Journal Samstag, 11. Februar 2012 – Lamm

Sonntag, 12. Februar 2012 um 8:20

Nach schwerer Nacht viel zu früh aufgewacht.

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Schwimmen im Dantebad. Die 50 Meter, die ich im Freien zwischen Gebäude und Schwimmbecken barfuß und im Badeanzug zurücklegen musste, waren durchaus bemerkenswert (GAAAAAAHHHH!). Auch und gerade im nassen Badeanzug. Als Lohn gab es ausgesprochen genussvolle 3.000 Meter im bacherlwarmen Wasser. Schwimmflügerlschwimmerquote auf der Schwimmerbahn 50 Prozent.

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Fünfstundenlamm im schönsten Bräter der Welt zubereitet und in den Ofen geschoben. Während des Garens Tinker, Taylor, Soldier, Spy gesehen, in den eher unterkühlten Museumslichtspielen. Gefiel mir gut: Die Handlung fand ich nebensächlich, schaute aber gerne der Ausstattung, der Inszenierung, den Schauspielern zu.

Nachts fast vergessen, das abends gegangene Brot (erstmals mit Brotgewürzen!) in den Ofen zu schieben. Entsprechend spät ins Bett gekommen.

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Kann es sein, dass ich seit 15 Jahren nichts anderes tue, als dem dauerschimpfenden Vater der 12-jährigen Kaltmamsell zu beweisen, dass ich nicht faul und schlampig bin? (Was mein Vater seit etwa 25 Jahren nicht mehr behauptet.) Und deshalb nicht dazu komme zu überlegen, was ich eigentlich mit meinem Leben anfangen will? Dass ich immer noch nicht über den Schmerz hinweg komme, dass der Vater der achtjährigen, der zehnjährigen, der 13-jährigen Kaltmamsell nicht die Tochter bekommen hat, die er sich wünschte? Dass ich mit dem Blick dieses Vaters von früher alles als unwert, mangelhaft und ungenügend ansehe, was ich leiste? Deshalb selbst offizielle Auszeichnungen als irrtümliche Einschätzung oder Ergebnis sachfremder Hintergedanken einsortiere?
Aber das wäre doch für eine 44-jährige erwachsene Frau mehr als lächerlich.

die Kaltmamsell

25 Kommentare zu „Journal Samstag, 11. Februar 2012 – Lamm“

  1. Petra_s meint:

    und, was ich so lese, völlig unangebracht!

  2. iv meint:

    “What makes you tick?” Es kann ganz schön seltsam sein, festzustellen, daß die Antwort auf diese Frage evtl. mit keiner Motiviationsratgeber-Schablone vereinbar ist, sondern z.B. eher im Bereich “fear and anger” liegt. Auf dem Weg zu Mitte 30 lerne ich gerade langsam, das ins Positive zu wenden: Meinetwegen fear and anger, but it makes me tick.

  3. katha meint:

    für erkenntnisse wie deine im letzten absatz zahlen manche leute viel geld (oder kommen nie dort hin). für mich liest sich das wie ein schlüssel, und zwar einer auf einem leuchtend frühlingsgrasgrünen seidenpolster (oder welche farbe und welches material deiner halt haben soll). es nützt eh nix, wenn dir hier und im job und überall alle spiegeln, wie viel du leistest, weil es nicht um leistung geht, sondern offenbar um ganz was anderes, es nennt sich wohl liebe, bedingungslose. das kann leistung nicht kompensieren. der satz “Dass ich immer noch nicht über den Schmerz hinweg komme, dass der Vater der achtjährigen, der zehnjährigen, der 13-jährigen Kaltmamsell nicht die Tochter bekommen hat, die er sich wünschte?” tut mir richtig weh. denn wie wäre es, wenn die achtjährige, die zehnjährige, die 13-jährige kaltmamsell nicht den vater bekommen hat, den sie sich wünschte (und auf den sie verdammt noch mal ein recht hat – wie jedes kind)? was ist mit dieser perspektive? lächerlich für eine 44-jährige erwachsene frau ist das nicht. bloß viel zu hart und streng und unerbittlich zu sich selbst. aber im gegensatz zum alter von acht jahren ist es mit 44 möglich, sowas auch wieder abzustreifen und, genau, zu überlegen, was du mit deinem leben anfangen willst.
    manchmal ist es praktisch, ohne vater aufgewachsen zu sein, bleibt mir zumindest diese schlagseite erspart (über die anderen möchte ich – mit verlaub – hier nicht sprechen).

  4. Viktoria meint:

    Und wieder eine Erkenntnis, die keine aktive Verhaltensänderung nach sich zieht? Mit 44 Jahren ist “nicht mehr die Hebamme schuld”, sondern jede/r selbst für sein Tun oder Lassen verantwortlich!

  5. die Kaltmamsell meint:

    Genau diese Haltung, Viktoria, habe ich völlig verinnerlicht: DU BIST SELBST VERANTWORTLICH FÜR DEIN LEBEN! UND ZWAR FÜR ALLES DARAN! WENN DIR WAS NICHT PASST, TU WAS DAGEGEN! NUR FEIGLINGE SUCHEN URSACHEN BEI ANDEREN! TAKE IT, CHANGE IT OR LEAVE IT! Und zwar in genau diesem inneren Kommandoton.
    Nun bin ich umgekehrt mit 44 so weit erstmals in Erwägung zu ziehen, dass ich das wenig übertrieben haben könnte. Und mich frage, woher dieser Kommandoton eingentlich kommt. Auch das gibt’s, glauben Sie mir.

    Nicht überstürzen, katha, ich fange gerade erst an mit den Konsequenzen.

  6. kelef meint:

    wie wäre es mit der betrachtung: hätte ich nicht das gefühlt gehabt ich sei nicht die tocher, die er sich gewünscht hat, dann hätte ich mich nicht so angestrengt und es so weit gebracht wie ich es nun eben gebracht habe?

  7. Kommentator meint:

    Das ist eine sehr sehr naheliegende Vermutung, die auch die Intensität Ihrer Gefühle erklärt.

    Prüfen Sie das (in Ruhe, das braucht Zeit), Sie werden es herausfinden.

  8. walküre meint:

    Frau Kaltmamsell, es gibt einen guten Mittelweg zwischen gnadenloser Härte gegen sich selbst und dem völligen Ablehnen von Eigenverantwortung. Jeder Mensch hat seine Geschichte, jeder Mensch ist ein Individuum, welches mit dieser Geschichte anders umgeht – gäbe es Standardlösungen, wäre alles ja viel zu einfach,
    nicht wahr ? Abseits jeglicher Ironie: Erst heute habe ich mir beim Spazierengehen überlegt, dass ich den Großteil meines bisherigen Lebens in jeder Weise versucht habe, perfekt zu sein, um meinem Umfeld und mir selber zu beweisen, dass ich nicht die Niete bin, die zu sein mir in meiner Kindheit und Jugend suggeriert wurde. (Die Crux ist ja jene, dass man zumindest als Kind eigentlich nur das System kennt, in dem man selber lebt, und man darüber hinaus keine Alternativen hat. “Love it, change it or leave it” gilt für Erwachsene, nicht für Kinder.)

    Tatsache ist: Ich muss niemanden mehr etwas beweisen. Wem nicht zusagt, wie ich bin (und ich spreche von einem sozial verträglichen Rahmen), der kann sich verpissen. Ehrlich.

  9. Ursula meint:

    Ja, das würde einiges erklären, was an Leistung ich hier seit Jahr und Tag sprachlos mitlese. Da es ja inzwischen offenbar auch immer wieder recht schmerzt (Bewegung, Migräne), bremst sich der innere Antreiber hoffentlich bald selber aus. Wünsch ich Ihnen jedenfalls. Was übrig bliebe, wäre sicher immer noch mehr als genug um einen spannenden Blog und ein erfülltes Leben hervorzubringen.

  10. Frau-Irgendwas-ist-immer meint:

    Glauben Sie mir, werte Frau Kaltmamsell, Sie sind mit ihren Erkenntnissen und Erfahrungen früh dran. Meine Mutter macht gerade ähnliches durch, sie ist 65 Jahre alt und ihr Vater (mein Opa) ist 91 Jahre alt …
    Sie können sicher erahnen was das für Schmerzen/Verwirrung stiftet, auch und gerade für mich.
    Sie packen das!!

  11. Julia meint:

    Da kann man ja leider nicht guten Gewissens “Gerne gelesen” anklicken, sondern muss um einen Button bitten, der heißt: “Oh ja, aus der Seele gesprochen. Aber sowas von…” Alles Gute!

  12. Sebastian meint:

    “JEDER IST SEINES GLÜCKES SCHMIED.“
    Aber manchmal reicht auch ein Schneider?
    “DA MUSS JEDER SELBST DURCH.“
    Aber nicht alleine.
    Gute Reise.

  13. PepeB meint:

    Sie sind auf dem Weg. Und stellen jetzt eine Haltung infrage, die bisher ganz normal für Sie war und deshalb nicht wirklich sichtbar (trotz der Schmerzen). Um sich das, was sichtbar wird, anzusehen, es zu begriefen, sich davon loszusagen, darf frau/man schon mal über 40 sein (nach meiner eigenen Erfahrung ist das sogar von Vorteil). Alles Gute!

  14. Viktoria meint:

    Werte Frau Kaltmamsell,

    um einem Missverständnis vorzubeugen: Selbstverständlich setzten Eltern in der Kindheit ihres Nachwuchses durch ihre Ansprüche und Vorstellungen Ursachen für bestimmte Verhaltensmuster. Diese Muster verfestigen sich während des Heranwachsens und werden zur Selbstverständlichkeit.

    Doch wenn Erwachsene dann feststellen, dass ihnen diese fremdbestimmten, ja selbstzerstörerischen Verhaltensmuster nicht gut tun, ist es an ihnen, diese durch selbstbestimmte, gesunde Verhaltensweisen zu ersetzen. Das meinte ich mit eigener Verantwortung. Eltern setzen Ursachen, aber meiner Meinung nach kann ihnen nicht mehr angelastet werden, wenn ihre erwachsenen Kinder bis zum Sanktnimmerleinstag in diesen Mustern verharren.

    Außerdem heißt Eigenverantwortung ja nicht, dass Sie diesen gesünderen Zustand allein herstellen müssen. Dafür gibt es professionelle Hilfe!

    Alles Gute
    Viktoria

  15. Rob meint:

    Sebastian, das ist wohl wahr. Das arme Glück, das ständig geschmiedet werden muss. Scheinbar haben viele schon lange keinem Schmied mehr bei der Arbeit zugeschaut.

    Ich habe versucht, Entsprechungen dieser Redensart in anderen Sprachen zu finden. Da ist eher von architect, artisan und artefice die Rede. Der Gedanke, das Glück wie ein Bäumchen zu pflegen wirkt auf mich sehr ermunternd. Heute, gerade jetzt. Danke dafür.

  16. Barbara meint:

    Oh ja, das kann sein. Lächerlich finde ich es keineswegs, sondern im Gegenteil sehr erwachsen, sogar ausgesprochen mutig, diese Erkenntnis zuzulassen. Gut ist es, diese und ähnliche Muster zu erkennen, schmerzhaft aber auch: der erste Schritt auf dem langen und schlaglochintensiven Weg zur Freiheit. Ich lese Ihre bewegenden Zeilen am Geburtstag meiner Mutter, die mir ein ähnliches Vermächtnis hinterlassen hat. Ich wünsch Ihnen Mut, Geduld und Gelassenheit mit sich selbst, und aufmerksame, kluge und warmherzige Menschen als Begleitung.

  17. ubarto meint:

    Nachfrage zu was völlig anderem:
    Ich lese hier immer von Schwimmflügeln im Schwimmbad – was muss ich mir darunter vorstellen? So Dinger wie man sie als Kind zum Schwimmenlernen hatte? Gehe seit einem Monat selber wöchentlich schwimmen und hab nix derartiges gesehen. Mag aber daran liegen, dass dieser Trend hier in der Provinz noch nicht angekommen ist.

    (Zum in den Kommentaren meistdiskutiertesten Thema: Man halte mich bitte nicht für unsensibel weil ich nichts dazu schreibe, ich kann nur einfach nichts beitragen außer guten Wünschen zur Selbstheilung).

  18. die Kaltmamsell meint:

    Schwimmflügerl, ubarto, nenne ich boshaft despektierlich all das Spielzeug, mit dem in München immer mehr Menschen die Schwimmerbahnen nutzen:
    https://www.vorspeisenplatte.de/speisen/2012/01/der-stand-des-schwimmens.htm
    Also Beinkissen, Fußflossen, Bretter, Handmanschetten – Schwimmen wird von der ausstattungsärmsten Bewegungsart überhaupt zum neuen Verkaufsziel für die Sportartikelindustrie.

  19. ubarto meint:

    ah, alles klar. Dieser Trend ist in der Provinz auch noch nicht angekommen ;-) Man ist hier schon eher die Ausnahme wenn man eine Schwimmbrille trägt (oder gar eine Badekappe, ich wollte ja erst auch nicht, hab mir aber mit Rücksicht auf die Haare jetzt doch eine zugelegt).

    Allerdings (und ich hoffe man verzeiht mir jetzt das boshafte Lästern) scheinen die wenigsten Leute ins Schwimmbad zu gehen, um wirklich zu schwimmen. Ich seh immer das Schema “eine Bahn tratschend mit möglichst hoch über dem Wasser gehaltenen Kopf nebeneinander herpaddeln, dann 5 Minuten am Beckenrand tratschen, dann wieder eine Bahn nebeneinander herpaddeln”. Gut, wenn man mit mehreren Leuten geht verführt das wirklich zum Quatschen (ich war letzte Woche alleine weil keiner von meinen Kollegen Zeit hatte und hab zu meinem großen Erstaunen 2000 Meter geschafft).

    P.S. hab auch Neugier grad mal nach diesem Schwimmzubehör gegoogelt und kichere grade sehr infantil: http://www.decathlon.de/pull-buoy-id_1433310.html
    (hoffe es ist ok den Link zu posten).

  20. die Kaltmamsell meint:

    Aber ja, ubarto, das wird übrigens wie “Pool Boy” ausgesprochen. Eine Navigationsebene drüber finden Sie weiteres sehr häufiges Spielzeug. Würden umgekehrt Sie mir verraten, wozu man in Begleitung Schwimmen geht (außer man will in Wirklichkeit Wasserplaudern)?

  21. ubarto meint:

    das weitere Spielzeug habe ich auch schon staunend bewundert.
    Die Begleitung beim Schwimmen erklärt sich daraus, dass unsere Firma als Gruppe bei einem kleinen Triathlon teilnehmen wird, zwecks Motivation haben wir deshalb zum Schwimmen einen festern wöchentlichen Trainingstermin ausgemacht.
    Dass das eher zum Wasserplaudern verführt und man alleine besser trainiert hab ich ja jetzt auch gemerkt ;-).

  22. Richard meint:

    zur selbstfindung ein merksatz der mir geholfen hat bzw. hilft:
    “Sag laut (auch zu Dir selbst) was Du willst – sonst bekommst Du leise was Du nicht willst”
    ebenso zeigt mir die erfahrung bei mir wie bei anderen, daß das 40zigste lebensjahrzehnt sehr oft ein zeitabschnitt ist um einerseits die einzigartigkeit Eltern für einen selbst anzu-
    nehmen und andererseits mit ihrer fehlerhaftigkeit als mitmensch tolerant umzugehen.
    die sublimierung ihrer kindheitserinnerung und daraus folgende selbstbeurteilungs-probleme erlebte ich sehr oft bei hochbegabten welche im gegensatz zu eher grundbegabten fremdlob oft zweifelnd annahmen. dies ist abgeleitet aus meinen erfahrungen als wissensvermittler für erwachsene, formaler prüfer, gutachter und eigenständiger chef. sie sind auf gutem weg!

  23. marmota meint:

    na dann bist du ja am besten weg :) wenn du erkennst, dass du in dir den glaubenssatz hast, dass du faul und schlampig bist und dass dich dieser glaubenssatz sehr prägt und dein leben bestimmt. und dass der aber nicht die objektive wahrheit ist, sondern nur deine eigene, subjektive wahrheit… Mit dem erkennen hast du ja schon einen riesigen schritt gemacht, die veränderung kommt dann oft ganz von allein. und lächerlich find ich daran gar nix, glaub es gibt auf der welt keinen menschen, der in seinem leben nicht von verinnerlichten glaubensätzen geleitet wird, ich finds vor allem mutig sich dem zu stellen und es anzuerkennen.

    alles liebe aus österreich :) (meine glaubenssätze sind z.b.” ich muss mich anpassen um geliebt zu werden”, “ich bin faul und schlampig” kenn ich auch ziemlich gut, und außerdem bin ich noch böse und ein schlechter mensch… )

  24. marmota meint:

    ach ja und ubarto! you made my day! decathlon gibts in deutschland!!! :) sind dafür immer nach frankreich gefahren… ;)

  25. Sebastian meint:

    Sehr gut, wenn man mit den Eltern darüber noch sprechen kann bzw. es noch machen konnte – weil sie noch da sind und zuhören und vielleicht sogar selbst was Weiterführendes dazu sagen. Es ist schon schlimm genug, wenn sie später fehlen – aber wenn einem auch noch das fehlt…

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