Journal Dienstag, 14. Oktober 2014 – der Hemingwaykellner und Geld von der VG Wort
Mittwoch, 15. Oktober 2014 um 7:49Das Biergartenorakel vor dem Bürofenster besagte vormittags, dass sehr schönes Wetter werden würde. Über die Monate hatte ich bemerkt, dass das Eindecken oder Nicht-Eindecken dieses Außenbereichs des italienischen Lokals ein recht sicherer Indikator für das Wetter im weiteren Verlauf des Tages war. Nur einmal hatte ich erlebt, dass das Personal nachmittags hektisch die großen Schirme aufspannen musste, um die Gäste vor einem überraschenden Regenguss zu schützen.
Doch gestern sah ich, wie ein weißhaariger Kellner karierte Decken über alle Tische legte (nur ein Teil der Tische wird eingedeckt bedeutet Regengefahr oder kühle Temperaturen), Aschenbecher darauf verteilte. Er trug zum mediterranen Kellner-Standard des weißen Hemds und der schwarzen Hose eine dunkle Schürze als Schmutzschutz und eine Steppweste, arbeitete ernst und ohne Hast, die Bewegungen etwas steif, die Füße etwas eckig gesetzt, für einen Blick über die Schulter musste er den Oberkörper mitdrehen. Ich hätte gerne eine Hemingwaykurzgeschichte über ihn geschrieben.
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Das Wetter war dann auch glorios, mittags riss ich mich für einen kleinen Spaziergang los, aß ein Spinatbörek in der Sonne.
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Nach der Arbeit war ich zu einem Vortrag verabredet:
“Behind the Mask: WWI, Plastic Surgery, and the Modern Beauty Revolution”
Lubins These: Aus der Hässlichkeit kriegsversehrter Gesichter entstand ein neuer Schönheitskult. Der Kulturwissenschaftler beschrieb die Entstehung der ästhetischen Chirurgie aus der Notwendigkeit, den entstellten Veteranen des ersten Weltkriegs einen Weg in den Alltag zu verschaffen mit interessanten Details. Doch der Sprung zur Behauptung, daraus sei in den USA direkt das Bedürfnis von Frauen entstanden, die neuen Techniken zur Beseitigung von Schönheitsmakeln einzusetzen, war nicht hergeleitet und unbelegt. Spannender fand ich da schon seine Ausführung über die veränderte Haltung der Gesellschaft zur Maske in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts.
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Anfang 2013 raffte ich mich dann doch mal auf, dieses Blog bei der VG Wort zu melden. Zusammen mit dem Mitbewohner kämpfte ich mich durch den sehr eigenwilligen Prozess, mit dem man dort Beiträge einträgt. Ich holte mir die Liste von Zählpixeln, von denen man zur Erfassung jeweils einen hinter einen ausreichend langen Blogpost stellt – was ich meist eh vergaß und erst nach Tagen nachholte. Und von allein kommt sicher niemand darauf, dass es der Menüpunkt “Zählmarken recherchieren” ist, mit dem man den Text dann auf der Website der VG Wort anmeldet, “Webbereich anlegen”, wo die URL des Posts hinterlegt wird.
Doch ich wollte das zumindest ein Jahr durchspielen, um zu sehen, wie viel Geld dabei herauskommt. Als ich mir dafür Anfang des Jahres bei der VG Wort erst nochmal die Liste aller zur Auszahlung in Frage kommender Beiträge holen musste, diese dann ein weiteres Mal in ein Formular eintragen, war ich kurz davor hinzuschmeißen.
Gestern war Zahltag: Das Lesen der Blogtexte, die ich 2013 bei der VG Wort gemeldet habe, ergab eine Ausschüttung von 644 Euro. Die muss ich zwar noch versteuern, aber das ist schon echtes Geld. Erst schwankte ich, ob es genug ist, den bürokratischen Aufwand zu rechtfertigen. Doch wenn ich das Zählpixelverwalten, Onlineeintragen, Anmelden, Buchführen als stupiden Nebenjob ansehe, für den ich übers Jahr zusammengezählt einen Tag arbeite, passt das.
die Kaltmamsell19 Kommentare zu „Journal Dienstag, 14. Oktober 2014 – der Hemingwaykellner und Geld von der VG Wort“
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15. Oktober 2014 um 8:42
Herzlichen Glückwunsch zur VG-Wort-Tantieme. Für mich die letzte Wildnis, voller Unvorhersehbarkeiten. Naturgemäß kann man mit solchem Geld nichts anderes tun, als es willkürlich zu verprassen.
15. Oktober 2014 um 11:32
Am schönsten und nächstliegenden fände ich es, iv, das Geld mit den Lesern und Leserinnen des Blogs zu versaufen. Ich könnte es als Grundlage für den großen Bloggerball nehmen, den ich doch noch irgendwann in diesem Leben veranstalten möchte.
15. Oktober 2014 um 14:58
Wie immer sind die Überlegungen der Kaltmamsell nicht an Folgerichtigkeit zu überbieten :)
15. Oktober 2014 um 20:57
Bloggerball?!???!?
Ich bin ja auch sehr für festliche Zusammenkünfte. Aber können die uns bekannten männlichen Blogger denn beim Wiener Walzer führen? Alternativ könnte man auch festlich tafeln. Für einen Teil der Getränke könnte es reichen. Meine fünf Gänge würde ich notfalls selber bezahlen! Unerlässlich dagegen fände ich eine gewisse Kleiderordnung. Bitte Abendgarderobe. Cocktailkleider fände ich schon zu salopp. Dresscode so Richtung Oscar-Verleihung. (bin gleich ganz stark motiviert, merke ich gerade)
15. Oktober 2014 um 21:52
In meinen Träumen habe ich an alles gedacht, Gaga: Am Abend vor dem Ball gäbe es einen kleinen Tanzkurs. Denn ein Ball müsste es schon sein, mit Tanzorchester. Speisen in einem Nebenraum. Bowle. Vielleicht ein Kartentisch, Billard, ebenfalls im Nebenraum. Meine Träume haben vermutlich zu lange in englischen Romanen des frühen 19. Jahrhundert herumgelungert.
15. Oktober 2014 um 21:59
Das mit dem Tanzkurs ist zwar löblich, aber müssen Blogger nicht mehr üben als nur einen Abend? So als Stubenhocker ist man doch ein bißchen eingerostet. Es soll schon auch virtuos ausschauen, denn ich werde selbstverständlich meine Kamera draufhalten (während ich selber das Tanzbein schwinge!). Das mit dem Herrenzimmer ist zwar ein dekorativer Einfall, ich gebe jedoch zu bedenken, dass sich ein derart ausgestatteter Nebenraum schnell zum bevorzugten Fluchtpunkt für Drückeberger im Tanzsaal entpuppen könnte. Vielleicht lieber ein Raucherzimmer mit einer tollen Auswahl an Branntweinen. Dort würde auch mich zu gegebener Zeit hin und wieder zurückziehen und an einem Gläschen Haselnussgeist nippen.
15. Oktober 2014 um 22:01
Ach, unter uns Bloggern und Bloggerinnen werden die Geschlechterrollen beim Tanzen ganz frei gemischt, das wird schon. Notfalls Volkstanz mit Vortänzern.
15. Oktober 2014 um 22:31
Ja, genau! Die sich anziehenden Geschlechter sollen sich auch im Ballsaal mischen. Nicht wie in diesen Fermsehreportagen, wo überwiegend heterosexuelle ältere Damen im Witwenstand miteinander tanzen, die nicht miteinander verheiratet sind. Von gleichgeschlechtlichen Ehepaaren erwarte ich sowieso, dass sie mit dem Ehepartner tanzen. Idealerweise wird jeweils mit dem erotisch bevorzugten Geschlecht das Tanzbein geschwungen. Wenn Volkstanz nur Sirtaki (betrunken, mit Gläser schmeißen). Verkumpelte Leute beim Paartanz haben einfach nicht genug Körperspannung (immer ans Bild denken!). Das wird dann zu lustig! Die Veranstaltung braucht natürlich auch Lustigkeit aber auch jede Menge Sex Appeal!
15. Oktober 2014 um 23:26
Ach so, ich dachte ja erst an so was wie Rollerball.
Das ist aber nicht der Sex Appeal, den Ihr meint?
https://www.facebook.com/pages/Bloggerball-Sports-20/192993987406940
15. Oktober 2014 um 23:44
Der Link überfordert mich.
15. Oktober 2014 um 23:56
Also Wien & Walzer mache ich sofort. Dann wird es allerdings eng. Nein, Freeform, heißt das ja heute. (Wobei das jetzt keine Selbsteinladung sein soll, auch wenn ich hier einfrig klicke, mindestens für 1,37 Euro/Jahr).
Ich hatte das vor ein paar Jahren, als die VG-Wort das erstmalig anbot, auch ausprobiert. In erster Linie, um zu sehen, ob ich überhaupt die Mindestabrufzahlen erreiche. War ganz interessant, ich habe das Geld allerdings nicht abgerufen, wegen der Nutzungsbedingungen bei Blogger.de. Serverkosten kann man aber einspielen, insofern ist das schon eine gute Sache.
16. Oktober 2014 um 0:23
Walzer langt! Der wichtigste Gesellschaftstanz meines Erachtens. (postuliere ich forsch aufgrund meines einzigen Erfolgserlebnisses mit Gesellschaftstanz: ein weiträumiger Wiener Walzer mit einem blendend aussehenden, hervorragend ausgebildeten Schauspieler anlässlich eines Jahreswechsels im letzten Jahrhundert, bei dem man sich nicht nur nicht auf die Füße getreten ist, sondern sich gegenseitig vorgaukelte, sich virtuous zu einer Melodie von Johann Strauss zu bewegen. Er konnte eben führen. Und das ist bei mir die größte Herausforderung!) Ganz nebenbei bin ich der Meinung, dass kid37 und ich hier mit den größten Anteil erwirtschaftet haben und daher ein besonderes Mitspracherecht bei der Gestaltung des großen Bloggerballs erhalten sollten. Ich bin auch ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, ein passendes Palais in Wien auszuwählen (das Schwarzenberg steht glaube ich immer noch leer).
16. Oktober 2014 um 6:20
Nix, Wien, Gaga, es müsste schon ein Palais in München sein. Meine Träume spielen in diesem Gobelinsaal (ist auch das Hintergrundfoto – mit Balkon!):
http://rilano-the-martini-club.de/eventanfrage/raumplane/
16. Oktober 2014 um 9:47
Den historischen Hintergrund zu dieser Location könnte ich übrigens sehr wendungsreich referieren. Da sind einstmals edle Orientteppiche verkauft worden.
16. Oktober 2014 um 11:05
(dumme?) Frage: von wem kommt das Geld, das VG Wort an die Blogger verteilt?
Ich kenne die Anträge von früher, da kam das Geld – glaube ich – aus den Kopierautomaten, von den Verlagen, die die Werke gedruckt haben, etc.
Aber ich kann mir gerade nicht vorstellen, wie das bei Blogs gehandhabt wird. Vielleicht über die GEZ?
16. Oktober 2014 um 11:21
@Claudia F. : Die Einnahmen kommen nach wie vor über Bibliotheksabgaben, Kopierer, Verlage – und auch über Sender (insofern nur indirekt über die GEZ, als darüber die ÖR-Sender finanziert werden).
16. Oktober 2014 um 14:43
Das BGH entschied im Sommer 2014, dass die Hersteller auch auf alte Drucker und PCs rückwirkend eine Abgabe zahlen müssen. Bereits 2013 entschied der EuGH, dass auf die Geräte in Deutschland eine Abgabe erhoben werden darf.
16. Oktober 2014 um 17:02
VG Wort – ehrlich, was es nicht alles gibt.
@ englischer Landhausbloggerball: unbedingt Nierchen zum folgenden Frühstück, dargereicht von weißbehandschuhter Person auf silbernem Tablettchen.
Die Oscarverleihungsgarderobe finde ich super (vielleicht mehr so 80s style, Joan Collins?), könnte mir auch eine stilechte Hoperserei im Stil der 20er Jahre vorstellen.
17. Oktober 2014 um 1:37
Ich habe mir heute Abend die Mühe gemacht, mir einen Überblick über Abendroben zu verschaffen. (…)
(Und das Wort “Landhaus” möchte ich bitte ganz schnell aus dem Bloggerball gestrichen haben. Möglicherweise purzeln hier bei einigen Lesern gerade ein paar Assoziationen durcheinander. Es handelt sich nicht um eine Einladung zum siebzigsten Geburtstag der Kaltmamsell.)