Happy Clappy in der fränkischen Diaspora
Donnerstag, 14. September 2006 um 11:28(1982. Ich habe den Herrn rechts lieber mal anonymisiert; ich wette, er schaut heute noch genau so aus und wäre wiedererkennbar.)
Wie so viele Religionsgegner habe ich eine religiöse Vergangenheit. Und zwar ziemlich aktiv. Das Foto oben zeigt mich bei einer dieser Aktivitäten: Im Alter von 15 bis 17 tingelte ich sonntags mit einer Kirchenklampfenband über vor allem fränkische Dörfer und machte Musik. Dauerhafte Folge: Ich kenne mich in der katholischen Liturgie aus (das Drehbuch für katholische Zeremonien). Und ich kriege Krampfanfälle beim Erklingen ökumenischer Gassenhauer wie „Ins Wasser fällt ein Stein“ oder „Liebe ist nicht nur ein Wort“ (Sie kennen Michael Mittermeiers „Kumbaya“-Nummer?).
Im Nachhinein weiß ich ja auch nicht so recht, wie ich da mit 15 reingeraten bin. Einflussfaktoren, die mir einfallen:
– Ich war bei den Pfadfindern meiner Pfarrei, und der Bassist sowie der Gitarrist der Band waren Pfadfinder eines befreundeten Stammes – doch, das heißt so.
– Der Leiter der Band war Pater bei den örtlichen Redemptoristen und Religionslehrer in meiner Schule. Seinem Kloster war ein Internat angeschlossen, in dem regelmäßig Besinnungstage für Jugendliche stattfanden, an denen wiederum ich mit Freundinnen teilnahm. Außerdem rekrutierte die Band aus dem Internat den Schlagzeuger, einen hin-und-wieder Saxofonisten sowie die Knabenschola.
– Ich war in den Keyboarder verliebt, der zwei Klassen höher in dieselbe Schule wie ich ging (nicht der Herr auf dem Foto links; das ist mein damaliger Griechisch-Nachhilfelehrer).
– Der Redemptoristenpater hatte mich als Querflötistin und Sängerin hinzugebeten.
– Für meine superbehüteten Ohren klangen „Bandprobe“ und sonntägliche Fahrten auf die Dörfer nach verlockenden Abenteuern. (Nie vergessen: I was born uncool.)
Mit unserer Musik mischten wir kleine Landgemeinden auf, viele davon im diasporischen, weil überwiegend evangelischen Franken. In den meisten waren bis in die 80er Jahre noch nie Jugendgottesdienste gehalten worden. Wir spielten immer zur besten Sendezeit, sprich vormittags zur Sonntagsmesse. In meiner Erinnerung waren diese Kirchen allesamt barock, unbeheizt und eine akustische Katastrophe. „Nicht zu laut!“ war der wichtigste Hinweis des Pfarrers, weswegen das Schlagzeug ausschließlich mit Besen bedient wurde. Im Anschluss luden uns entweder der Pfarrer oder Gemeindemitglieder zum Mittagessen ein; es gab immer Schweinsbraten mit Glöß (fränkisch für „Knödel“).
Doch erst mal mussten wir ja in die zu beschallenden Gemeinde kommen. Da keiner von uns Musikanten ein Auto hatte, fuhren wir gemeinsam im VW-Bus des Internats, der Pater am Steuer. Der Mann hatte möglicherweise seinen Führerschein in der Weihnachtslotterie des Vatikans gewonnen, fuhr auf jeden Fall wie eine gesengte Wildsau. Eine Mitfahrt auf dem vorderen Mittelsitz war eine echte Mutprobe: Da ein VW-Bus keine Motorhaube hat, sah man der Stoßstange des Vorderwagens, der knapp verpassten Hauswand, der Leitplanke, kurz: dem Tod direkt ins Auge. Zudem betete der Pater gerne mit uns weiteren Insassen während der Fahrt Rosenkranz oder hob zu singen an, die meiste Zeit mit Blick nach hinten, um seinen Mitfahrern herzerfrischend und beseelt zuzulächeln. Ich hatte auf jeder Fahrt die Vision einer himmlischen GSG9 aus gepanzerten Engeln, die losgeschickt wurde, sobald sich der VW-Bus in Bewegung setzte. Anders konnte ich mir nicht erklären, dass der Pater nie verunfallte.
In der Gastkirche angekommen, bauten wir zusammen „die Anlage“ auf; Strom gab’s meistens aus der Sakristei (der Umkleide). Bei dieser Gelegenheit entdeckte ich meine Begabung, über Kabel zu stolpern, selbst wenn ich sie selbst gezogen hatte. Was schlecht war, denn diese Kabel waren teuer. Als mein Vater, Elektriker und damit Kabel-Heavy-User, erfuhr, wie viel diese Anlagenkabel kosteten, war er sicher, dass man uns über den Tisch zog. Er ließ sich von mir eines mitbringen, besorgte meterweise Billigkabel sowie Stecker und baute uns welche nach. In der darauf folgenden Jugendmesse, ich glaube im idyllischen Roßtal, lernten wir dann alle, warum die Kabel sonst so teuer waren: Die handgemachten spielten uns Radiosender auf unsere Verstärker. Wir traten an diesem Sonntag lieber unplugged auf (und wussten noch nicht mal, dass das so hieß).
Ein paar Mal nahm mich der Pater auch einzeln zu so genannten Besinnungsabenden in irgendwelche entlegenen Gemeindehäuser mit, bei denen ich ihn und seine Wandergitarre mit Flöte und Stimme unterstützte. Wenn ich mich recht erinnere, versuchte ich ihn auf einer dieser Fahrten zu einer Auseinandersetzung mit der Rolle der Frau in der katholischen Kirche zu bringen. Doch bereits meine Beobachtung, dass den Frauen in der Kirche nur die Drecksjobs überlassen würden und keine in irgend einer Weise entscheidende Position, brachte ihn derart aus der Fassung, dass ich es bleiben ließ.
Mein Engagement in Sachen Happy Clappy tröpfelte aus, als ich zum einen aufs Abitur zusteuerte, zum anderen Mitglied eines sehr rührigen Jugendchores wurde.
(„Mehr Respekt vor Gott“, hörte ich Dr. Joseph Ratzinger am Sonntag in der TV-Berichterstattung fordern, als ich nicht flink genug wegschaltete. Diese Forderung ist zwar genau sein Job, aber: Wie bitte? Den Herren, die am 11.9.2001 fast 3000 Menschen im World Trade Center ermordeten, fehlte es sicher nicht am Respekt vor Gott. Auch nicht den IRA-Bombern, den Bahn-Attentätern vor zwei Jahren in Madrid, der italienischen Mafia oder George W. Bush. Vielleicht muss man ja wie ich ungläubig sein, um in erster Linie mehr Respekt vor den Menschen einzufordern?)
die Kaltmamsell22 Kommentare zu „Happy Clappy in der fränkischen Diaspora“
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14. September 2006 um 11:53
Sehr schön geschrieben, ich hätte auf die Liebe zum Keyboarder getippt.
Und nee, man muß in erster Linie Mensch mit Gehirn und Herz sein, um mit mehr Respekt für die Menschen zu leben – auch wenn’s immer wieder Rückschläge gibt und es immer schwerer fällt. Wenn ein weißgekleideter älterer Herr das heute erst noch einfordern meint zu müssen, dann hat sein Verein auf ganzer Linie versagt.
14. September 2006 um 14:45
die Kabelgeschichte – herrlich.
14. September 2006 um 16:05
So schön!
SO schön!
Das kommt mir sowas von bekannt vor.
Bei mir war es ein Jugendchor und ein nachtblinder, dennoch begeistert Auto fahrender Chorleiter und Kirchenmusiker
(mit 140 Sachen nach einem Konzert nachts auf der Landstraße, die Nase an der Windschutzscheibe platt gedrückt: “Wo ist denn hier der Mittelstreifen? Kinder, sagt doch mal. Hier muss doch irgendwo ein Mittelstreifen sein…”)
Allerdings hatten wir keine GSG9 gepanzerter Engel zur Verfügung. Als Evangelen waren wir da ein wenig karger: Wir begnügten uns mit der Vorstellung eines einzelnen 7-motorigen Schutzengels.
Und wir haben ja sowas von herzerweichend ganze Gemeinden zusammengesungen, hach! Unser Ave-verum-Lied war sooo schön (auf die Plätze, fertig, los, bei der Schlußfermate treffen wir uns wieder!).
Nee, wie sich doch die Sozialisation der uncool Geborenen ähnelt!
Danke liebe Kaltmamsell!
Du hast mich gerade in eine sehr spaßige, vergangene Zeit zurückgekickt.
14. September 2006 um 19:59
Ist mir erspart geblieben. War mehr der Traditionalist. Die Gemeinde muss singen und darf nicht über synkopierte Vater-Unseri stolpern. Mein erste Pamphlet gegen aktuelle Kirchenmusikströmungen stammt aus der Zeit und wurde sogar gedruckt in der Jugendzeitung des katholischen Jugend in Wolfsburg, namens Holzauge.
14. September 2006 um 20:08
Aber, um die Sache von meiner Seite abzurunden. Unsere Band hatte keinen Namen. Da gab es dann einen Wettbewerb, den Namen zu finden. Ich machte das Rennen mit dem ganz erstaunlichen Namen: “Makrometrik” – die hatten letztes Jahr 25 Jahre Bestehen. Und ich habe eine Platte nach Wahl gewonnen. Legte ich brav an in Jarrett “Hymns & Spheres” (Altöttinger Orgel, glaube ich).
14. September 2006 um 20:22
Beim Anblick des Bildes ist mir sofort das Lied “In-A-Gadda-Da-Vida” von Iron Butterfly durch den Kopf gegangen ;-)) Weiß aber auch nicht warum.
14. September 2006 um 21:26
Ich bin auch uncool.
Gruppenstunden, Ferienlager, Jugendgottesdienste, Lagefeuer,”Herr, deine Liebe”, verliebt in einen Ministranten, meine Schwester in den Schlagzeuger.Und zwei ganz tolle Pfarrer als Religionslehrer und alles drumrum. Damals dachte ich noch, die wären alles so. Ich hab organisiert und gemacht,was hab ich da gelernt! Sie haben jedem von uns ein Riesenvertrauen entgegengebracht.
Als ich dann in die Welt hinaus kam, sah ich den Rest, und habe mich erschreckt. Aber man wird den Katholizismus nie mehr los, er ist wie Pommesfett. Er geht durch die Haut und man müffelt immer danach. Trotzdem bin ich froh, dass Herr Ratzinger wieder nach Hause gefahren ist.
14. September 2006 um 21:27
Aufhören! Ich werde den Rest des Abends “Herr, deine Liebe” vor mich hinsingen müssen, sogar die Oberstimme kann ich noch. Und alle drei Strophen. In irgendeiner Ecke muss auch die Querflöte noch rumfliegen …
14. September 2006 um 21:50
Na bravo, Frau Croco, jetzt sitzt der Mitbewohner neben mir am Sofa und singt “Heeeadeineliiiiiiiebe….”.
Isa, wir gründen eine Selbsthilfegruppe.
14. September 2006 um 21:53
In meinem Kopf läuft jetzt gerade “He’s got the whole world in his hands”, im Kanon versteht sich.
Hach, die katholische Schule…. fun times!
15. September 2006 um 8:24
“Liebe ist nicht nur ein Wort, Liebe das sind Worte und Taten” hatte ich komischerweise total verdrängt. Heute wird es mich durch den Tag begleiten, fürchte ich.
“Leben im Schatten, sterben auf Raten – haben wir was davon? Neid und Entbehrung, Leid und Zerstörung – ist das die Endstation” hätte ich da noch zu bieten.
15. September 2006 um 11:46
7 Uhr, der Wecker klingelt. Mein erster Gedanke an diesem schönen Tag: “He’s got the little bitty baby in his hands, he’s got the ….” Frau Kaltmamsell, was haben Sie mir nur angetan?
15. September 2006 um 13:59
Was mich sofort eins weiter bringt: “Dannnnke für diesen schönen Morgen, dannnke…”
15. September 2006 um 14:05
Damit niemand lalalalaaa singen muss:
http://ingeb.org/spiritua/herrdein.html
Wie wäre es übrigens mit “We shall overcome…” zum Nachtisch:-)
15. September 2006 um 14:13
Laudato si, o mio signor,
Laudato si, o mio signor,
Laudato si, o mio signor,
Laudato si, o mio signor.
Jaja, ich weiß, heute bin ich ne Sau :-)))
15. September 2006 um 19:11
Lasst uns nach Taizé reisen ….
Ubi caritas, et amor ….
15. September 2006 um 23:42
Ich stelle gerade mit Erschrecken fest, dass ich all diese Lieder noch kenne – incl. Melodie. Ich war auch mal massiv “uncool” – engagiert in evangelischer Jugendarbeit. Dass ich heute “cool” bin, daran waren ebenfalls Lieder beteiligt: “Terrible Lie” und “Heresy” von Nine Inch Nails, “Reincarnation” von Deine Lakaien. Nicht zu vergessen (paradoxerweise) die Werke eines konservativen (!) katholischen (!!) Oxford-Professors – aber die haben weniger mit Musik zu tun ud gehören deshalb eigentlich nicht hierher.
@Croco: so wie dir geht es auch dem Filmemacher Kevin Smith: er wurde seinen Katholizismus auch nie los. Aber immerhin ist aus seinem Katholizismus der geniale Film “Dogma” entstanden, bei dem ich mich heute noch vor Lachen auf dem Boden wälzen könnte.
16. September 2006 um 11:34
Liebe croco, es muss natürlich „Laudato si, o mi signore“ heißen. Wird auch heute noch extrem gerne in Konfirmationsgottesdiensten angestimmt. Mit allen Strophen. (Ja, ich sing da mit. Macht gute Laune.)
17. September 2006 um 11:40
Der Himmel geht über allen auf, auf alle über, über allen auf…
Kindergottesdienstkreis, ja ja. Denn Singen kann ich nicht. Aber mit Kindern den Hauptmann von Kapernaum spielen, das konnte ich damals schon. 24-Stunden-Meditationen, natürlich ökumenisch.
“Uncool Geborene” ist gut, werd ich auf meine Visitenkarte drucken.
Aber schön war es doch.
17. September 2006 um 11:44
Oh, und Taize hör ich immer noch gern. Mon ame se repose und so, das sind doch Klassiker, und sie machen auch glücklich. Wenn ich sie höre, geht es mir sofort besser.
(Dabei muß ich an Tomi Ungerer denken, der in GudrunBrockhaus´ beklemmendem Buch über Alltagskultur im 3. Reich erzählt, wie ihn nach wie vor die bei der HJ gelernte Marschmusik fröhlich stimmt. Der arme Mann, wenn er deprimiert ist, singt er ein paar HJ-Lieder und es geht ihm besser. Dabei haßt er das Zeug. Aber er meint, das sitzt drin. Also, da haben wir doch Glück gehabt, daß wir anders sozialisiert worden sind. Ich finde, für diese geistliche Musik muß man sich nicht schämen.)
17. September 2006 um 15:47
seltsam, wie sich Leute in jungen Jahren in den Fänge der jeweiligen Gemeinde verstricken … Jungscharfreizeiten, Kinderbelustigung, Kirchenchor und Gemeindebücherei gehörten zu meinem Dasein und bis ich das selbständige Denken lernte, war das durchaus dienstags-, donnerstags-, sonntags- sowie ferienfüllend … 1982 steckte ich noch mittendrin und bis heute kann ich die Songs, die damals im morgendlichen Beisammensein und am abendlichen Lagerfeuer mit Gitarre begleitet wurden mitsamt der zugehörigen nachfolgenden Strophen … Der erste Knacks kam übrigens von der Konkurrenz in Bayreuth, als der katholische Priester von der Kanzel herunter rief: Wenn Ihr nicht bei Gott seid, dann seid Ihr auf dem Weg in den Mülleimer …
3. Mai 2018 um 0:42
Über den Blogeintrag vom 30.04.2018 hier gelandet, und mit einer Mischung aus Amüsemang und Gruseln stelle ich fest, dass auch mir sämtliche oben zitierten Lieder — Texte und Melodien — sofort wieder präsent sind. (Niedersächsischen Protestantentum hier, inkl. jahrelang Kindergottesdienst, Kinderchor, Konfirmandenunterricht und christliche Pfadfinder.)
Nur einer, und in seiner Betulichkeit einer der schlimmsten dieser Ohrwürmer, fehlt da oben: “Kleines Senfkorn Hoffnung”. Kennste? Kennste? [schaudernd ab]