Journal Freitag, 4. Oktober 2024 – München mit kaltem Regen und Oktoberfest-Armageddon

Samstag, 5. Oktober 2024 um 9:28

Nicht so lange geschlafen, wie ich gerne hätte, die erste Nacht zurück im eigenen Bett immer seltsam. Aber so hatte ich mehr vom Tag.

Der Arbeitsrechner, den ich zur Sicherheit mit heim genommen hatte (mögliche Pandemie, E-Mail-Check am letzten Urlaubstag), diente nicht sofort zur Überbrückung, bis ich das neue Ladekabel für mein MacBook für das in Mallorca vergessene hatte: Nach drei Wochen Pause musste er erstmal eine knappe Stunde Updates fahren. Währenddessen packte ich meinen Koffer aus, startete die erste Waschmaschine, verräumte den Koffer im Keller, machte es mir warm, schaute in den düsteren, kalten Schnürlregen vorm Fenster (greisliches Wetter bedeutete zumindest Aussicht auf weniger Oktoberfest-Radau).

Beim Kofferauspacken stellte ich fest, dass von den zwei einzigen Mitbringseln (für meine Arbeits-Vertretung, deren Job das nach der Umorganisation eigentlich nicht mehr gewesen wäre) eines trotz zahlreicher Sicherheitsmaßnahmen unbrauchbar war: Der Schraubdeckel des Glases Orangenmarmelade aus Sóller, fest eingewickelt in mehrere Teile Schmutzwäsche und in eine Plastiktüte, hatte sich geöffnet, die Flüssigkeit der Marmelade war ausgelaufen – wirklich ärgerlich. Bleibt nur noch ein lahmes Mitbringsel.

Schon während des Bloggens traf die Nachricht von Apple ein: Netzteil abholbereit.

Sehr gefreut hatte ich mich auf eine Schwimmrunde, dass ich dafür mit Schirm losziehen musste und die U-Bahn zum Olympiabad nehmen, schmerzte mich wenig. Das Schwimmen war dann leider eher anstrengend und vergnügungsarm, dann schmähte mich auch noch jemand, der in mich reingeschwommen war, ich hätte fast vorzeitig weinend das Becken verlassen.

Was mich zu Nachdenken über den Rat führte, sich verbale Attacken “nicht zu Herzen zu nehmen”. Geht das denn? Verletzung ist Verletzung: Auch wenn ich das Hängenbleiben am Tischeck ignoriere, bleibt davon ein schmerzender blauer Fleck. Auch wenn der Pöbler Unrecht hat, bleibt der Schmerz des Angriffs und der Demütigung.
I bruise easily

Auf der Heimfahrt stieg ich an der Münchner Freiheit aus, um in der Clemensstraße Espressobohnen-Nachschub zu besorgen.

Vor verregneten Altbaufassaden ein Brunnen mit Bronzefigur eine kurvigen Frau mit Krönchen

Mal wieder Freude über das Denkmal für Bally Prell – die Schönheitskönigin von Schneizlreuth, die im dahinter liegenden Haus gewohnt hat. Hinweis für Auswärtige: Auch in München gab es mal Zeiten von Volkskunst ohne Dirndl.

Espresso bekam ich nicht: Geschlossen wegen Urlaub (Oktoberfestfluchtverdacht).

Am Marienplatz holte ich im Apple Store mein Netzteil ab: Er war gepackt voll, und zu meiner Verdutzung fand ich mich in einer 30-köpfigen Abhol-Schlange wieder (es werden derzeit wohl Neuester-heißer-Scheiß-Produkte von Apple beworben) – doch das Ausgabesystem ist dort so gut organisiert (etwa vier gut gelaunte Angestellte kümmerten sich um Einlesen von Liefernachricht und Aushändigen schon in der Schlange), dass ich nach zehn Minuten auf dem Heimweg war.

Frühstück deutlich nach drei. Appetit hatte ich immer noch nicht, aus Vernunftgründen aß ich frisch gekauftes Roggenvollkornbrot mit Butter und Tomate / Butter und Honig.

Dann eine weitere Runde draußen durch den Regen: Lebensmitteleinkäufe beim Vollcorner – und ich Dummerchen vergaß, dass mich der Weg dorthin durchs Oktoberfest-Armageddon führt. Wie ich mir schon in der vorhergehenden Nacht auf dem (Theresienwiesen-nahen) Heimweg dachte: Wer’s nie erlebt hat, kann es sich nicht vorstellen. Die Süddeutsche richtet ihren Lokalteil dieses Jahr ja ganz aufs Oktoberfest-Bejubeln aus (?) – wie wäre es mit einer Bilderstrecke “24 Stunden rund um die Theresienwiese”?

Fenster hinaus in einen verregneten Park, auf der Fensterbank eine Glasvase mit zwei großen, knallpink blühenden Gladiolen und vier dicken altrosa Rosen

Herr Kaltmamsell hatte zur Begrüßung mein Schlafzimmer geschmückt (sind das die pinkesten Gladioen ever oder was?), im Wohnzimmer standen wunderschöne Hortensien.

Ebenfalls sehr gefreut hatte ich mich auf Yoga-Gymnastik: Großes Vergnügen und wohltuend.

Währenddessen mühte sich Herr Kaltmamsell in der Küche mit dem Abendessen – Mühe, weil sich unser Zerstörer, der Pürierstab, endgültig verabschiedet, mittlerweile hält der Einschaltknopf nur mit Kraft in der Eingeschaltet-Position. Anlass für mich, endlich den längst recherchierten Nachfolger zu bestellen. Wenn auch der über 30 Jahre hält, lohnt sich die Investition, zumal ich mit dem Vorläufer-Gerät dieses Herstellers sehr zufrieden war: Einmal sogar das Kabel ersetzt, weil das Original auf einer heißen Herdplatte verschmurgelt war, das Gehäuse ließ sich gut öffnen.

Abendlicher Alkohol war erstmal ein Glas Champagner: Ich hatte endlich rechtzeitig daran gedacht, den Pommery Brut royal (ein Weihnachtsgeschenk) kalt zu stellen – schmeckte mir sehr gut.

Nachtmahl in zwei köstlichen Gängen:

Bast-Tischsets, darauf Glasteller mit Schnitzen Roter Bete mit hellbraunen er Sauce und Schnittlauch

Rote Bete (Ernteanteil) lauwarm mit Haselnuss-Ingwer-Sauce, Schnittlauch, schwarzem Sesam – ganz wunderbar und zufällig vegan (Originalrezept mit Erdnussbutter, Haselnuss machte sich aber sehr gut).

Weißer Teller auf Bastset, darauf brauner Brei mit Kürbisstücken, Orangen Öl, geriebenem Parmesan

Grünschaliger Hokaido (Ernteanteil) mit Polenta und Frischkäse als Brei, darauf gebratene Kürbiswürfel und Chili-Öl. Zwei Portionen für mich. (Originalrezept verwendet Butternut-Kürbis.) Dazu ein baskischer Txakoli. Nachtisch Schokolade.

Im Bett neue Lektüre: Dörte Hansen, Altes Land – darüber hatte ich viel Interessantes, vor allem aber extrem unterschiedliche Urteile gehört, jetzt wollte ich selbst mal (gab’s nicht in der Stadtbibliothek, kaufte ich also). War schonmal angetan vom Erzähltempo: In den ersten 10 Prozent steckt so viel Inhalt, da machen andere ganze Fernsehserien draus.

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Lorenzo Annese kam 1958 als junger Mann aus Apulien nach Niedersachsen und wurde der erste ausländische Betriebsrat der Bundesrepublik. Mit 87 erhielt er jetzt das Bundesverdienstkreuz – eine spannende Lebensgeschichte:
“Der Zusammenschweißer aus Italien”.

die Kaltmamsell

8 Kommentare zu „Journal Freitag, 4. Oktober 2024 – München mit kaltem Regen und Oktoberfest-Armageddon“

  1. Croco meint:

    „Prekäre Lebensumstände, niedrige Löhne und gesellschaftlicher Missmut hätten vielen Ar­bei­te­r*in­nen das Leben schwergemacht.“
    Missmut, das trifft es.
    Die Freude am Leben hat er mitgebracht, der Herr Lorenzo Annese.
    Was für eine nette Geschichte.

  2. Anne meint:

    Als Ergänzung zum letzten Absatz die Empfehlung einer kleinen Ausstellung, u.a. für alle, die sich fragen, warum es im Prenlauerbergso viele Eisdielen und vor den Schönhauser Allee Arcaden oft einen Drehorgelspieler gibt. (Sonntags um 11 gibts Drehorgel-Livekonzert): https://www.stadtmuseum.de/ausstellung/musica-di-strada-italienerinnen-in-prenzlauer-berg

  3. Norman meint:

    Na, z. B. Kölner Fastelovend ist auch nicht ohne.

  4. Croco meint:

    Oh ja. Eine Woche Köln am Karneval. Wenig Bier, viel Schnaps und unglaublich viel Müll gestalten die Tage.
    Die Eifel ist voller Karnevalsflüchtlinge.

  5. Angela meint:

    Oh wie wunderbar: Meine Eltern hatten die Schallplatte von Bally Prell – ich habe sie geliebt. Ich wusste gar nicht, dass es in München sogar ein Denkmal von ihr gibt… Vielen Dank für diese herzerwärmende Erinnerung!

  6. Anne meint:

    Schade um die Marmelade.
    Vielleicht das Malheur erklären und mit einem Glas von Herrn Kaltmamsells bewährter Eigenproduktion ersetzen (soll ja eher ein Danke als ein Souvenir sein, oder?) ?

  7. Hauptschulblues meint:

    Danke für die Bally!

  8. nochEinGlasWein meint:

    “Dörte Hansen, Altes Land” habe ich selber vor kurzem gelesen. Bin auf Ihre Einschätzung gespannt.

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