Journal Freitag, 6. September 2024 – Von der Anstrengung, mein Geld loszuwerden

Samstag, 7. September 2024 um 8:24

Dank Ohrstöpseln tief und gut geschlafen. Draußen brach der angekündigte Regentag an, die geplante weiße Jeans ließ ich lieber im Schrank (aufspritzender Straßendreck beim Gehen erzeugt unauswaschbare Flecken). Aber: Guter Sommer, ich habe alle meine Sommerkleidung mindestens einmal getragen.

Für meinen Weg in die Arbeit blieb der Regenschirm dann doch geschlossen, aus dem düstergrauen Himmel fiel kein Regen mehr.

Verregnete Straße mit Altbauten, im Hintergrund ein Backstein-Kirchturm

Emsiger Arbeitsvormittag, die Vollzughindernisse des Vortags waren über Nacht verschwunden. Die Glücksgefühle nach erfolgreicher Erfüllung dieses Auftrags führten aber dazu, dass ich mir ein wenig vorkam wie Wauzi, der einen Ball apportiert hat, JÄPP JÄPP, *schwanzwedel*.

Für meinen Mittagscappuccino ging ich raus ins Westend, mit kurzen Ärmeln war mir fast zu frisch. Zurück am Schreibtisch noch eine Runde berufliche Reise-Orga, dann gab’s Mango mit Sojajoghurt. (Einmerker: Mangos künftig nicht bis zur Marmeladigkeit reifen lassen, mit etwas Säure mag ich sie lieber.)

Anstrengender Nachmittag, während es draußen sonnig wurde. Pünktlicher Feierabend, weil ich Besorgungen vorhatte und dafür ins Stadtzentrum spazierte. In der Sonne war es bereits wieder einen Tick zu warm.

Unter anderem wollte ich Herrn Kaltmamsells Geburtstagsgeschenk in einem Fachgeschäft in der Innenstadt kaufen. Recherchiert hatte ich das Ding im Web, aber Sie wissen ja, dass ich als Innenstadt-Bewohnerin gerne die kleinen (und großen) Geschäfte durch Einkauf vor Ort am Leben erhalten möchte.

Nur dass vor diesem Geschäft eine Schlange stand, obwohl der Laden eher leer aussah. Und der Security-Mensch (!!! wir reden hier von einem Fachgeschäft für Alltagsgegenstände, keineswegs von einem Juwelier oder Louis Vuitton) mir auf entgeisterte Nachfrage erklärte, dass nur so viele Menschen reingelassen würden, wie beraten werden könnten, das mache die Beratung besser. Mittlerweile fassungslos fragte ich nach, dass ich mir die Produkte also auch nicht einfach ansehen dürfe? Nein.

Also vereinbarte ich innerlich mit dem Laden: Wenn ich kürzer in der Schlange warten müsste als ich brauchte, um den Artikel auf meinem Smartphone nochmal gründlich online zu recherchieren und zu kaufen, würde ich in den Laden gehen, sonst nicht. Ergebnis: Ich kaufte online, der Laden zog den Kürzeren und kann meinetwegen eingehen. Schaun wir mal, was danach reinkommt. Noch ein Burger-Laden? (Eine Frau in der Schlange erzählte, dass sie nur etwas umtauschen wolle und trotzdem nicht reingelassen werde.)

Obstkauf beim Eataly. Einen Schurwollpulli fürs Winterbüro gekauft, den ich online entdeckt hatte, in einem Laden, an dem ich dafür nicht Schlange stehen musste. (Ich komme weiterhin nicht darüber hinweg.) Und dann noch als Extra-Belohnung an einem Standl zwei Bund Dahlien.

Zu Hause traf ich dann doch recht verschwitzt ein. Blumen versorgt – und dabei überrascht nach draußen gehorcht: Im Nußbaumpark gab’s Alphornmusik der nicht-traditionellen Art. Herr Kaltmamsell recherchierte: Das war Marcel Engler, der “Loisach Marci”.

Endlich wieder Yoga-Gymnastik, wenn auch eine eher ungeliebte Schlussfolge von Adriennes 30-Tage-Programmen, zu denen sie nichts ansagt, sondern nur turnt. Ging aber gut, tat gut.

Fürs Abendessen hatte Herr Kaltmamsell schon am Donnerstag Rillettes hergestellt, wollte er schon lang mal machen. Aus Ernteanteil-Salätchen, -Gurke, -Tomaten machte ich Salat, verwendete dafür das Öl eines Glases eingelegter Antipasti-Artischocken (leider zu viel davon). Weiters gab es Fladenbrot vom Balkanbäcker und allgäuer Käse vom Markt. Als Aperitif rührte uns Herr Kaltmamsell Martini-Cocktail, zum Essen tranken wir den Chardonnay weg, den er für die Rillettes (Kalb übrigens) verwendet hatte.

Gedeckter Tisch mit den vorher beschriebenen Speisen und Getränken

Beschallung weiterhin von draußen interessanter Alphorn-Techno. Nachtisch Schokolade.

Im Bett neue Lektüre: Jenny Erpenbeck, Kairos. Ich hatte ihr Geschichte vom alten Kind sehr gemocht, auch hier ging es sprachlich eigenwillig los.

Vor zwei Wochen hatte ich in einem Fine-Dining-Restaurant reserviert, das ich gerne mal ausprobieren wollte und das bei vorherigen Versuchen immer schon ausgebucht war. Ein Lokal aus der Ohne-Sterne-Welt, deshalb war ich überrascht, dass ich mein Erstgeborenes verpfänden sowie mit Kreditkarten-Daten garantieren musste, dass ich echt, echt ehrlich kommen würde. Als also gestern, eine Woche vor Termin, eine Drängel-Mail kam, KÖNNEN WIR NOCH IRGENDWAS FÜR SIE TUN HABEN SIE SONDERWÜNSCHE KOMMEN SIE WIRKLICH????, musste ich pampig werden:
“Wir freuen uns auf den Abend bei Ihnen – und sind gespannt, welche weiteren Hürden wird überwinden müssen für die Reservierung und ihre tatsächlich Einlösung. Vielleicht dürfen wir nur über Ihre Türschwelle, wenn wir ein Rätsel lösen? Es wird so spannend!”

Die Gastro-Entwicklung in München, die uns schon Reservierungs-Druck für einfaches Kaffeetrinken und Zwei-Stunden-Slots für Abendessen eingebrockt hat, treibt weitere groteske Blüten.

§

Hanna Schygulla gehört zu den Menschen, die beim Altern immer mehr aussehen wie sie selbst, gestern ein Porträt im SZ-Magazin (€):
“Audienz bei einer Diva”.

die Kaltmamsell

9 Kommentare zu „Journal Freitag, 6. September 2024 – Von der Anstrengung, mein Geld loszuwerden“

  1. Maximilian Buddenbohm meint:

    Man kommt ohne Krückstockgefuchtel einfach nicht mehr durch den Alltag.

  2. Kuchenschwarte meint:

    es lag mir schon auf der Zunge, der hochgeschätzte Buddenbohm war schneller.

  3. Croco meint:

    Und wenn man dann ganz spontan vor so einem Lokal steht und um Einlass bittet, ist plötzlich ein Tisch frei, weil ja welche nicht gekommen sind. Trotz Drohmail.
    So ist es auch manchmal.

  4. die Kaltmamsell meint:

    Wahrscheinlich, Croco, rührt mein Groll daher, dass ich die zurverlässigste Reservierungseinhalterin bin die wo gibt (in all den Jahren aushäusigen Essens genau einmal abgesagt, das wegen Krankheit und mehrere Tage vor dem Termin), dass ich bitteschön möchte, dass Online-Reservierungsplattformen sich das merken und mich automatisch von Drängeleien ausnehmen. Denn dass hochpreisige Lokale unter No-shows leiden, weiß ich ja, und dass sie zu Gegenmaßnahmen greifen müssen.

  5. Neeva meint:

    Hm. So zusammen klingt es als ob sowohl Läden als auch Restaurants gerade die Taktik “treat them mean, keep them keen” ausprobieren.

  6. Trulla meint:

    Ich habe vor Jahrzehnten die Zahnarztpraxis gewechselt, weil diese mich, die
    noch n i e zuvor einen Termin versäumt hatte (und ohne neuen Termin kam man dort niemals raus), vor einer größeren Behandlung telefonisch mahnten, den Termin einzuhalten. Das hat mich besonders deshalb so empört, weil man als Patient dort i m m e r in einem übervollen Wartezimmer mindestens eine Stunde Wartezeit erdulden musste. Was keineswegs einer guten Arbeit geschuldet war, wie sich herausstellen sollte.

    Der neu gefundene Arzt hat gut repariert und konnte hervorragend terminieren.
    Bei Aufgabe seiner Praxis sorgte er für einen würdigen Nachfolger.

    Die Bitte um Tischreservierung kann ich nachvollziehen und die “Drängel”Mail empfinde ich eher als – diplomatisch – höflich formuliert. Total unverschämt allerdings ist die Forderung nach Kreditkartendaten, schließlich soll ein Vergnügen auch für Menschen möglich sein, die sich dieses per Sparstrumpf gönnen möchten.

  7. Olga meint:

    Ich bin auf Ihr Urteil zu Kairos gespannt — ich fand es unertraeglich und habe auf halber Strecke abgebrochen.
    Dazu muss man aber auch sagen: mir gehen Geschichten, wo Professoren mit Studentinnen (alles korrekt gegendert) mehr oder weniger einvernehmliche Verhaeltnisse haben, massiv auf den Geist. Das musste ich mit meinen Kommilitoninnen haeufig genug besprechen, das reicht mir bis zum Lebensende.

  8. Angela Bos meint:

    Bei uns in Utrecht muss man bei Reservierung besserer Restaurants gleich eine Anzahlung machen.
    Da hab ich erstmal gestaunt.

  9. Angela meint:

    Bei uns in Utrecht muss man bei Reservierung besserer Restaurants gleich eine Anzahlung machen.
    Da hab ich erstmal gestaunt.

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