Osten vom Westen aus
Dienstag, 10. Mai 2011 um 15:21Derzeit blättere ich mich abends im Bett durch einen weiteren Magnum-Bildband: Magnum Magnum (davor hatte ich schon mal Magnum Stories gelesen).
Dieses Magnum-typische Streben nach dem Ziel, die Menschheit in ihrem jetzigen Zustand abzubilden, fasziniert mich immer wieder.
Und dann folgte ich heute Morgen einem Link von Frau Diener hierhin:
Magnum-Fotograf Thomas Hoepker zeigt hier Bilder aus einem Land, das es nicht mehr gibt: der DDR. Die Diavorführung ist mit seinen Kommentaren im O-Ton ergänzt, sehr bewegend.
Und doch.
Und doch ist das wieder ein westlicher Blick auf die DDR. Der sich an dem festhält, was aus West-Perspektive absurd erschien.
Hoepker erwähnt einen Fotografenaustausch zwischen BRD und DDR, durch den er eine Zeit lang in der DDR wohnen konnte. Mich würden sehr die Fotos interessieren, die seine DDR-Kollegen in dieser Zeit in der BRD aufnahmen.
Es ist diese große Lücke im Wissen über den DDR-Alltag, die ich immer wieder feststelle und unter der ich leide. (Dazu kommt mein Wessi-Fremdschämen über das Verhalten der Westler nach dem Mauerfall und dessen verheerende Folgen.) In Ostdeutschland gab es ja über die Medien, legal oder illegal, verhaltnismäßig viele Einblicke in unser westliches Leben und Aufwachsen. Doch unsereiner im Westen hat, zumindest automatisch, nichts mitbekommen. Ich bin auf Erzählungen angewiesen.
Das fiel mir zum Beispiel im re:publica-Vortrag des Sachsen Beetlebum auf: Er verwendete als Beispiel für die deutsche Comic-Rezeption selbstverständlich eines aus der DDR-Geschichte – von dem ich zum ersten Mal hörte:
(Übrigens ist der Akzent des Herrn nicht im Entferntesten so stark, wie er immer behauptet.)
Und so hänge ich meinen Kollegen und Kolleginnen, die in der DDR großgeworden sind, immer an den Lippen, wenn sie vom Deutschland ihrer Kindheit und Jugend erzählen – einem Land, das für mich mindestens so exotisch ist wie das Internat in Istanbul, in dem mein Kollege Mustafa sein exquisites Deutsch gelernt hat.
die Kaltmamsell10 Kommentare zu „Osten vom Westen aus“
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10. Mai 2011 um 22:45
Der Foto-Essay ist wirklich sehr interessant und bewegend! Danke für die Weitergabe des Hinweises auch hier im Blog!
10. Mai 2011 um 23:24
Über Kindheit in der DDR kann man in der Tat jede Menge erzählen, ich hab einfach mal ein bisschen was runtergeschrieben. Allerdings weiß man gar nicht so recht, wo man anfangen soll, und wenn doch, wo man wieder aufhört.
11. Mai 2011 um 7:33
Wirklich sehr bewegend, aber sehr sehr westlich geprägt, die Dia-Show. Es wäre äusserst interessant mal zu sehen wie die DDR-Fotographen damals den Westen ablichteten.
11. Mai 2011 um 10:25
Liebe Kaltmamsell,
leider wurden ossis immer genau so dargestellt
http://static.twoday.net/lesof/images/89TitanicZonengabiCuke250pxw.jpg
Noch 20 Jahre nach der Wende muss ich mir heute den Spruch anhören “man hört gar nicht, dass Sie ostdeutsch sprechen”.
Die DDR war nicht nur einfach ein anderes Land, sondern eine andere Gesellschaftsform. Erschwerend kommt hinzu, dass die Achtziger auch in der Bundesrepublik seltsame Mode hervor gebracht haben. Nur die schlechten Fotografien aus der ehemaligen DDR bilden Stoffe für humorvolle Geschichten. Wenn ich mir die Fotos der olympischen Spiele 1988 anschaue ( als neutrales Ereignis dieser Zeit) muss ich auch manchmal schmunzeln. Leider dominiert das Bild der Zonengabi. Aber ich bin zuversichtlich, dass die nächste Generation das vergessen wird.
11. Mai 2011 um 18:36
Sie haben mich dazu inspiriert, heute hierhin zu gehen: http://www.dhm.de/ausstellungen/ueberleben/index.html
Einiges dazugelernt – auch Deprimierendes, leider.
11. Mai 2011 um 23:39
Sehr eindrucksvoller Bericht! Als eingeborene ‘Wessi’ litt ich ebenfalls lange unter dem Nichtwissen, welches uns edukativ geboten wurde: weiße Leinwände, nur Zonengrenze, Elbe, Berlin und Oder-Neiße … dann wieder ganz lange weiß und irgendwo zwischen Irkutsk und Novosibirsk fing die Geographie wieder an. Und die berühmten Pakete, die wir organisiert über die Schule versenden ‘mussten’, vergesse ich auch nicht.
Heute stelle ich mir manchmal die Frage, ob es auch Gedanken zum ehemaligen Westdeutschland gibt? Denn auch das ist inzwischen ein ‘A Vanished Country’ …
12. Mai 2011 um 11:17
ich empfehle Bildbände des Fotografen Roger Melis! eintauchen in eine s/w-Welt, die sehr viel Alltag zeigt und wirklich sensibel ist. Keine lauten Bilder a la Zonengabi, sondern der leise triste Alltag, in dem sich Menschen eingerichtet haben so gut es eben ging. Die einen als Mitmacher/läufer/wisser und die anderen als Opposition (ja, die gabs auch)
elli
12. Mai 2011 um 22:51
Hm. Also. Ich weiß nicht. Nach dem Lesen des Beitrags und der Kommentare habe ich mir die Diashow angeschaut und war überrascht von dem doch sehr innigen und respektvollen, aber genauen Blick auf die Menschen. Mag sein, dass mir das „westliche” (was ist das?) entgegenkommt und Thomas Höpker es in der Wahl der Motive auch gepflegt haben mag, da ja seine Auftraggeber und Käufer aus dem Westen stammen. Aber ich sehe und verstehe etwas mehr den Osten oder vielleicht sogar nur: ein Land, und das interessiert mich mehr als der Blick. Laut, Zonengabi? Seh ich wenig, vielleicht die Dame mit der lila Kuh. Aber die konnte man damals im Vogelsberg auch noch finden. Kinder unbeschwert auf der Mauer spielen zu sehen ändert meinen westlichen Blicke eher.
Beim Nachlesen über Thomas Höpker fällt auf, dass er gleich in seinem ersten Jahr nach dem Studium in der DDR fotografierte, später dann mit seiner Frau und der als kluge Schreiberin sehr verehrten Eva Windmöller für drei Jahre nach Ostberlin ging (wenn auch als Stern.Korrepsondenten, also laut und westlich) und später „erster echter deutscher” Magnum-Fotograf und dann sogar Präsident von allem wurde. Ich weiß nicht, ob man das macht und machen kann, wenn man nur aus einer Richtung schaut.
Wenn man gerne sehen will, wie die DDR-Fotgrafen die BRD gesehen haben, ist das nicht auch ein sehr weslticher Wunsch, den es umgekehrt vielleicht gar nicht gibt? Den ich allerdings auch habe, Aber vielleicht wären diese BRD-Bilder vor unseren Westaugen einfach – banal? Ohnehin fallen mir bei vielen Bildern oben auch Pendants aus dem Westen von Westfotografen ein, die Armut, Verfall, Tristesse, Hässlichkeit, Stumpfsinn und Lächerlichkeit hier zeigen, im Ruhrpott, an Randgebieten, oft unbarmherziger und klischeehafter als hier.
Und das „Leiden” am Nichtwissen über den DDR-Alltag, das hier zweimal genannt wird – was war oder ist dazu das Gegenstück in Ostdeutschland? Oder ist es auch: Mitleid?
13. Mai 2011 um 6:32
Empathie spreche ich Hoepker keineswegs ab, Sebastian, es ist ja genau der humanistische Ansatz, der mich zu einem Magnum-Fan macht. Und als Magnum-Fotograf habe ich Hoepker schließlich vor Jahren kennengelernt. Aber ihm fällt auf und scheint ihm festhaltenswert, was möglicherweise nur einem Westler auffällt.
Dass er für ein paar Jahre in die DDR gezogen ist, erzählt Hoepker ja selbst in der Show. Doch da er auch erzählt, dass es sich um eine Austauschaktion handelte, würden mich sehr die Bilder des DDR-Fotografen interessieren, der im Austausch in die BRD gezogen ist.
13. Mai 2011 um 8:38
Also, in der Ausstellung im DHM gibt es zum Teil die gleichen, zum Teil aber auch andere Bilder als in der Diashow, und auch noch einmal einen Kommentar von Hoepker auf Deutsch, der natürlich auch ähnliche Fakten erzählt, aber es kommt noch einmal besser seine durchaus differenzierte Sicht auf die Dinge heraus, fand ich. Dass es der Blick des Westdeutschen ist, ist klar – jeder Blick auf Bilder und die Welt ist rezipientenbestimmt. Und aus der Perspektive würde ich in der Tat auch gerne die Gegenstücke des “Ost-Fotografen im Westen” sehen.
Das Bild mit der Lila Kuh finde ich übrigens das traurigste in der ganzen Reihe. Ähnlich traurig wie z.B. ein Gang durchs Berliner Alexa-Einkaufszentrum. Und das hat nichts mit Ost-Nostalgie oder Verklärung des Sozialismus zu tun, ich bin ein Kind der bayrischen 80er Jahre.