Belege meiner tief verwurzelten Spießigkeit
Dienstag, 8. Januar 2008 um 9:30Ich bin ja immer noch sehr getroffen durch die Unterstellung, ich hätte etwas mit dem „neuen deutschen Spießer“ gemein: Da schreibe ich schon vor Jahren das Lob des Spießertums, werde nicht müde auf mein angeborenes Naturspießertum zu verweisen, und dann unterstellt man meiner Spießigkeit Neuigkeit und Deutschtum?
Lassen wir doch Fakten sprechen:
– Ich war bei den Pfadfinderinnnen.
– Ich habe im Jugendchor gesungen.
– Zum Wohnen bevorzuge ich Altbau.
– Ich habe einen Perserteppich im Wohnzimmer liegen, darunter ist Parkett.
– Meine Wohnung ist mit dunkel gebeizten Spießermöbeln eingerichtet, darunter die eine oder andere billige Antiquität.
– Mein bestes Geschirr (ich habe ein bestes Geschirr!) trägt Goldrand.
– Beim Essen daheim lege ich immer Sets unter und Servietten (Stoffservietten!) auf.
– Ich besitze ein Bügelbrett, und das habe ich mir mit 19 selbst gekauft.
– Ich mache jeden Tag mein Bett.
– Ich schwimme im sportlichen Mainstream: in den 90ern Aerobic, seit zwei Jahren Dauerlauf.
– Ich stecke mitten im kulinarischen Mainstream: Selber kochen, Ablehnung von Fast Food, hie und da ein Weinseminar, gerne mal ein Besuch in einem hochklassigen Restaurant, Foodblogs lesen.
– Ebenso fett sitze ich im kulturellen Mainstream: Ich lese fast ausschließlich Bücher aus hohen Auflagen, höre – wenn überhaupt – Massenmusik (selbst bei Klassik), gehe – wenn überhaupt – in ganz große Ausstellungen in großen Museen.
– Der gemeinsame Haushalt steckt voller Mainstream-Technik, darunter Fernseher, Videorekorder, CD-Spieler, DVD-Rekorder, Radio, Plattenspieler, Kassettenrekorder, Ipod, Stationärcomputer, Mobilcomputer, Drucker, Scanner, Mobiltelefone, Stationärtelefon, Anrufbeantworter.
– Ich arbeite in Festanstellung im Büro.
– Ich unterhalte eine Altersvorsorge-Lebensversicherung.
– Urlaub mache ich an bekannten Tourismusorten, reise lieber kürzer und bequem als länger und strapaziös.
– Auch in meiner Jugend bin ich selten im wilden Sinn ausgegangen, sondern habe mich eher mit Freunden auf ein Bier getroffen.
– Ich liebe Latte macchiato.
– Oft lese ich als ersten Teil der Zeitung das Feuilleton.
– Ich bin Abonnentin der meistverbreiteten deutschsprachigen Tageszeitung.
– Ich bin verheiratet.
– Ich gehe früh ins Bett und habe nichts gegen frühes Aufstehen.
– Ich höre ausschließlich öffentlich rechtliches Radio.
– Ich fotografiere viel.
– Ich schaue gerne Tatort im Fernsehen an.
– Ich lese gerne Krimis.
Und das ist nur der Anfang!
die Kaltmamsell16 Kommentare zu „Belege meiner tief verwurzelten Spießigkeit“
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8. Januar 2008 um 9:58
Hm, ja, OK. Wenn das also Spießertum ist, dann liege ich auch nicht so weit weg davon.
8. Januar 2008 um 10:58
“Mit Beginn des 20. Jahrhunderts kommt die Kurzform Spießer (und das Adjektiv spießig) auf, die anfangs als Kampfbegriff adliger Kreise gegenüber dem Bürgertum, später meist fortschrittsorientierter und politisch linker Gruppierungen gegen die gesellschaftlichen Führungseliten (das sog. “Establishment”) verwendet wird.”
hier
Im alten Sinne bin ich gerne bürgerlich. Mit fehlt nur noch der Parkettboden, aber der kommt noch.
8. Januar 2008 um 11:06
Brillianter Hinweis, liebe croco! Unter “Literatur” lese ich nämlich weiter:
“In seinem 1930 erschienenen Roman Der ewige Spießer charakterisiert der Schriftsteller Ödön von Horváth einen Spießer als einen ‘hypochondrischen Egoist, der danach trachtet, sich überall feige anzupassen und jede neue Idee zu verfälschen, indem er sie sich aneignet.’ Der Spießer reist in der Welt herum und sieht doch nur sich selbst. Was gut und böse ist, weiß er, ohne nachzudenken.” Ja!
8. Januar 2008 um 12:08
Vollkommen einleuchtend. Nur eines macht mir Kopfzerbrechen: ist nicht eines der Kennzeichen des Spießers, daß er sich für das genaue Gegenteil eines Spießers hält?
Ich bin zwar im Herzen spießig, aber meine Lebensform weist leider einige bedauerlich unspießige Schlenker auf. Ich glaube, in der Teilmenge Bildungsschmock treffen wir uns dann wieder.
8. Januar 2008 um 13:07
… und ich kann jetzt mit meiner Spießerkaffeemaschine sogar selbst Spießer-Latte-Macchiato machen!
8. Januar 2008 um 16:06
Mann, da 90% in der Aufzählung auf mich ebenfalls zutreffen, bin ich auch Spießerin.
Incl. Bügelbrett, welches ich auch mit 19 gekauft habe.
8. Januar 2008 um 23:18
Ich habe mit 19 Lachstürme ausgelöst, als ich mir zum Abi einen Eierpicker gewünscht habe ;-) hab ihn auch gekriegt.
Gibt es Leute ohne Bügelbrett???
8. Januar 2008 um 23:53
Bügelbrett habe ich auch, das ist hilfreich, aber der Latte macchiato tut weh.
9. Januar 2008 um 11:38
“Naturspießigkeit” kenne ich nur aus Ihrem Blog, diesmal noch verstärkt durch “angeboren”. Das warf bei mir schon immer zwei Fragen aus dem Themenkomplex “Ironie – ja oder nein?” auf: Kokettieren Sie bewußt mit einer biolog(ist)ischen Erklärung Ihres Spießertums? War Ihnen bei Ihrer Wortschöpfung der in der Pornoindustrie gern verwendete Begriff der “Naturgeilheit” bekannt? Abgesehen davon haben Sie mich keineswegs von Ihrer Spießigkeit überzeugt (und würden es auch nicht mit einer Verlängerung Ihrer Liste schaffen).
9. Januar 2008 um 17:27
Fehlen nur noch Eigenheim und Kinder;-)
9. Januar 2008 um 17:32
Ja, das klassifiziert definitiv als Spießerin :-)
Und ja, es gibt noch Leute ohne Bügelbrett. So habe ich (genau Mitte 30) erst nach meinem Studium (mit 30) eines von meiner Oma aufgedrängt bekommen (so ein gaaanz altes gebrauchtes). Welches ich genau..hm…für ein viertel meiner Vorstellungsgesprächsklamotten benutzt habe. Im Durchschnitt komme ich auf eine Ntzung von 2x im Jahr. Es liegt an meinem Bügelekel. :-)
Grüße aus dem Norden, Britta
9. Januar 2008 um 18:16
Verzeihung, Frau Kaltmamsell, aber als ich Helgas Kommentar im RSS-Feed las, musste ich erst mal herzhaft lachen. Danke ;-)
Zum sportlichen Mainstream sollte auch die »medizinische Muckibude« gezählt werden, wo ich und viele andere Bügelbrettbesitzer täglich ein- und ausgehen. Und nachdem ich das losgeworden bin, geht’s jetzt in Richtung Beinpresse.
9. Januar 2008 um 23:57
Möchte hiermit meiner Empörung über diese infame Unterstellung, die ihresgleichen sucht, Ausdruck verleihen.
(Und das ist erst der Anfang!)
10. Januar 2008 um 16:11
Und ich dachte immer, Spießertum offenbare sich in der Denkweise (Auf einen einfachen Nenner gebracht: Nach oben buckeln und nach unten treten.) eines Menschen und nicht an seinem Perserteppich mit darunter befindlichem Parkett oder an anderen Äußerlichkeiten.
10. Januar 2008 um 22:06
In der Denkweise »Nach oben buckeln und nach unten treten« zeigt sich doch kein Spießertum. Was Du beschreibst, ist stinknormales Karrieristentum. Man kann nicht ausschließen, dass manche Karrieristen Spießer sind. Aber ganz sicher sind nicht alle Spießer Karrieristen.
11. Januar 2008 um 11:24
Meine Bemerkung hat sich eigentlich nicht auf Karrieristen bezogen, wiewohl das Motto durchaus dasselbe ist, denn ich dachte eher an Menschen mit ausgeprägtem Obrigkeitsgehorsam Ämtern, Parteien und Religionsgemeinschaften gegenüber, deren Kritik an ebendiesen Einrichtungen sich in Stammtischquengeleien erschöpft und die nur ja nirgends anecken wollen. Im Gegensatz dazu steht ihr Verhalten vermeintlich oder tatsächlich Schwächeren und/oder Andersdenkenden gegenüber, die verbal und schlimmstenfalls brachial traktiert werden, damit sich der Spießer seine Überlegenheit vergegenwärtigen kann.