Mein 1986 – Teil 3

Sonntag, 20. März 2011 um 10:32

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Zu Teil 2.

Volontariat bei der Zeitung

Das Bewerbungsgespräch muss stattgefunden haben, als ich noch zur Schule ging. Dass Journalismus etwas für mich sein könnte, hatte mein Altgriechischlehrer getippt, als er mich auf die Frage nach Zukunftsplänen ratlos fand: „Sie sind doch so vielseitig interessiert.“ Zwar hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt genau einen Artikel geschrieben und veröffentlicht, eine kleine Glosse in der Schülerzeitung, aber: Warum eigentlich nicht? Der einzige Ausbilder, der mir dafür einfiel, war die örtliche Regionalzeitung, bei der seit einem Jahr ein Pfadfinderfreund Volontär war. Zwar las ich zu dieser Zeit bereits regelmäßig die Zeit und den Spiegel, doch mich dort zu bewerben lag mir so fern wie die Beantragung der englischen Krone: Ich kam buchstäblich nicht auf die Idee. Dass es sowas wie Journalistenschulen gab, wusste ich nicht.

Ich erinnere mich zwar nicht an das Schreiben der Bewerbung, doch an die Minuten, in denen ich vor dem Büro des Chefredakteurs auf das Vorstellungsgespräch wartete. Und dass ich mich als dafür passende Kleidung für mein Dirndl entschieden hatte – nein, ich weiß wirklich nicht mehr, wie ich darauf kam.

Irgendwas scheint in diesem Bewerbungsgespräch richtig gelaufen zu sein, denn ich bekam eine der allerdings nicht wenigen Volontärsstellen: Die Redaktion bestand damals zu ca. 25 Prozent aus preisgünstigen Volontären, zu dieser Zeit noch hauptsächlich frisch von der Schule.

Ziemlich kurz nach der Abiturfeier schnitt mir der Friseur die Haare ab. Ich erinnere mich an den Plan, mir bis zum Abitur die Haare wachsen zu lassen, ebenso wie ich sie später bis zur Magisterprüfung wachsen ließ. Um sie danach befreienderweise abschneiden zu lassen.

1986 sah das Ergebnis so aus.

Direkter verbunden mit dem Zeitungsvolontariat war der Erwerb eines Autos von dem Geld, das ich in der Fabrik verdient hatte. Da ich fast ein Jahr meiner Ausbildung in der Lokalredaktion in Eichstätt verbringen sollte, wollte ich selbstständig mobil sein. Meine Wahl fiel auf einen C-Kadett in Orange, der meiner Erinnerung nach heftige 900 Mark kostete, aber wirklich gut in Schuss war.

Mein Volontariat begann am 1. September mit einem Monat in der so genannten Kreisredaktion: Dort wurden die Seiten für alle Lokalausgaben außer der der Zeitungsstadt gebaut. Das Material lieferten die Lokalredaktionen zu – die von den Redakteuren und Redakteurinnen selbst erstellten Artikel kamen über die Telefonleitung von Computer zu Computer auf den Bildschirm, die Manuskripte der freien Mitarbeiter zum großen Teil auf Papier. Fotos wurden alle per Kurier angeliefert, meist als entwickeltes Schwarz-Weiß-Negativ, manchmal als Papierabzug, hatte aber der Termin sehr spät am Nachmittag stattgefunden, auch als unentwickeltes Negativ.

Ich saß also zum ersten Mal vor einem Computer, „Terminal“ genannt weil ohne eigene Festplatte und über eine zentralen Unix-Rechner laufend (die Begriffe „Festplatte“ und „Unix“ lernte ich zugegebenermaßen erst viele Jahre später). Die sehr hilfsbereiten und freundlichen Kollegen brachten mir die Grundzüge des Redigierens und des Seitenumbruchs auf Papier bei, machten mich mit EDV-System und mit der Organisationsstruktur der Zeitung vertraut. Zu meiner großen Erleichterung wurde nicht erwartet, dass ich Schreibmaschinenschreiben konnte (das hatte ich mir irgendwie eingebildet und sogar ein paar Lernversuche mit Hilfe von Mutters Schulbüchern unternommen). Das erste, was ich an meinem ersten Arbeitstag sah, waren alteingesessene Redakteure, die mit über die Tastatur gesenktem Kopf wie die Berserker mit zwei Fingern auf die Tasten hämmerten – die mechanischen Schreibmaschinen, die diesen Kraftaufwand erfordert hatten, standen zum Teil noch herum (brauchte man ja auch noch für Briefe etc., Drucker gab es nämlich nicht).

Als die erste von mir geschriebene Polizeimeldung mitgenommen wurde, bilde ich mir ein, dass ich in der Druckerei (im Nebengebäude) auf das gedruckte Zeitungsexemplar wartete – aber das mag ich mir zur Selbstmythologisierung einreden.

Von Anfang an haute ich mich mit Verve in diesen Job, war völlig fasziniert, sog jedes Detail auf, blieb selbstverständlich so lange wie die Kollegen und holte mir so viele Aufgaben, wie ich nur konnte.

Das setzte sich im Oktober fort, als ich in die Lokalredaktion nach Eichstätt kam: Ich griff mir alles an Terminen, was man mich ließ, so bald wie möglich auch Sonntags- und Wochenenddienste (die, wenn ich mich recht erinnere, Volontäre im ersten Ausbildungsjahr theoretisch gar nicht machen durften). An Heilig Abend musste bei der Christmette im Dom fotografiert werden? Hier! War ja auch eine gute Gelegenheit, die Familienpflichten abzukürzen (Sie erinnern sich: Ich stand zu dieser Zeit mit meinen Eltern gar nicht gut.)

Ich lernte nicht nur, wie herzlich Siez-Verhältnisse sein können (der Redaktionsleiter war ein sehr korrekter, aber ungemein humorvoller Herr aus dem Norden der Republik), sondern auch Themen zu finden, Artikel zu schreiben, zu recherchieren (per Telefon, im Archiv), ein bisschen zu fotografieren mit einer der mittelalten, redaktionseigenen Spiegelreflexkameras, Negative zu entwickeln, die Prioritäten des Lokaljournalismus zu begreifen (Enthüllungsstory über Asbestbelastung in örtlichen Kindergärten – keine Reaktion; Name des Schützenkönigs falsch geschrieben – Shitstorm).

Weitere Erinnerungen an die Gestalten in den Redaktionen des Blattes habe ich schon mal hier und hier aufgeschrieben.

Jungvolo Kaltmamsell in Redaktion Eichstätter Kurier:

Diese Redaktion lag über einer Buchhandlung, die mit der Zeitung irgendwie verbandelt war und bei der es für Zeitungsangestellte Prozente gab. Raten Sie mal, was ich mit meinen Unsummen Volontärsgehalt tat. (Ich bin mir ziemlich sicher, dass das im zweiten Volontärsjahr 1.600 Mark brutto waren – für jemanden, die bis dahin 50 Mark Taschengeld im Monat bekommen hatte, fühlte sich das ernsthaft wie die Goldschätze eines Dagobert Duck an.)

Die erste eigene Wohnung

Für mich war völlig klar, dass ich für den Job in Eichstätt in eine eigene Wohnung ziehen würde, ich wollte dringend raus aus meinem Elternhaus. Vermutlich über die Anzeigen in der eigenen Zeitung fand ich im Eichstätter Buchtal ein möbliertes Zimmer unterm Dach (Fenster rechts oben).

Mein Bett brachte ich selber mit (aus meinem Kinderzimmer), ansonsten nutzte ich die Küche (mittleren beiden Fenster) mit der Krankenschwester im gegenüberliegenden Dachkammerl, das Bad mit ihr und einer alten Dame, die ebenfalls auf dem Stockwerk wohnte und als Tante Anni irgendwie mit den Vermietern verwandt war.

Selbstwohnen war von Anfang an absolute Seligkeit für mich, Alleinsein richtige Erholung. Meine Erstausstattung an Geschirr, Töpfen, Handtüchern, Besteck bestand aus Abgelegtem aus Elterns Keller, auf Flohmärkten füllte ich die Lücken. Gäste in der eigenen Wohnung zu haben, Freunde in deren eigener Wohnung oder WG zu besuchen genoss ich sehr.

Wie aufregend das Selbstversorgen und Einkaufen war! Erst einmal holte ich mir in der Kühltheke des Supermarkts alles an Fertigprodukten, was meine Mutter mir mit dem Argument verwehrt hatte, das könne mal selber billiger machen: Wackelpudding, Grießpudding, Schokoladenpudding etc. Aber gleich von Anfang an zeigte sich, dass ich am längsten und mit am meisten Appetit an den Gemüseauslagen hängenblieb: Ich hatte im Abiturjahr durch einen Restaurantbesuch chinesische Küche entdeckt und chinesisierte erst mal gebratene Gemüsestücke durch Sesamöl und Sojasoße. Mein zweites, selbst entwickeltes Standardgericht war eine scharfe Spaghettisoße aus Speck, Knoblauch, Tomatenpüree und Oregano.

Um diese Zeit verschwand mein zu Schulzeiten deutlicher Frühstückshunger. In den ersten Wochen holte ich mir morgens auf dem Weg in die Redaktion noch ein Nusshörnchen (nach dem Aufstehen hatte ich lediglich eine Kanne Schwarztee mit Milch getrunken), doch bald hatte ich auch darauf keine Lust mehr.

Ende des Jahres wurde ich – für meine Verhältnisse – ziemlich krank. Die großen Schmerzen in Hüftgegend stellten sich als Nierenentzündung heraus, die Untersuchung dieser wiederum brachte zutage, dass mir auch eine angeborene Hüft-Fehlstellung und eine verwachsene, verknöcherte Lendenwirbelsäule Schmerzen bereiteten. Ich begann die erste Krankengymnastik meines Lebens.

Vergessene Schnipsel

Es war wirklich ein volles Jahr, mein 1986. Zu den Dingen, die ich beim halbwegs chronologischen Aufschreiben vergessen habe, gehören diese beiden.

Anfang des Jahres arbeitete ich noch in einer Kneipe als Bedienung. Sie gehörte Nachbarn meiner Eltern, und dort lernte ich nicht nur Kopfrechnen, sondern machte auch Bekanntschaft mit seltsamen Getränken wie Latern‘ und Colaweizen (ein Stammgast bestellte es immer mit einem Schuss Maracujasaft).
Nach einer besonders langen Schicht (es hatte eine Countryband gespielt – hey, ich war mir nie für harte Arbeit zu schade) war mein Fahrrad fort und gestohlen. Ich musste auch noch eine halbe Stunde zu Fuß nach Hause gehen. Wenn Flüche wirken, wurde der Dieb nie wieder seines Lebens froh.

Und dann war da noch das winterliche Bad im Baggersee. Es war Januar und mein Freundinnenkreis im Abiturjahrgang hing richtig durch: Wir begannen zu ahnen, wie viel Stoff wir zur Abiturprüfung können mussten, wurden davon schier erschlagen, und überhaupt – wie sollte es danach weitergehen? Doch wir waren kluge Mädchen und kamen auf eine Lösung: Wir mussten etwas völlig Bescheuertes tun. Zum Beispiel im Bagersee Baden gehen. Die Stimmung hellte sofort auf. Am vereinbarten Samstagvormittag fuhren wir im von Eltern geliehenen Auto an unsere gewohnte Badestelle an den Baggersee. Der Haken: Es hatte zwar seit einigen Tagen getaut, aber nicht genug, um die Eisschicht auf dem Wasser zu beseitigen. Hier konnten wir nicht baden. Also fuhren wir an den Bachzulauf des Sees, sprangen im Badeanzug aus dem Auto, liefen ins Wasser, tauchten einmal kreischend unter und wickelten uns zurück im Auto in die mitgebrachten Bademäntel. War eine gute Idee.

Ob ich das Turniertanztraining 1986 aufgab oder bereits 1985, weiß ich nicht mehr. Mein Tanzpartner aber blieb für viele Jahre ein sehr guter Freund. Leider habe ich jede Spur von ihm verloren. Ich lege mal eine solche Spur ins Internet: Robert Amler, bist du irgendwo da draußen?

die Kaltmamsell

11 Kommentare zu „Mein 1986 – Teil 3“

  1. Kittykoma meint:

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  2. Buchfink meint:

    Einen ähnlich gemusterten Pulli hatte ich auch, ungefähr zur gleichen Zeit. Eigentlich lebt er ja noch und wird sogar gelegentlich noch getragen (daheim natürlich!). Ein schönes Jahr hatten Sie da wohl.

  3. Modeste meint:

    Schön. Wie lange das her zu sein scheint. Die schepperigen 25 Jahre.

  4. podruga meint:

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  5. Sebastian meint:

    Sehr gern gelesen. 1600 Mark, das kann hinkommen. Bei mir waren es 1990 netto 1400 – soviel hatte ich in den sieben Jahren davor als Koch nie verdient. Bitte ein Bild vom orangen C-Kadett?

  6. die Kaltmamsell meint:

    Tut mir leid, Sebastian, von dem Auto habe ich nie ein Foto gemacht. Landete ja auch schon ein halbes Jahr später im Graben.

  7. MonikaZH meint:

    1987 als Praktikantin in der Schweiz 1’918 Franken brutto. Fühlte sich absolut königlich an, obwohl davon alles, alles bezahlt werden musste. Ausser Steuer und Versicherung für den roten Kadett C, der aus versicherungstechnischen Gründen (Prämie) auf den Vater lief und dessen Fixkosen diese liebenswerterweise übernahmen ohne damals oder später jemals anzumerken dass das Auto ausser Sprit, Öl und gelegentlichen Waschungen und Reparaturen noch weiteres Geld kostet :-)

    Wunderbare Zeit, das.

    Danke für die Erinnerungen.

  8. Mareike meint:

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  9. ix meint:

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  10. Sebastian meint:

    Toll :-)

  11. Nine meint:

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