Hey HEY!
Samstag, 6. Januar 2007 um 9:26Noch verwehre ich mir, diesen Traum detailliert auszumalen, aber einiges deutet darauf hin, dass ich wieder Zeit für Step-Aerobics haben könnte. (Womit ich mir locker in puncto Stilanspruch widersprochen habe, denn ein Haufen bunt gekleideter Menschen, die auf möglichst verschiedene Art ein Bänklein hoch- und runtersteigen, könnte gar nicht weiter von einem ästhetischen Anblick entfernt sein).
Ein Detail aus meiner jahrelangen Aerobic-Phase ist ohnehin Bestandteil der Kommunikation zwischen meiner Mutter (Aerobics-Aficionada seit sicher 15 Jahren) und mir geblieben, sogar zwischen dem Mitbewohner und mir: Vorturnerinnen und Vorturner bedienen sich meist eigener Anfeuerungsrufe, um die wedelnde und hopsende Truppe anzutreiben. Darunter sind sehr spezielle („AYAYAY!“ von einem brasilianischen Popowackler / „JAWOLL!“ eines DJ-Ötzi förmigen Gugelhupfs), aber handelsüblich ist „hey HEY!“. Und dieses setzen wir drei inzwischen gerne ein, wenn das Gegenüber bei welchem Vorschlag auch immer nicht so recht ziehen will oder auch sonst den Eindruck erweckt, einer Anfeuerung zu bedürfen. Ich glaube, das fing an, als ich zusammen mit meiner turbosportlichen Mutter an einer Aerobicstunde teilnahm, in der sich der Ruf der Vorturnerin so gekünstelt angelernt und abgelesen anhörte, dass wir beide vor Kichern immer wieder strauchelten: „Hey.“ „Hey.“
Zu Aerobics kam ich Mitte der 90er, als ich gerade meine Magisterarbeit schrieb, feststellte, dass meine Knie- und Haut-Empfindlichkeiten den regelmäßigen Sport im Schwimmbad verhinderten und als ich deshalb nach einer alternativen Bewegungsform suchte. Die ich fand, als in meinem Briefkasten der Flyer eines nahe gelegenen Fitnessstudios lag, der ein billiges Studentenabo (nur Vormittage und Wochenenden, ohne Gerätenutzung) vorschlug. Ich schlug ein – und fand mich in einer bislang unbekannten Sportwelt wieder. Beim ersten Mal fand ich es noch albern, am Ende des Gehüpfes 15 Minuten lang „Cool down“ zu betreiben und zu dehnen. Doch schon als ich danach nur eine Andeutung von Muskelkater hatte, dachte ich um. Ich genoss den hohen Tanzanteil in dieser Sportart und lernte sogar, den bösen riesigen Spiegel der Turnhalle lediglich zur Korrektur meiner Haltungen und Bewegungen zu verwenden, ansonsten aber über die Lächerlichkeit der Gesamterscheinung hinweg zu sehen.
Die folgenden Jahre ging ich immer öfter in Aerobicstunden und entwickelte schon bald eine Vorliebe für Step-Aerobics. Dazu stellt jede Turnerin ein stabiles Bänkchen („Step“) von etwa 90 cm mal 30 cm Fläche vor sich hin, etwa 20 bis 30 cm hoch. Zu Musik wird dann hoch und wieder herunter gestiegen („Basic“), im Gleichschritt, zu Musik. Lustig wird es, wenn man das in verschiedensten Schrittformen und um den ganzen Step herum tut.
Nach wenigen Monaten langweilten mich die Vormittags- und Wochenendstunden in meinem Fitnessstudio und ich erweiterte den Vertrag auf alle Kurse. Somit konnte ich endlich in die interessante „Step Masterclass“ bei Vorturnerin Sissi. Wie jede leidenschaftliche Aerobicerin hatte ich schnell Präferenzen für bestimmte Trainerinnen entwickelt, und Sissi war meine Favoritin. Dabei konnte ich anfangs noch gar nicht einschätzen, wie sehr sie allein schon äußerlich von der Durchschnittsvorturnerin abwich: Die dunkelhaarige Sissi war sehr groß, sehr schmal und langgliedrig; meiner sonstigen Erfahrung nach sind Aerobictrainerinnen sonst eher klein und muskulös bis stämmig, außer sie geben tanzbetonte Stunden, dann sind sie wieder eher auf der Ballerinen-Seite. Außerdem führte sie ihre immer überraschenden Choreographien mit perfekter Präzision aus und achtete wie ein Haftlmacher darauf, dass die Turnerinnen sich nicht durch falsche Ausführung in Verletzungsgefahr brachten. Außerhalb des Studios war sie sehr zurückhaltend und schüchtern, doch im Hüpfsaal verbreitete sie einen liebevollen Kasernenton (ja, das geht).
Gruppenfoto 1997 nach Aerobicstunde. Für eine Mitturnerin, die gerade in einer Klinik ihre Anorexie therapierte.
In München schloss ich mich einer Studiokette an und hatte damit die Auswahl zwischen den Stundenplänen von sechs Studios (und darunter zwei mit mehreren Sälen). Je nach Kursart und Vorturnerin gondelte ich also abends und an den Wochenenden in halb München herum, um auf meine Kosten zu kommen.
Der nächste Schritt war der Wunsch, auf die andere Seite zu wechseln und mich selbst zur Vorturnerin ausbilden zu lassen. Als Mitturnerin war ich – das wird die Leserinnen und Leser der Vorspeisenplatte nicht überraschen – der Alptraum jeder unsicheren Vorturnerin. Wenn ich eine Choreografie besonders bescheuert fand (nicht aus künstlerischen Aspekten, sondern weil die Teile so schlecht zusammen passten, dass höchste Unfallgefahr bestand), machte ich das nonverbal sehr deutlich. Oder wenn die Trainerin die Takteinheiten nicht erkannte, im allerschlimmsten Fall nicht mal die Eins hörte. Dann konnte es durchaus passieren, dass ich konsequent im richtigen Takt dagegen hielt. Nein, ich bin wirklich kein netter Mensch.
Die Trainerinnenausbildung lief in einem Münchener Fitnessstudio über zweimal eine Woche im Block und dann noch ein paar Wochenenden. Das war klasse, selten habe ich meinen Urlaub für Anregenderes genutzt. Natürlich fand ich sehr schnell heraus, wie kompliziert und anstrengend das Vorturnerinnentum ist, wie viele Details es gleichzeitig zu beachten gilt, und wie hoch die Kunst ist, mit dem Gesicht zur Gruppe vorzuturnen, also spiegelverkehrt. Mein Respekt vor Vorturnern und Vorturnerinnen (die Berühmten der Szene heißen übrigens Presenter) stieg.
Die anderen Aspirantinnen waren wie ich lediglich hüpfbegeistert und keine Profis, es gab weder Gezicke, noch brach ein Klamottenkrieg aus. Klar waren die Blockwochen ausgesprochen anstrengend; manchmal befürchtete ich, ich würde nie mehr anders zählen können als „UND VIER! DREI! ZWEI! EINS!“
Als Anfeuerruf brach aus mir heraus: „IIIII-HAAA!“ Genau, wie die Freizeit-Cowboys in City Slickers. Ich will nicht wissen, was das über mich verrät.
Nach der theoretischen (Muskeln, Stoffwechsel, sonstiger Sporttrallala) und praktischen Prüfung gab ich gerade mal zwei Stunden. Dann brachen meine drei Jahre ohne jede Sportlust herein.
Soweit die Erinnerung. Mal sehen, ob ich bald über neueste Entwicklungen in der Hüpfszene berichten kann. Was man heutzutage wohl so trägt? Sind am End Legwarmers und neonfarbene Stirnbänder zurückgekehrt? Gibt es überhaupt noch Step Aerobics in München?
Nachtrag 7.1.: Prompt erzählt Faustus die passende Vorturner-Geschichte aus New York.
die Kaltmamsell5 Kommentare zu „Hey HEY!“
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6. Januar 2007 um 14:40
Ooooh ja, die gibt’s noch, die Stepaerobic! Sie hat sich ziemlich verändert seit Mitte der 90er (keine Taps mehr…) – aber sie macht immer noch viel Spaß. Falls Ihnen ein Herr Dimos, ein Herr Franco oder Herr Vaso über den Weg laufen, dann greifen Sie unbedingt zu und hüpfen Sie mit! (Die Filiale der großen Kette am Prinzregentenplatz ist mit Sicherheit immer noch DAS Mekka schlechtin in dieser Stadt.)
6. Januar 2007 um 15:40
Wow, Frau Kaltmamsell, mir ist gerade beim Lesen der der Arerobic-Schweiss augebrochen. „IIIII-HAAA!“
6. Januar 2007 um 15:48
Sehen Sie sich in der oben genannten Filiale auch einmal den Step beim Herrn Johny an. Den kann ich Ihnen ebenfalls wärmstens empfehlen.
@Kecks: Sieh an, so sieht man sich wieder! ;-)
6. Januar 2007 um 21:56
hey HEY!
wir dürfen gespannt sein!
7. Januar 2007 um 0:12
Schon lange liebäugel ich mit den Aerobic Kursen (weil terminlich so günstig), hatte aber die üblichen Vorurteile (“alberne Hüpfdohlen in pastellfarbenen Outfits”) und beschränkte mich deswegen auf ThaiBo und ähnlich martialisch Seriöses. Aber wenn die Frau Kaltmamsell eine Vorturnerin und Verfechterin ist, dann muss ich da wohl umdenken und es mal versuchen.