Journal Dienstag, 5. November 2024 – Erinnerung an meinen Oberbürgermeister
Mittwoch, 6. November 2024 um 6:30Mein nigelnagelneues Deckenproblem könnte gelöst sein: Die alte Steppdecke, gefüllt mit Schurwolle, war für die Nacht mit offenem Fenster genau richtig warm.
Hell wurde es wieder ins Neblig-trübe, auf dem Weg in die Arbeit sah ich alle Kirchtürme und höheren Häuser hinter Nebelfilter. Nach Langem kam ich mal wieder an einem Filmdreh vorbei: 200 Meter um die Theresienwiese reihten sich Garderoben- (mit Namen beschriftet), Kantinen-, Technikwagen aneinander.
Unruhiger Büro-Vormittag, darin aber viel Information.
Mittags lichtete sich der Nebel, auf den Wegen zu Mittagscappuccino bei Nachbars und Einkäufen bekam ich ein wenig Sonne ab. Brotzeit: Apfel, eingeweichtes Muesli mit Sojajoghurt.
Arbeitsnachmittag recht rührig, die richtig anstrengenden (aber sauinteressanten) Sachen verschob ich auf Mittwochmorgen mit mehr Konzentration (Morgenmensch, Sie erinnern sich?). Es wurde wieder etwas später als geplant, eine Kollegin hatte ein spannendes Anliegen, dem wir gemeinsam und mit allen Finten hinterherrecherchierten.
Direkter Heimweg durch angenehme Luft und Temperatur: Mütze und Handschuhe ja, aber noch keine Drohung von Frost. Der Filmdreh an der Theresienwiese war immer noch aktiv.
Ich freute mich auf eine Runde Pilates, mein Kreuz piekste auch nur bei einer Übung, rumpelte aber bei vielen anderen laut.
Als Nachtmahl (Ernteanteil weggegessen) hatte ich mir Shakshuka gewünscht. Es war Herrn Kaltmamsell besonders gut gelungen – lag vielleicht daran, dass er es seit Langem mal wieder im Ofen gemacht hatte. Nachtisch Schokolade.
Herr Kaltmamsell hatte Informationen zu zumindest einer der Wohnungskrankheiten: Auf seine Meldung des gluggernden, weitgehend kalten Heizkörpers hatte die Hausverwaltung geantwortet, beim gesammelten Wartungseinsatz der Heizkörper im Haus habe es Probleme gegeben, die beauftragte Firma werde diese voraussichtlich nächste Woche beheben. Ich merkte mir schonmal einen Tag Arbeit von daheim vor.
Sehr früh ins Bett zum Lesen.
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Oh, mein Oberbürgermeister ist gestorben. Mit Peter Schnell verbinde ich alles Positive an meiner Geburtsstadt Ingolstadt, der gebürtige Ingolstädter Roman Deininger hat für die Süddeutsche einen schönen Nachruf geschrieben (€):
“Ein brennender Konservativer und Wächter der Liberalität”.
Peter Schnell war der OB, der Ingolstadt in die Moderne führte, und man muss daran erinnern, dass zu Beginn dieses kühnen Unterfangens Audi nicht der Motor der Stadt war, sondern ihr Problemfall. Den Errungenschaften Schnells kann man sich aus Platzgründen höchstens in Auswahl und Aufzählung nähern: ein Klinikum, ein ICE-Halt, eine Technische Hochschule, ein Uni-Ableger aus Eichstätt, die Konzernzentrale von Media-Saturn, das Georgische Kammerorchester.
Vor allem hat Schnell jedoch das Gesicht und das Lebensgefühl der Stadt verändert. Gleich nach seinem Amtsantritt machte er sich gegen erbitterte Widerstände an die Einrichtung einer Fußgängerzone, weil die Altstadt in den Abgasen zweier Bundesstraßen zu ersticken drohte, die sich – für Nachgeborene komplett unvorstellbar – mitten im Zentrum trafen. Die alten Festungsbauten der „Schanz“, die viele andere als „oids Glump“ abreißen wollten, ließ Schnell sanieren und mit Schulen, Ämtern und neuem Leben füllen. All das waren nicht nur bauliche, sondern identitätsstiftende Projekte.
(…)
Die Ingolstädter und ihren OB verband ein Urvertrauen, das in dieser Form nur über drei Jahrzehnte wachsen kann. Seiner CSU, aber auch anderen Parteien, hinterlässt Schnell durchaus die Denksportaufgabe, wie man es sich eigentlich verdient, auf seine Wahlplakate irgendwann einfach nur noch „Unser Peter“ schreiben zu können.
Schnell war ein Politiker, der sich auch vor der unangenehmsten Bürgerversammlung nicht drückte; der zum Fastenbrechen zur türkischen Gemeinde ging, als andere noch auf den baldigen Abschied der „Gastarbeiter“ hofften; oder der beim Kunstverein furchtlos mit langhaarigen Typen redete, die manche seiner Parteifreunde für schwer terrorverdächtig hielten. Er war ein Anwalt der Wirtschaft, aber er hatte auch ein tiefes Verständnis von Umweltthemen, das ihm nicht zuletzt sein guter Freund, der Naturschützer Hubert Weinzierl, eingeimpft hatte.
Mit Peter Schnell verbinde ich, wie konstruktiv und bewundernswert eine konservative politische Haltung sein kann – die ich halt in der Landes-CSU nur sehr versprengt wahrnehme (und nicht an Macht-Schaltstellen).
Die Nachricht warf mich in Erinnerungen an Zeiten, an die ich lange nicht gedacht hatte. Von persönlichen Begegnungen mit Peter Schnell ist mir am lebendigsten, wie ich als 20-jährige Lokalradio-Volontärin Ende der 1980er einen Interview-Termin bei ihm hatte. An das Thema erinnere ich mich nicht mehr, es war eher abends, vor den Fenstern seines Büros war es dunkel. Nun hatte ich sehr wenige Jahre zuvor seinen jüngsten Sohn, den Nachzügler, als Regisseurin einer Schulmusical-Aufführung kennengelernt, das Kind gehörte zu der kleinen Gruppe Darsteller*innen. In meiner Erinnerung stand Schnell mir Anfängerin freundlich und routiniert Rede und Antwort, kannte mich aber vor vor allem als ehemalige Schülerin des Gymnasiums, das auch seine Kinder besuchten und besucht hatten und wollte sich dann doch viel lieber über dieses Sohn unterhalten.
§
Wie kann man Informationsplattformen vor manipulativen Falschnachrichten schützen? Christian Jakob legt für die taz ausführlich dar, was Fachleute auf Konferenzen erarbeiten, was Regierungen verschiedener westlicher Staaten einführen wollen oder womit sie bereits Erfahrung haben, zeigt auch auf, dass fast alle Werkzeuge zum Bewahren der Meinungsfreiheit auch gegen sie eingesetzt werden könnten
“Das Dilemma der freien Rede”.
„Meinungsfreiheit“ war, solange ich zurückdenken kann, ein positiv besetzter Begriff. Nun wird er immer stärker instrumentalisiert, um ungestört hasserfüllte Propaganda oder irreführenden Unsinn verbreiten zu dürfen. Das ist der Haken aller Strategien gegen die Desinformation: Jeder Versuch, gegen Hetze und Fakes vorzugehen, bestätigt in den Augen vieler Menschen erst recht den Vorwurf, dass mit autoritären Mitteln die Grundrechte beschnitten würden. Ein Dilemma ersten Ranges.
(…)
Der Westen wird als autoritär hingestellt, wenn er sich gegen die wehrt, die ihn zerstören wollen.
die Kaltmamsell
2 Kommentare zu „Journal Dienstag, 5. November 2024 – Erinnerung an meinen Oberbürgermeister“
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6. November 2024 um 12:03
Hat mich sehr nachdenklich gemacht. Ich kenne Peter Schnell nicht, aber es gibt in den Parteien immerwieder Ausnahmepolitiker, die genau das Richtige tun. Und ich glaube, dass der Schlüssel für den Fortbestand der Demokratie in einer guten Kommunalpolitik für die Bürger liegt. Vielleicht müsste der kommunalen Ebene viel mehr Beachtung geschenkt werden. Wenn es den Menschen gut geht (nicht nur wirtschaftlich, auch in der Gemeinschaft), fallen sie weniger auf Extremisten rein. Ich wünschte wir könnten solche Politiker in größerer Zahl “nachzüchten”.
6. November 2024 um 12:17
Sehr, sehr gerne habe ich über Peter Schnell gelesen.
Danke.