2025 – Grußbekanntschaft
Donnerstag, 10. April 2025 um 6:30“Wir kennen uns nur vom Grüßen” – das habe ich schon lang nicht mehr gehört. Doch solche Grußbekanntschaften habe ich, und sie sind mir als solche sehr bewusst. Es handelt sich um Menschen, die zu meinem Leben gehören und ich zu ihrem, von denen ich aber nicht mehr weiß als ihr Äußeres und ihr Auftreten mir gegenüber. Erst diese Woche kam eine dazu – genauer: dazu kam der Gruß, der eine Bekanntschaft vom Sehen (“Wir kennen uns nur vom Sehen”) in eine Grußbekanntschaft verwandelte. Dieser erste Gruß transportierte im Grunde die Information, dass das Wahrnehmen der regelmäßigen Begegnung beidseitig war.
Möglich macht diese Grußbekanntschaften mein täglicher Arbeitsweg zu Fuß: Wenn man oft um fast dieselbe Zeit denselben Weg geht, kreuzt sich der halt mit dem von Menschen, die einen ähnlichem Rhythmus haben.
Meine derzeit älteste Grußbekanntschaft ist ein Mann, der mir morgens unweit meiner Wohnung entgegen kommt. Wir begannen schon bald, einander bei Erkennen anzulächeln, irgendwann wurde ein Gruß daraus (von mir “Guten Morgen” von ihm eher “Hallo”). Er ist nicht nur die älteste, sondern zeichnet sich durch eine Besonderheit aus: Wir begegnen einander auch auf dem Heimweg an ähnlicher Stelle, wenn auch deutlich seltener – nach Feierabend variiert mein Weg durch Besorgungen und Erledigungen stark.
Von einer dieser Grußbekanntschaften erfuhr ich sogar mehr: Wir liefen einander nämlich eines Tages an einer völlig andere Straße entgegen. In diesem Fall mit besonders erfreutem Gruß, wir hatten uns schon länger nicht mehr gesehen. Und wie es halt in diesen Sekundenbruchteilen ist mit nonverbalem Informationsaustausch: Wir registrierten beide den besonders erfreuten Gruß der anderen, uns wurde beiden daran bewusst, dass wir einander länger nicht gesehen hatten – und da blieb diese Frau stehen und erzählte, warum (Arbeitsplatzwechsel, anderer Arbeitsweg). Herzlicher Abschiedsgruß.
Eine jahrelange Sehbekanntschaft verweigert sich der Anerkennung des gegenseitigen Wahrnehmens durch Gruß: Unsere Wege kreuzen sich seit ca. zwei Jahren fast jeden Werktagmorgen auf einem Abschnitt von höchstens 200 Metern. Doch sie fängt nie meinen Blick auf, schaut konsequent an mir vorbei. Mittlerweile respektiere ich das und sehe sie ebenfalls nicht mehr an.
Der Neuzugang dieser Woche: Eine Frau mit markantem Styling-Merkmal, die ich seit Jahren alle paar Tage mit Kind sehe – zunächst saß das Kind in einem Fahrradanhänger als fast noch Baby, jetzt müsste es etwa sieben sein. Ich kreuze derzeit fast jeden Morgen an selber Stelle eine Gruppe Mütter, Väter, Kinder, die aufeinander für gemeinsamen Schulweg warten, zu der auch sie gehört – und aus der sie mich seit ein paar Begegnungen grüßt. Mir tut richtig leid, dass ich sehr wahrscheinlich schon bald das weitere Großwerden des Kinds nicht mehr mitbekomme – weil es auf eine entferntere Schule gehen wird.
Falls das nicht indirekt aus meinen Zeilen hervorgegangen ist: Diese Grußbekanntschaften machen mich froh, die beschriebenen sind keineswegs alle. Das Wiedererkennen, das Füllen der zahllosen Lücken, die solch umfassendes Nichtwissen bietet, und die Freude über die offensichtliche Freude, die Begegnung und Gruß dem oder der anderen bereiten.1
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Wirklich gut geschlafen, nur zu früh aufgewacht – umgehend an einen beruflichen Kontakt gedacht, der für einen Termin in München wegen BAUMA in einem Hotel am Ammersee hatte übernachten müssen und morgens sehr früh eine Stunde mit Bus und S-Bahn anfahren musste. (Durch meinen Job bekomme ich zum ersten Mal mit, wie die Baumaschinenmesse BAUMA, die alle drei Jahre in München stattfindet, Hotelpreise in Höhen sogar über der Oktoberfestmarke schiebt.)
Bei Ankunft im Büro erwies sich: Hatte alles geklappt. Wetter weiterhin sonnig, der Morgen frostig kalt.
Den Vormittag verbrachte ich in einer vielköpfigen Präsenz-Besprechung. Mittagscappuccino schnell beim Nachbarn (der Himmel zog langsam zu), dann wuselte ich eine Runde am Schreibtisch.
Zu Mittag gab es zum einen einen Apfel, zum anderen hatte ich mir aus dem Grünkernschrot im Haus (ich mag Grünkern) einen süßen Brei gekocht und mit Joghurt vermischt – gut!
Dann weiter ChopChop. Um drei war ich durch mit Energie, aber noch nicht mit Arbeit, ab da wurde es sehr zäh.
Nach Feierabend steuerte ich eine Besorgung an: Im Forum Schwanthalerhöhe hatte Ende März ein Outlet-Laden des Wäsche-Herstellers Triumph aufgemacht, und beim Vorbeigehen hatte ich gesehen, dass sie auch Bikinis anboten – ich wollte nach einem Schwimm-tauglichen suchen.
Monsterchen an der Schießstättstraße.
Genau das tat ich und fand auch einen solchen Bikini, mit den 20 Prozent Eröffnungsrabatt auf den ohnehin reduzierten Outlet-Preis ein Schnäppchen.
Zu Hause holte ich Herrn Kaltmamsell nur ab: Abendessen sollte es auswärts geben. Wir entschieden uns für eine Trattoria an der Schwanthalerstraße (Bahnhofsviertel-Plüsch und Touri-Ausrichtung, also richtig authentisch) und aßen dort Pinsa.
War ok (meine mit Ruccola, Rote-Bete-Würfeln, Räucherlachs, Meerrettich-Frischkäse), die hausgemachte Limonade Passionsfrucht-Zitrone schmeckte besonders gut. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite im Sonnenlicht zu sehen: Das Deutsche Theater.
Daheim Häuslichkeiten, Tagesschau-Bericht über den gestern zwischen CDU/CSU und SPD geschlossenen Koalitionsvertrag (bin schon sehr gespannt auf die professionelle Auswertung meiner Kolleg*innen), Nachtisch Schokolade.
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Durch ein Like unter diesem Foto entdeckt: Den instagram-Kanal Ladiesinproperwhitetie – also Damen im Frack, mit Betonung auf proper. Der Like ehrt mich. Das nächste Mal dann mit Handschuhen, Schal und Zylinder, das Cape für draußen besitze ich ja bereits.
- Ich merke aber, dass ich mich scheue, weitere Details der Begnungen und der Personen zu schildern, weil sie dadurch identifzierbar werden könnten – sie aber alle keinen Vertrag mit vorspeisenplatte.de unterschrieben haben, wie es Joël so treffend ausdrückte. [↩]
10 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 9. April 2025 – Grußbekanntschaft“
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10. April 2025 um 8:14
Mir geht es mit diesen jahrelangen Begegnungen mit Grußbekanntschaften wie Ihnen. Sie machen für mich Zuhausefühlen im eigenen Kiez aus. Das habe ich deutlich gemerkt, als ich letztes Jahr nach 17 Jahren in einen anderen Teil des Bezirks umgezogen bin. Noch immer denke ich an frühere langjährige Grußbekanntschaften zurück und freue mich über die neuen, die am jetzigen Wohnort langsam entstehen. Sie haben das wirklich sehr schön beschrieben, danke!
10. April 2025 um 9:52
Meine älteste Freundin begann in Rente ihre Grußbekanntschaften (was für ein schönes Wort) zu echten Bekanntschaften und vereinzelt sogar Freundschaften werden zu lassen. Sicher nichts für Menschen mit ausgeprägtem Rückzugsbedürfnis, für sie jedoch lebensnotwendig, da sie durch Sterblichkeit und anderes sonst vereinsamt wäre.
10. April 2025 um 10:52
Ich unterhielt mich kürzlich mit Freunden über Grußbekanntschaften. Schon konnte ich Hintergrundinfos für eine Grussbekanntschaft aus der Bahn schaffen…..eine ehemalige Arbeitskollegin erzählte von einer freundlichen Person, die regelmäßig an meiner neuen Arbeitsstelle aussteigt. Trotz der viel frequentierten Bahnhaltestelle, wusste ich direkt, wer gemeint war!
10. April 2025 um 12:11
Grußbekanntschaften sind genau das was im Lockdown gefehlt hatte.
10. April 2025 um 12:19
Und dann gibt es eben diese “…. schaut konsequent an mir vorbei …”: Wir kennen uns vom Weggucken.
10. April 2025 um 13:48
Ich gehe jeden Morgen mit dem Hund in den Wald und muss die ersten ca 300 m durch die Innenstadt gehen. Dabei treffe ich seit Jahren Grußbekanntschaften auf dem Weg zur Arbeit. Da ich mit einem besonders wuscheligen, freundlichen Hund unterwegs bin, bekommen wir von vielen zusätzlich ein strahlendes Lächeln. Eine Frau hat mir einmal erzählt, dass sie sich jeden Morgen auf den Hund freut und dass wir eine Art kurze Morgentherapie sind.
10. April 2025 um 13:48
Ich gehe jeden Morgen mit dem Hund in den Wald und muss die ersten ca 300 m durch die Innenstadt gehen. Dabei treffe ich seit Jahren Grußbekanntschaften auf dem Weg zur Arbeit. Da ich mit einem besonders wuscheligen, freundlichen Hund unterwegs bin, bekommen wir von vielen zusätzlich ein strahlendes Lächeln. Eine Frau hat mir einmal erzählt, dass sie sich jeden Morgen auf den Hund freut und dass wir eine Art kurze Morgentherapie sind.
10. April 2025 um 17:25
Grussbekanntschaften gibt es auf dem Land weniger. Man kennt fast alle im Dorf und spricht auch. Dafür ist dann im Fitnessstudio mehr los. Ich hab da Leute, neben denen ich seit fast zwanzig Jahren schwitze, die nett und freundlich grüssen. Und ich freu mich richtig, wenn sie nach Wochen wieder da sind. Ich weiß nicht, wie sie heißen und wo sie arbeiten. Wir haben einfach nur die selben Zeiten.
Und Herr Kaltmamsell freut sich am Leben, wenn ich das beseelte Lächeln richtig deute.
10. April 2025 um 19:20
Deshalb gehe ich so gerne zu Fuß – ich kann Menschen grüßen und mit manchen sogar kurz ins Gespräch kommen.
12. April 2025 um 13:46
Seit wir einen Hund in der WG haben steigt die Zahl der Gruß- und vom Sehen-Bekanntschaften exponentiell.