Die Geburtstagsparty von der Ute
Montag, 20. Februar 2006 um 13:47Als Einladung zu ihrer Geburtstagsparty gab es nichts Geschriebenes. Ute sagte einfach, dass sie eine Geburtstagsparty machen würde, nächsten Freitag um drei, und dass sie uns dazu einlädt.
Sie war die in meiner Grundschulklasse, die hin und wieder mit Schrammen und großen blauen Flecken in die Schule kam, weil sie, wie sie erzählte, die Treppe hinuntergefallen war. Einmal hatte sie sich auch im Türrahmen angestoßen, da hatte sie ein blaues Auge.
Hellblond und klein war Ute. Sie saß ganz vorne, direkt vor der Lehrerin. Da ich meist als Strafe für mein ständiges Schwätzen ganz nach hinten gesetzt worden war, sah ich an ihrem weichen, ungekämmten und fast weißen Haar vorbei zur Schultafel.
Es war ein helles, schönes Schulzimmer im ersten Stock der modernen Grundschule am Rand des Wohnblockviertels. Hinten ein rollbarer Sandkastentisch, in dem wir für Sachkunde verschiedene Arten Dörfer nachbauten, Zeilendorf, Haufendorf. Der Boden aus glänzendem Linoleum. Es machte fast kein Geräusch, wenn Ute mal wieder in die Hose pieselte und sich unter ihrem Stuhl eine Lache bildete. Die Lehrerin nahm sie dann zum Umziehen ins Nebenzimmer, das gleichzeitig ihr Direktorinbüro war.
Ute war nicht richtig meine Freundin. Ich fand sie uninteressant; sie sagte nie was, war komisch angezogen, stand am Rand herum und guckte. Doch sie wohnte in einem Block, zu dem ich nicht über die Straße musste. In den seltenen Fällen, dass keines der vielen Kinder in meinem Block da war oder raus durfte, klingelte ich also auch mal Ute raus zum Spielen. Und ich mochte sie genug, dass ich sie zu meinen Geburtstags- und Faschingspartys einlud, die meine Mutter immer zu rauschenden Festen machte.
Da ich gewohnt war, auch zu den Partys von anderen Kindern eingeladen zu werden, ging nach Utes Einladung alles seinen üblichen Gang: Ich fragte daheim, ob ich hindürfe, durfte umstandslos, es war ja eine Mitschülerin, die meine Eltern kannten. Meine Mutter besorgte ein Geschenklein und verpackte es hübsch.
Am Tag der Party machte sie mich ein bisschen fein und schickte mich kurz vor drei hinüber in Utes Wohnblock. Vor dem Hauseingang mit der Glastür standen schon zwei Mitschülerinnen, die Andrea und die Doris, ebenfalls mit Schleife im Haar und Geschenk in der Hand. Sie sagten, dass sie bei Ute geklingelt hätten, aber dass niemand aufmachte. Auch ich klingelte, ohne dass dann der Türöffner summte. Wir setzten uns auf die Stufen vor der Tür, es kamen noch zwei weitere Mädchen, die Ute eingeladen hatte.
Alle paar Minuten klingelte eine von uns. Ich wusste, dass Ute im Erdgeschoß wohnte, sie hatte mir mal vom Fenster aus zugewunken. Wir konnten sogar die Klingel drinnen hören und warteten wieder, dass sich die Gardine bewegte. Doch es rührte sich nichts. Irgendwann gaben wir auf und gingen heim.
Ute war die nächsten zwei Wochen nicht in der Schule.
die Kaltmamsell7 Kommentare zu „Die Geburtstagsparty von der Ute“
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20. Februar 2006 um 14:06
Nach dieser Vorspeisenplatte ist mir schlecht. Weil’s in meiner Kindheit genügend ähnliche Beispiele gibt. Und weil’s heutzutage auch nicht anders ist. Trotzdem gut mal was weniger unterhaltsames zu schreiben und zu lesen.
20. Februar 2006 um 14:29
…und gerade höre ich im Radio vom Urteil im sog. “Dennis-Prozess”…
20. Februar 2006 um 15:54
Bedrückend. Was ist aus Ute geworden? Gestern musste ich mal wieder an eine Grundschul-Klassenkameradin denken, die vom Laster überfahren wurde. Das war für viele Kinder damals sehr traumatisierend so ein harscher Erstkontakt mit dem Tod.
20. Februar 2006 um 17:06
Bei uns hieß er Andreas. Er zeigte seine Striemen den anderen Jungs auf dem Klo.
20. Februar 2006 um 22:32
Bei uns hieß sie Nicole. Sie war die Halbschwester von Jacqueline, die regelmäßig von ihrer Mutter geschlagen wurde. Ich musste das ein paar Male notgedrungen miterleben, z. B. wie Jacqueline nackt in den Hausflur geprügelt wurde. Der Nicole schien es auch nicht sonderlich besser gegangen zu sein; sie hat oft Mitschüler beklaut und viel gelogen.
Was ist aus Ute geworden?
21. Februar 2006 um 7:47
Ich weiß nicht, was aus Ute geworden ist.
Mir ist erst viele Jahre später klar geworden, dass sie in Wirklichkeit gar nicht die Treppe hinuntergefallen und gegen den Türstock gelaufen ist. Da ging ich längst aufs Gymnasium und hatte keinen Kontakt mehr zu meinen Grundschulkameradinnen.
21. Februar 2006 um 12:19
übel.