Berlin im Frühling 2014 – 5, re:publica
Donnerstag, 8. Mai 2014 um 8:38So ein Leben mit Nachtleben bin ich nicht gewöhnt, nach dem vierten ausgegangenen Abend in Folge brauchte ich dann doch Schlaf. Ich ließ die erste Veranstaltungsschiene ausfallen und trat erst zu einer weiteren Session an, in der die re:publica-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer beschimpft wurden, zu Yasmina Banaszczuks “Get real, Netzgemeinde”. (Saal überfüllt, ich begann den Kongresstag mit kaltem Hintern auf dem Boden.)
Im Gegensatz zu Sascha Lobo am Vorabend sieht Yasmina, die ich als stern.de-Kolumnistin Frau Dingens schätze, die Handlungsnot des Internetaktivismus in der Integration größerer Bevölkerungsgruppen ins Internetleben. Wenn sie den Begriff schon verwendete, fragte sie allerdings auch, ob es sowas wie die Netzgemeinde überhaupt gebe oder ob auch nur die Besucherinnen der re:publica genug verbinde, um sie als Gemeinde bezeichnen zu können. Ich nehme Letzteres auf jeden Fall an, und sei es nur die Zustimmung, dass das Internet etwas Gutes ist. Der Titel des Vortrags aber und Yasminas Ausführungen wiesen darauf hin, wie klein und ausgrenzend diese Gemeinde ist; eine Elite, die auch die ausgrenze, die etwas bewegen könnten, komme aber naturgemäß zu nichts. Ich gebe ihr Recht (auch wenn ich in einer Wortmeldung das Gegenteil vorschlug: Eine schlagkräftige, charismatische Lobbygruppe für uns Interessensverband). Allerdings bin ich schon seit Jahren zu ungeduldig, Menschen das Internet zu erklären oder gar nahezubringen, die massive Resentiments haben. Die Welt ist groß genug für uns alle, dann lasst das mit dem Web halt bleiben (solange ihr mir nicht immer wieder aufs Neue unter die Nase reiben müsst, wie sehr und konsequent ihr das tut). Auf sachlicher Ebene erkläre ich das Internet aber immer wieder gerne.
Mitgenommen aus dem Vortrag habe ich mir unter anderem, dass es in der YouTube-Welt (wo DIE jungen Leute sind) eine Ecke gibt, in der wirkungsvoll gegen hate speech vorgegangen wird. Und aus einer Reaktion auf meinen provokanten Gegenvorschlag, dass wir gemäß Vorbild ADAC richtig schlagkräftig werden könnten, wenn wir einen verlässlichen, wohl organisierten Gadget-Reparaturservice anböten.
Als ich im gedruckten Tagesprogramm entdeckte, dass Katharina Borchert als Diskussionsteilnehmerin zum Thema “Lohnt sich Onlinejournalismus überhaupt noch? Das Problem der Monetarisierung” angekündigt war, plante ich spontan um und ging dorthin. Doch da war keine Lyssa auf der Bühne. Auf mein getwittertes Bedauern verwies sie mich auf das Podium, auf dem sie tatsächlich mitdiskutieren würde.
Eine Bereicherung war dieses Panel aber auch ohne sie. Ich erfuhr Zahlen, wie weit die traditionellen Medien inzwischen neue journalistische Formen wie Blogs und Bewegtbild integriert haben, und wie viel stärker inzwischen reine Onlinepublikationen um ihre Einkünfte kämpfen müssen. Richard Gutjahr, der ja schon in den vergangenen Jahren eine Reihe von Einkunftssysteme für seinen Onlinejournalismus ausprobiert hatte, berichtete von seinem aktuellen Einsatz von LaterPay. Denn einerseits schilderte er genau das Dilemma, in dem wir wertschätzende Leserinnen täglich stecken: Wir lesen etwas Großartiges und würden gerne dafür zahlen (oder lesen einen Teaser, würden gerne gegen Geld den ganzen Artikel lesen), 20 Cent vielleicht – doch man lässt uns nicht! Wir sollen statt dessen Abos für 60 Euro kaufen, die uns nicht nur auf einen langen Zeitraum verpflichten, sondern auf ein Medium festnageln – wo wir doch im Internet meist gar nicht mitbekommen, ob wir gerade bei der FAZ oder bei der Welt gelesen haben. Andererseits kenne ich das Problem der Mikro-Payments: Die Zahlungsabwickler beharren darauf, dass ihr Aufwand für die Abwicklung so groß sei, dass sie sich nur für enorme Gebühren lohne; von 50 Cent Zahlung über PayPal bleiben laut Gutjahr 14 Cent Einnahme. LaterPay scheint eine Alternative zu sein. Zumal Gutjahr sich von Systemen wie flattr auch deshalb verabschiedet hat, weil er “keine Almosen, sondern echte Bezahlung” beansprucht. Kann ich nachvollziehen.
Nachtrag: Hier die Diskussion zum Anschauen.
Journelle, Bloggerinnenurgestein, das praktisch schon immer da war, erzählte uns was über “Beyond Porn oder Die digitale sexuelle Revolution”.
Denn einerseits fällt ihr immer wieder auf, wie verdrängt, verzerrt und sprachlos die Themen Sexualität und Porno in der Mainstream-Öffentlichkeit sind, andererseits hat sie miterlebt, wie lebendig und nahbar sie im Internet sind. Mit Präsentationsfolien, die mich immer wieder an den Stil ihres Bruders erinnerten (die Elisabethaner hätten sie begeistert für ihr Konzept des conceit verwendet), zeigte sie auch, wie sich die gesamte Sexindustrie im Web endlich auch aus eigener Perspektive darstellen kann und nicht mehr ausschließlich unter Ausschluss der Beteiligten diskutiert wird. Der große Saal war knallvoll, es wurde viel gelacht und am Ende begeistert applaudiert.
Nachtrag: Hier der Vortrag zum Anschauen.
Lyssa erwischte ich dann doch noch auf der Bühne in den letzten Minuten von “Kapuzen auf! – Über Hoodiejournalismus, Blätterrauschen und andere Neuheiten im Pixelwald” (leider ohne den Aufhänger-gebenden Stefan Plöchinger). Ich bekam gerade noch mit, dass der größte und dominierende Traffic-Zuwachs bei allen drei vertretenen Medien über Facebook kommt, dass also immer mehr Menschen die Artikel auf oder über Links auf Facebook lesen. Jochen Wegner berichtete auch, dass Facebook Medien ganz gezielt und auffallend umwerbe. Mehr über diese Session bei kress.de.
Nach einer Runde Damenkaffeekränzchen auf dem Affenfelsen (von Frau wortschnittchen mit Deckchen, Kaffee und schönem Geschirr ausgestattet) hörte ich mir Brigite Zypries’ Aussagen zu “Die digitale Agenda” an. Ich begrüße es sehr, dass Spitzenbundespolitikerinnen persönlich rüberkommen (bildete mir ein, Frau Zypries auch schon am Vortag auf dem Hof gesehen zu haben), und auch wenn Frau Zypries nichts sehr Neues erzählte, wurde schnell ihre tiefe inhaltliche Kenntnis klar. Vor dem Publikum der re:publica musste sie halt nicht so viel vereinfachen wie sonst. Gelernt habe ich von ihr die diplomatische Korrektur: “Da war eine gewisse Unschärfe drin”, nachdem die ihr gestellte Frage massive sachliche Fehler enthalten hatte.
Nachtrag: Hier das Interview zum Anschauen.
Am späten Nachmittag endlich die Session, auf die ich mich seit Wochen gefreut hatte: “Irgendwo muss man halt anfangen – Programmieren für Nullcheckerbunnys” von Anne Schüßler und Kathrin Passig. Ich war ja vergangenes Jahr dabei gewesen, als die beiden auf das “Man müsste mal” dazu kamen, das zu diesem Workshop führte. Kurz hatte ich befürchtet, meine Kenntnis von dreieinhalb HTML-Tags könnte mich bereits vom Nullcheckertum ausschließen, doch des Mitbewohners schallendes Gelächter als Antwort beruhigte mich. Er kann nämlich programmieren.
Es war eine hochunterhaltsame Stunde. Zum einen wirkten die großen Bilder von süßen Tieren auf jeder Folie, die für uns Nullcheckerinnen das Programmieren positiv besetzen sollten. Zum anderen vermittelten Kathrin und Anne wirklich die Zuversicht, dass der Einstieg ins Programmieren machbar ist – und nur darum ging es. Immer wieder betonten sie es, wenn Empfehlungen ausschließlich für den Einstieg galten (zum Beispiel Code kopieren, den man nicht versteht). Und nun bilde ich mir nicht nur ein, dass auch ich es einfach mal versuchen könnte, sondern weiß auch, mit welchem Projekt ich anfange (was fürs Blog).
Sobald ich weiß, wo die Präsentation steht, verlinke ich sie hier.
Nachtrag: Hier ist sie.
Den Abend nahm ich mir menschenfrei – und traute mich sogar, nicht einfach wortlos zu verschwinden, sondern mich mit dieser Erklärung zu verabschieden. Denn mein Rudel, diese Leute auf der re:publica, die verstehen sowas.
(Gerührt bin ich übrigens auch davon, dass die re:publica mittlerweile zumindest von ein paar Menschen in traditionellen Medien verstanden wird: “Hier können alle für eine freie Gesellschaft kämpfen”.)
die Kaltmamsell3 Kommentare zu „Berlin im Frühling 2014 – 5, re:publica“
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8. Mai 2014 um 19:15
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8. Mai 2014 um 20:40
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8. Mai 2014 um 20:41
dann kam ich so spät zum Kaffeekränzchen, dass Sie schon wieder weg waren. Also vielleicht nextes Jahr, obwohl ich hinsichtlich der rp15 grad ein wenig unentschlossen bin..
Zu viel Mensch war mir das oftmals dieses Jahr.
lG
antje