Lesestoff für den Feiertag

Donnerstag, 1. November 2012 um 9:55

Wie es ist, vor Gericht Angeklagte schwerer und abstoßender Straftaten zu verteidigen:

Als Verteidiger solidarisiere ich mich weder mit dem Mandanten noch mit der Tat, die ihm vorgeworfen wird, sondern ich nehme engagiert seine Interessen in einem justizförmigen Verfahren wahr, indem ich darauf achte, dass die Verfahrensregeln eingehalten werden und eine Verurteilung nur dann erfolgt, wenn ihm (oder ihr) ein schuldhaftes Verfahren auf rechtsstaatlich einwandfreie Weise nachgewiesen werden kann.

Ich habe großen Respekt vor Anwälten, die solche Straftäter verteidigen. Straftäter, die in besonders hohem Maß gegen die Regeln verstoßen haben, die unsere Gesellschaft einen. Denn sie sichern die Einhaltung der allerwichtigsten Regel, auf der alle anderen basieren: die Rechtsstaatlichkeit. (Man sagt mir, dass viele diese Rechtsstaatlichkeit leider erst in dem Moment zu schätzen lernten, in dem sie es persönlich schmerzlich mit Staaten ohne solcher zu tun bekamen.)

via Lawblog

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Nicht viele werden verstehen, dass beim Lesen von Frau Herzbruchs Beschreibung ihrer universitären Linguistikveranstaltung mein Herz vor Sehnsucht nach der verpassten Unikarriere bricht, bis zu Wasser in den Augen.

Hätte ich damals durchgehalten, so bilde ich mir ein, würde ich heute beschreiben, wie ich Einführungsseminarteilnehmer ihre Sitznachbarn analysieren lasse, nur anhand des Stylings: Woher kommt diese Person vermutlich, welche Musik hört sie, wie wohnt sie?
Als Einstieg in die Semiotik.
Aber ich hab’ halt nicht durchgehalten.

Und kann heute PR-Konzepte erstellen, mehrmonatige Publikationsprojekte leiten, Unternehmensprozesse optimieren, auf Englisch Vertragsverhandlungen führen, Bilanzen durchschauen, industrielle Serienfertigung erklären. Statt die Rezeptionsästhetik ins 21. Jahrhundert übersetzt zu haben (dorthin wollte ich mit meiner abgebrochenen Diss).
Ohne dass ich mir einbilde, heute als Universitätsangestellte glücklich zu sein.

Ich komme mir billig vor bei der Behauptung: Hätte ich 1995 schon bloggen können, wäre mir das Durchhalten gelungen.

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Bisschen was zum Lachen (BITTE lass das Satire sein!):
14 Outrageous Secrets that a Homosexual Will Never Tell You
via @stephenfry

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Beetlebums Bericht über die Präsentation von Windows 8 zeigt wunderbar, worauf sich Firmen einlassen, wenn sie Blogger zu Presseveranstaltungen einladen – im Positiven wie im Negativen.

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Bin immer noch sehr verliebt in diese Professorin für Altphilologie an der Universität Cambride. Und in ihr Blog.
“You can’t be nasty and say ‘Look sunshine, this is what I did my PhD on’.”

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Benjamin von Stuckrad-Barre schreibt ausführlich übers Saufen, allerdings ex negativo: “Nüchtern”. Der Text ist außerordentlich interessant, zum einen, weil Herr von Stuckrad-Barre fesselnd schreibt und seine Perspektive eine unübliche ist, zum anderen, weil er mir zu zahlreichen Erkenntnissen verholfen hat. Darunter: Die Art gezielter Alkoholisierung, die er in vielen Varianten beschreibt, kannte ich von den jugendlichen Schafkopfspielern meines Abiturjahrgangs und kenne ich von den Damen und Herren, die in der benachbarten Parkanlage und auf meiner Seite der Wittelsbacher Brücke herumstehen, Bierflasche oder Bierdose in der Hand. Dass manche Menschen dieses Besaufen als eleganten Lebenstil ansehen, war mir neu.

Selbst der trockene Alkoholiker von Stuckrad-Barre macht sich über Menschen lustig, die Alkohol aus anderen Zielen als das der Bewusstlosigkeit konsumieren:

Wenn ich am Alkoholtrinken etwas immer verachtet habe, so ist es das sogenannte maßvolle Trinken. Vernünftig trinken wohl gar noch, Rausch ohne Reue? Amateure! Was “leicht angeheitert” genannt wird, nenne ich Bausparerrausch, fast so absurd wie alkoholfreies Bier. Das alkoholfreie Bier verstehe ich wirklich nicht. Des Geschmacks wegen? Ach, komm! Da ist es nicht mehr weit bis zum andachtsvoll zerschlürften “guten Glas Wein”; analog dazu sprechen ja auch insbesondere Wenigleser gern vom “guten Buch”, das sie angeblich gern lesen, dabei ist doch klar, dass man auch ganz viele schlechte Bücher lesen muss, um die guten zu erkennen. Ein Glas Wein – wozu? Diese Aromen? Das ist Glasschwenkkennertum, Jahrgangsgeschwätz, Verkostungstristesse.

Also über Menschen wie mich. Allerdings gestehe ich, dass ich nie auch nur die Chance hatte, mich in Abgründe zu saufen: Seit ich mit etwa 15 Gefallen an der initialen Wirkung von Alkohol fand, mir das eine oder andere alkoholische Getränk auch noch schmeckte, hielt mich ein eigenartiger biochemischer Mechanismus davon ab, mich wirklich zu betrinken. An einem Punkt jedes Alkoholkonsums, an dem ich noch weit vom Vollrausch entfernt war, schmeckte mir Alkohol schlagartig nicht mehr, jedesmal wieder. Er widerte mich richtig an.
Stark betrunkene Menschen hingegen widerten mich schon immer an.

Auch den Schilderungen von von Stuckrad-Barre (auf dieses von-von-Aufeinandetreffen freute ich mich seit dem ersten Buchstaben dieses Postings) kann ich nicht entnehmen, was bitte an den Betrinkereien, die er heute mit einem Glas Wasser in der Hand erlebt, so großartig ist. Die alkoholisierten Dialogschleifen, die er beschreibt, kenne ich von besagten Damen und Herren im Park mit Bierdose in der Hand; Gerhard Polt hat ihnen in seinen Programmen immer wieder Denkmäler gesetzt. Wenn sie in Schuhmanns Bar stattfinden, sind sie also cool?

Mein begrenzter Zugang zu den Freuden des Vollrausches mag auch in anderer Hinsicht an Biochemie liegen. Mit 19 versuchte ich erstmals, Alkohol gezielt zur Betäubung einzusetzen. Ich hatte schlimmen Liebeskummer und wusste vor Schmerz nicht ein noch aus. Aus der Literatur und aus Filmen wusste ich, dass Menschen ihren Kummer in Alkohol ertränken, also griff ich zu diesem Heilmittel. Ergebnis: Meine Sinne und meine Motorik waren betäubt, der Schmerz aber blieb. (Es gibt vielleicht einen Zusammenhang mit dem Umstand, dass Koffein mich hibbelig macht, aber keineswegs wacher.) Dann ließ ich das halt bleiben.

Dabei setze ich Alkohol durchaus auch heute gezielt ein: Es gibt einen Grad der inneren Verspannung, den abends ein steifer Cocktail in Minutenschnelle lösen kann. Nur – nach der Erreichung dieses Ziels ist meine Lust auf Alkohol fast immer befriedigt, mehr will ich gar nicht.

Von Stuckrad-Barre bedauert, dass er sich jetzt gar nicht mehr mit entfernteren Bekannten treffen kann:

Es gibt Menschen, die meisten eigentlich, mit denen geht man lieber “was trinken” als “was essen”. Trinken ist unverfänglicher, beiläufiger, was trinken kann man immer gehen, außer mit mir mit fast jedem, es ist die zwangloseste aller Verabredungsformen.

Ich bin versucht, mich noch spießiger als ohnehin schon zu finden, weil mir sofort die Alternativen Kaffeetrinken, Mittagessen oder Spazierengehen als Begegnungsmöglichkeiten mit diesen Menschen einfallen.

die Kaltmamsell

9 Kommentare zu „Lesestoff für den Feiertag“

  1. maria meint:

    Christwire ist definitiv Satire.
    Die Frage Unikarriere oder doch lieber “was Angewandtes” beschaeftigt mich auch gerade starkt. Ich vermute jedoch, dass man in beiden Karrieren gluecklich sein kann.

  2. kecks meint:

    hier noch jemand mit abgebrochener unikarriere in den literaturwissenschaften, sogar ähnliche interessenlage – kurz vor promotion geflohen. im freundeskreis mehrere ähnliche geschichten, aber auch einige, die bereits die habil durch oder eine juniorprofessur inne habe. das system züchtet freaks. aber anderswo gibt es auch leben. unis sind toll, lehren ist toll, forschen ist toll, aber die rahmenbedingungen sind mit ‘unter aller sau’ noch sehr euphemistisch beschrieben.

  3. barbara meint:

    Der Stuckrad-Barre lohnt das Lesen.
    Um die von ihm so wahr beschriebenen Lästigkeiten zu umgehen, lehne ich das angebotene Glas Wein nie ab und halte mich dran fest. Das merkt kein Schwein, ebenso wenig mein heimliches Verschwinden.
    Um zuhause auf dem Sofa einen entspannenden Absacker zu trinken.
    Herrlich.

  4. Beate meint:

    Kann man eigentlich eine irgendwann abgebrochene Dissertation wieder aufleben lassen und weitermachen?

  5. nuss meint:

    Hätte ich 1995 schon bloggen können, wäre mir das Durchhalten gelungen.

    Wie das? (Ich hab grad erst mit der Diss begonnen, und frage deshalb schonmal vorsorglich.)

  6. die Kaltmamsell meint:

    Ich stelle mir vor, nuss, dass ich dadurch nicht so schrecklich allein in meinem Forschen gewesen wäre. Dass ich über meine Arbeit und meine Gedanken geschrieben hätte, dass Kommentare mich weitergebracht hätten, dass ich auf Twitter Unterstützung bekommen hätte, dass sich meine kleinen Internetfreunde mit mir über Zwischenergebnisse gefreut hätten, mit mir über Rückschläge geärgert.
    1995/96 dachte ich mutterseelenallein in meinem Kämmerchen vor mich hin, finanzierte meinen Lebensunterhalt mit Englischunterricht in Firmen, meine Studienfreunde waren bereits in alle Himmelsrichtungen verstreut. Aber vielleicht ist Promovieren ja immer so, und kein Bloggen und Twittern dieser Welt hätte das geändert.

  7. Stefan meint:

    Ich kann Herrn Stuckrad-Barre sehr gut verstehen: Ich habe mal einen sehr langen Abend in einem wunderschönen bayrischen Biergarten mit alkoholfreiem Bier verbracht.

    Diese biochemische (biomechanische?) Sperre kannte ich auch. Wenn die Wissenschaft entschlüsseln könnte, wie solche Sperren funktionieren, könnte man vielleicht neue Therapien gegen die Alkoholsucht finden?

  8. holber meint:

    Ich denke vBS verachtet Menschen die nicht binäre Trinker sind, deshalb weil er es eben nicht kann. Das Bier nach der körperlich anstrengenden Arbeit, das Glas Wein, dass so gut zur feurigen Salamie passt, der Schnaps nach dem Essen und dann eben nicht weiter trinken. Da entgeht ihm doch wirklich was und das macht seinen Text für mich fade.

  9. trippmadam meint:

    “Bausparerrausch” ist aber eine schöne Sottise, finde ich. Und dass Wenigleser gerne mal erwähnen, sie läsen gerade “ein gutes Buch”, stimmt meiner Beobachtung nach auch.

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