Salman Rushdies Memoiren
Mittwoch, 12. September 2012 um 11:54Autoren und Autorinnen von Fiktion interessieren mich allermeistens nicht. Mich interessiert ihr Werk. Und nein: Ich halte die Schöpferinnen des Werks nicht für deren ultimative Interpretationsinstanz, ihr Leben nicht für den besten Interpretationsfilter.
Manchmal aber handelt es sich um besonders interessante Menschen, die mich auch als Person faszinieren. Zum Beispiel Salman Rushdie. Der erste Verdacht entstand, als ich ihn als Gast in der britischen Fernsehshow Have I Got News For You sah, ich fand diesen Verdacht bestätigt, als ich Essays und Zeitungsartikel zu Literatur, Weltpolitik und Atheismus von ihm las. Alles deutete darauf hin, dass das ein scharfsinniger, schlagfertiger, brillanter und hochgebildeter Mensch ist. (Seit ich ihm auf Twitter folge, deutet zudem einiges darauf hin, dass er, vorsichtig ausgedrückt, recht hitzig ist.)
Nun hat Rushdie seine Memoiren geschrieben, Joseph Anton, und The New Yorker hat ein großes Stück daraus vorab veröffentlich: “The Disappeared. How the fatwa changed a writer’s life.”
Obwohl ich mir küchenpsychologisch erklären kann, dass Rushdie zur inneren Distanzierung von traumatischen Erlebnissen in der dritten Person schreibt, irritierte mich das Fehlen eines Ich. Und mein Herz schmerzte am Anfang des Texts bei der Erkenntnis, dass diesen Meister der Wörter das Talent für Tonlagen und Präzision verlässt, wenn es um diese seine eigene Geschichte geht, wie er pathetisch, kitschig, ungelenk wird. Diese völlig untypische Unbeholfenheit machte mir mehr als jeder faktische Inhalt, mehr als jede seiner Selbsterklärungen klar, was die Ereignisse im Jahr 1989 in ihm angerichtet haben. Wie er rückblickend die Geschehnisse sortiert und fast verzweifelt in eine Ordnung bringt, nachträglich um Kontrolle ringt.
In den nächsten Abschnitten aber, die Rushdies universitäre Bekanntschaft mit der Geschichte des Islam und die Entstehung des Romans The Satanic Verses beschreiben (meine Besprechung steht hier), kommen Rushdies Scharfsinn und Humor wieder voll zum Tragen.
The book took more than four years to write. Afterward, when people tried to reduce it to an “insult,” he wanted to reply, “I can insult people a lot faster than that.”
Wie zu erwarten, tauchen in seinen Erinnerungen auch unerwartete Details auf:
He needed a name, the police told him in Wales. His own name was useless; it was a name that could not be spoken, like Voldemort in the not yet written Harry Potter books. He could not rent a house with it, or register to vote, because to vote you needed to provide a home address and that, of course, was impossible. To protect his democratic right to free expression, he had to surrender his democratic right to choose his government.
He needed to choose a new name “pretty pronto,” and then talk to his bank manager and get the bank to agree to accept checks signed with the false name, so that he could pay for things without being identified. The new name was also for the benefit of his protectors. They needed to get used to it, to call him by it at all times, when they were with him and when they weren’t, so that they didn’t accidentally let his real name slip when they were walking or running or going to the gym or the supermarket and blow his cover.
Sehr ernsthafte Leseempfehlung des Ausschnitts im New Yorker, ich freue mich auf das Buch.
die Kaltmamsell1 Kommentar zu „Salman Rushdies Memoiren“
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12. September 2012 um 22:16
Ich habe damals , als SR den Booker Prize bekam,”Midnight’s Children” mit Leidenschaft gelesen. Das Buch eröffnete für mich ein mir völlig neue Welt – die der indischen Literatur – und ich habe seitdem viele indische Romane gelesen, von der Soap Opera “A suitable boy” bis zu der gnadenlosen Satire von “White Tiger”. Meine Begeisterung für SR als Schriftsteller ist allerdings abgeflaut – schon die “Satanic Verses” habe ich nicht mehr gelesen. Die arroganten Bemerkungen die ihm nachgesagt wurde, als er sich von seiner Frau Padma Lakshmi trennte, haben mich auch ins Grübeln gebracht. Was ist das Problem dieser klugen Intellektuellen, die unbedingt junges “arm candy” brauchen, das sie dann verachten können, wenn’s nicht läuft?