Mein Wochenende vorm Fernseher

Montag, 5. September 2005 um 10:51

“We wanted soldiers, helicopters, food and water,” said Denise Bottcher, press secretary for Gov. Kathleen Babineaux Blanco of Louisiana. “They wanted to negotiate an organizational chart.”

The New York Times

Das ganze Wochenende lief bei mir CNN, und ich verfolgte mit, wie sich eine Weltmacht deklassierte. Zu den eher verhaltenen Vorwürfen gehörte, die betroffenen Bundesstaaten hätten besser vor einer solchen Naturkatastrophe geschützt werden müssen – es schien auch den Kritikern klar, dass es völligen Schutz nie geben kann. (Zudem habe ich den Verdacht, dass sich zu jedem Vorfall irgend ein Experte finden lässt, der das schon immer prophezeit hat.)

Es war der Umgang mit den Folgen der Katastrophe, der selbst die sonst so schablonenhaft berichtenden CNN-Korrespondenten sichtlich empörte: „Das sieht hier aus wie in einem afrikanischen Flüchtlingslager“, kommentierte einer sinngemäß, „nur dass die Hilfstruppen fehlen.“ Ein anderer berichtete über ein kleines, öffentliches Krankenhaus, in dem Ärzte und Pflegekräfte ohne Strom und sauberes Wasser bei Kerzenlicht Notfälle versorgten und beherbergten. Der CNN-Mann hakte einer Nebenbemerkung des interviewten Arztes nach: „Wie bitte? Nebenan steht eine private Klinik, aus der Patienten und Personal bereits gestern systematisch evakuiert wurden?“ Der Arzt war zu erschöpft für Empörung.

Ja, die Bewohner der jetzt überfluteten Gebiete seien gewarnt worden und aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. Nur dass damit die Vorkehrungen beendet waren: New Orleans ist eine erbärmlich arme Stadt, und Tausende hatten keine Fahrzeuge für die Flucht.

Oder der Anblick des einzelnen Baggerchens, das fünf Tage nach dem Deichbruch das Loch flicken sollte. Dahinter ein erster Ponton, auf dem zwei Arbeiter weiteres Gerät bringen sollten. Erst gestern sah die Baustelle so emsig und belebt aus, wie man es bald nach dem Bruch erwartet hätte.

Oder die verstreuten lokalen Einsatztruppen, die beteuerten, dass sie umgehend einsatzbereit gewesen wären – wenn jemand sie angefordert hätte.

Oder die örtlichen Blogs (bei Mathias Heil eine gute Zusammenstellung), die versuchten, Bürgerhilfe zu koordinieren – was ohne Informationen über Verbleib und Bedürfnisse der Opfer nicht ging.

Jaja, ich weiß durchaus, dass beim Oderhochwasser vor drei Jahren die Einsatzkräfte teilweise so haufenweise und unkoordiniert aus den verschiedenen Landkreisen zusammenkamen, dass sie die Straßen für Notfallfahrzeuge blockierten (manche Landräte würden sich tendenziell lieber den kleinen Finger abschneiden als mit dem Kollegen von der anderen Partei zu telefonieren und sich abzustimmen). Aber solch eine Ignoranz und Lässigkeit von oben hätte es nicht gegeben.

Mein persönlicher Verdacht (jetzt werde ich ja doch noch politisch): Die Katastrophenopfer waren zunächst nicht besonders interessant, weil unter ihnen kaum Wähler sind. Ich kenne zwar die konkreten Bürgerrechte in Louisiana nicht, doch auch dort muss man sich für Wahlen anmelden – was die armen und ungebildeten Schichten kaum tun. Und bei Straffälligkeit ist dieses Bürgerrecht ohnehin schnell mal wieder weg.

die Kaltmamsell

14 Kommentare zu „Mein Wochenende vorm Fernseher“

  1. Anke meint:

    Zum Thema „Viele hatten keine Fahrzeuge zur Fluch“: mich hat vor einigen Tagen ein Bild in der Tagesschau ziemlich wütend gemacht. Da sah man ein überflutetes Busdepot. Dutzende leere Busse, die im Wasser rumdümpeln. Die hätte man auch schön vor dem Sturm durch die Straßen fahren und Leute einsammeln lassen können.

  2. Lila meint:

    Aaaaber, das waren doch SCHULbusse. Um die zweckentfremdet einsetzen zu dürfen, braucht man bestimmt erstmal eine Genehmigung. Oder ein schönes Organigramm…

  3. Plattenfan meint:

    Es ist wirklich erschreckend, wie sehr sich der Eindruck aufdrängt, dass es sobald es um Schwarze geht, nicht mehr so wichtig ist… Schon traurig, dass Zustände so esklieren müssen, um tatsächlich unbrokratischere Hilfe auf den Plan zu rufen.

    Und da wundern sich die Amis jedesmal, dass ich, wenn ich gefragt werde, ob ich nicht als Schwarze lieber in den USA als in Deutschland leben würde, verneine.

  4. Peter Fisch meint:

    Erstaunlich erschreckend fand ich, dass niemand vom “Homeland Security” Ministerium mit einem Dammbruch gerechnet hätte und dies daher nicht in den Katastrophenplänen berücksichtigt worden sei.

  5. a.more.s meint:

    …mein persönlicher Verdacht (jetzt werde ich ja doch noch politisch): Die Katastrophenopfer waren zunächst nicht besonders interessant, weil unter ihnen kaum Wähler sind.
    Ihren immer wieder bewiesenen Scharfsinn in Ehren, verehrte Frau Kaltmamsell – doch meinten Sie vielleicht nicht eher “polemisch” denn “politisch”?! Dann wäre die nachfolgend getätigte Aussage etwas weniger – Sie gestatten – haarsträubend.
    Hier in Bern ging es nicht um Mister Bush, um Arme oder Reiche, Schwarze oder Weisse, oder gar um bestimmte (Nicht-)Wählerschichten. Der Tenor jedoch ist hüben wie drüben durchaus vergleichbar: „die Bewohner des Berner Mattequartiers waren schon immer weniger wichtig und etwas sonderbarer als die übrigen Stadtbewohner“, daher die nur zögerlich anlaufende Hilfe – dann die Unfähigkeit der Behörden, das Versagen dieser und jener Personen, die fehlende Dringlichkeit, das Chaos in der Koordination der Hilfeleistungen, die Schuldzuweisungen…
    Vielleicht vergessen wir Menschen in unserem Machbarkeitswahn, dass die Naturgewalten trotz einer gewissen Berechenbarkeit mit steter, wiederkehrender Regelmässigkeit (selbst im hochwassererprobten Deutschland) mit Varianten des blanken Wahnsinns aufwarten können, von denen man sich vorher absolut keine Vorstellung gemacht hatte. Alle Katastrophenszenarien sind Makulatur, sobald ein Ereignis sich nicht so entwickelt, wie es der Mensch vorgesehen oder für möglich gehalten hat.

  6. die Kaltmamsell meint:

    Sehen Sie, Herr a.more.s: Auf der Basis der Informationen, die Sie über die Vorfälle in den amerikansichen Südstaaten haben, folgern sie, dass die Rettung gut lief. Auf der Basis der Informationen, die ich habe, folgere ich, dass selbst die einfachsten Schritte – wenn überhaupt – dilettantisch und sträflich schlecht verliefen.

  7. a.more.s meint:

    Ich sehe, dass ich mich wohl nicht habe verständlich machen können. Aus den Informationen, die ich habe – und die sich wohl grundsätzlich nicht von denjenigen unterscheiden, über welche Sie verfügen – lässt sich auf gar keinen Fall folgern, dass die Rettungsaktionen gut verliefen. Sehr, sehr weit entfernt von “gut” – da sind wir uns durchaus einig.

  8. Lila meint:

    Ich glaube, wir werden uns mit Urteilen zurückhalten müssen. Ich habe in den letzten Tagen so viel Informationen zu mir genommen, so viele Meinungen hüben und drüben, daß ich vermute, niemand kann das Ausmaß der Katastrophe, der Fahrlässigkeit, der Schlamperei, aber auch der funktionierenden Hilfe einschätzen. Es ist ja nicht nur New Orleans betroffen, sondern ein rieisiges Gebiet, für das sich niemand interessiert, weil es nicht so malerisch und berühmt ist wie New Orleans.

    Soweit ich Clintons Andeutungen verstanden habe, werden die USA um einen Aufklärungsausschuß Katrina nicht herumkommen. Und dann werden in monatelanger Sichtung die Fakten ausgewertet. Dann werden wir vielleicht besser überblicken können, was vernünftiger Verzicht auf Maximalismus in der Vorsorge war, und was fahrlässiger Leichtsinn. Und dann wird sich auch herausstellen, welche scharfe Kritik mutig und berechtigt war, und welche einfach Profilerungssucht und Schwarzen Peter-Weiterreichen. Das können wir heute und von hier aus nicht beurteilen, meine ich.

    Doch von Katrina mal abgesehen: die Abgründe der Armut, des sozialen Elends und der Hilflosigkeit, die sich da auftun, die sind erschütternd. Man wußte es, wie die soziale Schere dort klafft, aber es so ad oculos zu sehen… ist schlimm. Vielleicht, das möchte ich gern glauben, wacht ja doch jemand auf und sagt: wenn das der Preis ist, den wir für unserer Gesellschaftssystem zahlen, dann ist der Preis zu hoch. Dann vielleicht doch höhere Steuern und mehr staatliche Fürsorge. Und vielleicht gibt das ja doch manchem zu denken, dem die schrankenlose Freiheit des Individuums, ohne Abgeben und Abgaben an Schwächere, als Weg allen Heils erscheint.

    Bin ich denn meines Bruders Hüter? Nach den Bildern aus dem Katastrophengebiet ist die Antwort klar: wenn du es nicht schon bist, solltest du es sein.

  9. kid37 meint:

    Dort herrscht eben nicht nur das freie Spiel der Naturgewalten, sondern – wie immer wieder hervorgehoben – anscheinend auch in solchen Situationen das freie Spiel der Marktkräfte.
    Man wundert sich wirklich – und kann nur ein ums andere Mal wieder eine andere sehr amerikanische Eigenart bewundern: Die der privaten Solidarität/Charity. Leider reicht bei derartigen Dimensionen simple Nachbarschaftshilfe nicht aus.

  10. Metablogger meint:

    Völlig richtig, Lila und KID37 – und dann kommt noch der calvinistisch geprägte Sozialdarwinismus dazu: Wer Erfolg im Leben hat, wer emsig ist und Vermögen anhäuft, ist moralisch gut. Und die schwarzen Loser (häufig katholisch) in der Enklave des Missisipi-Deltas haben die Strafe Gottes verdient. Wer sich nicht selbst helfen kann, kommt eben unter die Räder.

  11. Lila meint:

    Lieber Metablogger, an den konfessionellen Aspekt hatte ich noch nicht gedacht, weil ich bei USA immer automatisch an Baptisten und Methodisten denke. Allerdings muß in einer Gegend, die sehr französisch und spanisch beeinflußt ist, der Katholikenanteil höher liegen. Bei Katholiken in den USA fallen mir nämlich als erstes Iren und Italiener ein… verflixte Stereotypendenkerei… hast Du da nähere Informationen zu?

  12. Metablogger meint:

    Ja, heute in Spiegel-online: http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,373425,00.html

  13. a.more.s meint:

    Ich würd’ dann mal zwischendurch diesen lesenswerten Artikel [url=http://www.sciencemag.org/cgi/content/full/309/5741/1656]aus dem Fachmagazin SCIENCE[/url] empfehlen (am 09.09.2005 in deutscher Übersetzung in der SZ erschienen).

  14. a.more.s meint:

    Entschuldigung – wollte den Link direkter setzen – vielleicht so?
    http://www.sciencemag.org/cgi/content/full/309/5741/1656

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