Unromantisch

Freitag, 9. Januar 2009 um 11:39

Dieser Textentwurf liegt seit fast vier Jahren angefangen auf meinem Blogserver. Gilt inhaltlich immer noch. Ich räume ihn ungeschliffen und fragmentarisch raus.

Ja, das bin ich: unromantisch. Mit Leidenschaft und bis ins Mark. Bei fast allem, was Film, Fernsehen, Popmusik, Literatur und die Allgemeinheit für romantisch halten, werde ich vor lauter Ärger aggressiv. 40 Prozent davon basiert auf einer Lüge (wie: Blumen mitbringen, Leid und Schmerz oder Eifersucht als Liebesbeweis), 50 Prozent empfinde ich als überaus albern bis unpraktisch (darunter: Kosenamen auf -i, Namen der Geliebten als Tätowierung, gemeinsames Schlafzimmer), die restlichen 10 Prozent haben für mich nichts mit Romantik zu tun (z.B. Baden bei Kerzenlicht, Zärtlichkeit), sondern sind Sinnesfreuden.

Frau modeste schrieb einst:

In Beziehungen, so sagt der Romantiker, sollen wir ganz wir selbst sein dürfen. Bedingungslos angenommen vom anderen, geborgen vor den kalten Winden des äußeren Lebens. Dies beinhaltet auch Ehrlichkeit, absolute Offenheit, insbesondere in Bezug auf die eigene Vergangenheit.

`tschuldigung, dann braucht er sich wohl nicht zu wundern, der Romantiker, dass das mit der Partnerschaft nichts wird. „Absolute Offenheit“ enthält reichlich Aggression: Nimm dies! Mir doch wurscht, wie sehr dich das belastet oder verletzt! „Bedingungslos angenommen“ ist genauso zerstörerisch dumm; viel besser, sich seiner Bedingungen klar zu werden, sie auszusprechen, Grenzen klarmachen.

Statt dessen: Aufmerksamkeiten.
Statt dessen: Rücksicht.
Statt dessen: Spontanität.

Auch die kunstgeschichtlich und literaturwissenschaftlich so bezeichneten Werke missfallen mir. Gehen Sie mir weg mit dem Sublimen. In der Alten Nationalgalerie in Berlin stand ich wieder mal vor ein paar Caspar David Friedrichs und schüttelte mich. Wirksames Antidot: Northanger Abbey von Jane Austen.

Meiner persönlichen Erfahrung nach (einer Persönlichkeit, die Naturspießertum und Coolnessmangel aufs Trefflichste vereint) hilft es, wenn man in Beziehungen dieselben Regeln des zwischenmenschlichen Umgangs befolgt, die man für die Begegnung mit Fremden akzeptiert. „Bitte“ und „Danke“ sagen, Höflichkeit, Rücksicht, Diskretion. Mir ist immer noch nicht klar, dass Leute, die nicht zu Falschheit oder Missgunst neigen, ausgerechnet den Menschen schlecht machen („meine Alte“, „ist doch wieder typisch Mann“), den sie angeblich am liebsten haben.

Dabei bin ich mir durchaus bewusst, dass es eine Beziehungs-Schule gibt, die den Vorteil einer Paargemeinschaft darin sieht, genau diese Umgangsformen vergessen zu können. Ich frage mich nur, wie es die gegenseitige Zuneigung fördern soll, wenn ich die Klotüre offen lasse.

Praschl schrieb, als er das noch ins Internet tat:

beschlossen, sie zu überleben. man kann es keinem antun, nicht zu überleben.

Das ist unromantisch. Aber Liebe.

die Kaltmamsell

7 Kommentare zu „Unromantisch“

  1. nuss meint:

    Viel Zustimmung hier! (Nich dass ich aus Erfahrung spreche. Nur etwas: Romantische Literatur passt für mich nicht ganz rein in den Gedankengang. Das Sublime gehört doch eher zu Schiller als zum Sandmann, der, nur als Beispiel, ganz in Ihrem Sinne unromantisch ist.)

  2. die Kaltmamsell meint:

    Ich komme von der englischen Romantik, nuss, mit Blake, Wordsworth, Coleridge, Shelley, Keats und Byron – und dem zentralen sublime.
    An deutscher Romantik sortiere ich zum Beispiel den Werther ein (“Klopstock”…).

  3. Wüstenfuchs meint:

    Volle Zustimmung! Romantik in der Beziehung ist für mich vor allem: eine Menge Erwartungen, die natürlich (wie immer) enttäuscht werden wird.

    “Merkt er denn gar nicht, wie ichs gerne hätte (beim Verwöhnt werden)?” (eine nicht ganz so leise Stimme im Kopf)
    “Blumen wären auch mal wieder was schönes….” (natürlich nur gedacht)
    “Seeeehr romantisch: beim Essen die Zeitung lesen, dabei sollte er doch meine Hand halten….” (natürlich auch wieder nur gedacht)

    Da wird mir klar, warum am Ende der Gliiiiebte nur noch “mein Alter” oder wie die Schweizer belieben “Meiner” ist.

  4. Susanne meint:

    Ich habe auch so meine Schwierigkeiten mit dem, was allgemein als romantisch gilt, das funktioniert ja sowas von überhaupt nicht.

    Höflichkeit und Rücksichtnahme sind Dinge, die wesentlich für jede Art von Beziehung sind, vor allem für welche, die länger dauern sollen. Ehrlichkeit und Offenheit finde ich trotzdem extrem wichtig, aber das heißt nicht, dass man alles ungefiltert an den anderen hinlassen sollte.

    Respekt ist etwas, das generell zu wenig geschätzt wird, eines meiner Lieblings-Aufregungsthemen (auch wieder in jeder Art von Beziehung).

    Gemeinsames Schlafzimmer und Klotür offenlassen ist für mich trotzdem kein Problem…

  5. ilse meint:

    …the lady does protest too much…Blumen, Bussi, gemeinsames Bett, ist doch alles nett – für den der’s mag. Und Höflichkeit in der Beziehung – nein danke.

  6. kittykoma meint:

    das spricht mir aus dem herzen. ich bestehe zwar nicht auf getrennten schlafzimmern (obwohl ich sie schätzen gelernt habe), aber auf viel distanz, haltung und respekt, ja und höflichkeit. auskotzen kann man sich nach ausgiebigem suff vor der kneipentür.

  7. kid37 meint:

    Hm. Dieses

    „Absolute Offenheit“ enthält reichlich Aggression: Nimm dies! Mir doch wurscht, wie sehr dich das belastet oder verletzt!

    kenne ich eigentlich nur von ausgesprochenen Nicht-Romantikern. Es ist aber tatsächlich eine schmerzliche Tatsache, daß Partner oft schlechter und unaufmerksamer behandelt werden als Fremde auf der Straße oder einfache Übernachtungsgäste. Aber vielleicht ist meine Vorstellung von Romantik auch wieder eine andere, ich mag ja auch Hawthorne – und getrennte Zimmer als Rückzugsort ;-)

Sie möchten gerne einen Kommentar hinterlassen, scheuen aber die Mühe einer Formulierung? Dann nutzen Sie doch den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein, Sternchen darüber und darunter kennzeichnen den Text als KOMMENTAROMAT-generiert. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken.