Journal Montag, 23. März 2015 – Falken auf St. Paul
Dienstag, 24. März 2015 um 6:29Crosstrainerstündchen ohne jede Tiersichtung, mit oder ohne Flügel.
Dafür auf dem Weg in die Arbeit von St. Paul den Ruf eines Falken gehört. Meine Recherche ergab später: Zumindest vor zwei Jahren wurden hier schon mal Wanderfalken beobachtet. Auf dem Heimweg ging ich wieder an St.Paul vorbei, sah jetzt gezielt zu den obersten Turmlücken, in denen der Falke vor zwei Jahren gebrütet hatte – leer. Doch als ich einen letzten Blick hinter mich zum Turm warf, kam gerade einer angeflogen.
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Wenn mein Berufstelefon mit einem externen Anruf klingelt, melde ich mich immer sorgfältig und deutlich mit: “Firmenname, mein Name ist Kaltmamsell, guten Tag.” (Eine erfahrene Kollegin gab mir recht früh in meiner Berufstätigkeit den Tipp: Nimm dir dafür alle Zeit, die du für eine deutliche und verständliche Meldung brauchst – an dieser Stelle des Telefonats wird dich niemand unterbrechen.)
Die Firmennummer unterscheidet sich offenbar in nur einer Stelle von der einer Arztpraxis und der eines Kindergartens, alle paar Tage verwählt sich jemand. Auffallend dabei ist lediglich, dass die Menschen, die die Arztpraxis erreichen wollten, meine Meldung jedes Mal ignorieren: Sie bitten mich um Termine oder sind ein wenig ungehalten, weil ich mit ihrem Namen nichts anfangen kann, oder erzählen mir von ihren aktuellen Beschwerden oder möchten eine Kollegin von mir sprechen, die ich nicht habe.
Anruferinnen hingegen, die mit jemandem vom Kindergarten sprechen wollten, haken gleich nach meiner Meldung nach: Ist da nicht…?
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Tag mit Arbeit, Abend mit meinen Lesefreunden und -freundinnen über Italo Svevos Erzählungen, die gemischte Reaktionen erzeugten. Gut gemacht fanden wir sie alle, doch gab es den Vorwurf, sie seien sehr in ihrer Zeit stehen geblieben. Ich mochte sie, durchaus weil sie unbeabsichtigt das Bild einer vergangenen Gesellschaft zeichneten.
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Vielleicht haben Sie ja bereits Monica Lewinskys TED Talk gesehen, “The Price of Shame”?
Die New York Times hat zudem ein interessantes Portrait dieser Frau, die die Energie, mit der über sie hergefallen wurde, für eine Kulturkampagne nutzt:
“Monica Lewinsky Is Back, but This Time It’s on Her Terms”.
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Nimmt mich wie die meisten Einwanderergeschichten in Deutschland sehr mit:
“Tod in der Diaspora”.
Die Geschichte geht mir nahe, weil sie mal wieder Individuen sichtbar macht. Weil sie beweist, dass es die abgrenzbare Bevölkerungsgruppe nicht gibt und nur unsere Stereotypen überhaupt eine Gruppe erzeugen.
Ich merke zum Beispiel an meiner Überraschung beim Lesen, dass ich bei den Einwanderern aus Vietnam mit einer ungefähr homogenen Religiosität gerechnet hatte (da half also alles Lesen bei Naekubi nichts, der bloggenden, fränkischen Tochter vietnamesischer Katholiken).
die Kaltmamsell14 Kommentare zu „Journal Montag, 23. März 2015 – Falken auf St. Paul“
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24. März 2015 um 7:05
Sind es beim Kindergarten tatsächlich lauter AnruferINNEN?
24. März 2015 um 8:06
Mir gefällt, dass du den Falken gesehen hast. Ich bin mal die Liste mit den Vogelrufen durch, und ich glaube, über unserem Wohngebiet in Offenbach kreist ein Bussard in so großer Höhe, dass wir ihn zwar hören, aber nicht sehen können.
LG
Ulrike
24. März 2015 um 8:37
Ich war vor nicht allzu langer Zeit auf der Beerdigung eines aus Vietnam stammenden Menschen, da hat mich dieses Diaspora-Gefühl auch angeweht. Die Trauerfeier war bei eisiger Kälte nach buddhistischem Ritus, und ganz offensichtlich waren sich die Angehörigen auch nicht ganz darüber klar, wie das nun abläuft. Ein Tisch war neben dem Sarg aufgebaut mit dem Bild des Verstorbenen und vielen Kerzen, Blumen, Lebensmitteln und Räucherstäbchen. Außer den vielen Freunden des Verstorbenen war eine deutlich mehr als familiengroße Menge offensichtlich vietnamesischstämmiger Menschen anwesend und die Kränze, die von den ortsansässigen vietnamesischen Expat-Vereinen gestiftet waren, ließen den Eindruck aufkommen, dass da eine recht rührige community in der Stadt unterwegs ist. Die gar nicht meditative Hektik der Mönche und Nonnen von der örtlichen Pagode tat ihr Übriges für das Fremdheitsgefühl.
24. März 2015 um 10:18
Bislang war das tatsächlich so, iv. (Woraus die “Männer sind vom Mars”-Prediger umgehen den Beweis für das Zahlenproblem von Frauen ableiten könnten.)
Jetzt im Frühling, Ulrike, ist ohnehin die beste Zeit zum Lernen von Vogelrufen: Die Vögel rufen auf allen Kanälen, und sie sind noch nicht von Laub versteckt, wenn man nachsehen will, wer da gerade gerufen hat.
Was mich an eine Geschichte im aktuellen Granta 130. India – another way of seeing erinnert, Sabine: Ein ausgewanderter Inder reist aus seiner neuen Heimat an, weil er das Begräbnis, also die Verbrennung, seiner Mutter leiten soll. Er hat keine Ahnung, was von ihm erwartet wird und muss vom religiösen Personal in jeder Handreichung angeleitet werden.
24. März 2015 um 10:33
Ich hatte in New York mal fast die gleiche Festnetznummer wie die career-section der New York Times und mir ist nie eingefallen wie ich dem irgendwie lustig entgegnen könnte. Da wäre ja doch bestimmt reichlich Material für Telefonscherze o.ä. gewesen.
24. März 2015 um 13:00
“Vermutlich ist es das erste Mal nach der Zeit im Asylheim, dass alle wieder in einem Raum versammelt sind. Schließlich haben sich die Wege zerstreut, zwar nur um einige Kilometer, aber die Gruppe fand neue Lebensmittelpunkte und Interessen.”
Das Heilende an Beerdigungen ist auch, dass sie solche Gruppen wieder zusammenführt, ob es nun Familie, Freunde, Ex-Kollegen, Expats, Asylbewerber sind. Dass es hier gerade ein Eigenbrötler das Medium dafür war und so schon bei den Bemühungen im Vorfeld (zum ersten Mal?) all diese Gruppen einbezogen und vermischt hat, beeindruckt und berrührt mich, ebenso wie die Auswirkung auf “uns”: Imbisse geschlossen, McDonald’s auf Sparflamme.
Es klingt nach einem gelungenen Ritual.
24. März 2015 um 16:39
Ich habe es schon erlebt, dass die Kundschaft mich spätestens bei “mein Name ist” unterbrochen hat. Männer taten das häufiger als Frauen, Frauen eigentlich nur, wenn glaubten, sie hätten einen höheren Bildungsgrad als ich. Das andere Extrem: ein Auftraggeber, dessen Meldeformel vier Zeilen lang war. (Ich habe mich geweigert und bin bei “Firma, meine Name ist…, guten Tag. geblieben)
Und dann waren dann noch der Pizzaservice und das Heiratsinstitut, die Nummern hatten, die sich kaum von der unseren unterschieden. Die Pizzabestellungen haben wir mitunter aufgenommen, wenn die Kundschaft partout nicht glauben wollte, dass wir keine Pizzeria waren. (Ich weiß aber nicht, wie lange die Kundschaft auf die Pizza gewartet hat, die natürlich nicht kam…)
24. März 2015 um 21:21
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Gerne gelesen
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24. März 2015 um 23:37
Solchen “Männer vom Mars”-Predigern würde ich umgehend Occam’s Razor auf die Brust setzen.
25. März 2015 um 5:19
Einen Termin kann ich Ihnen leider nicht geben, wir machen nur Firmentätigkeit.
Aber Lindenblütentee soll helfen, versuchen sie den.
25. März 2015 um 12:16
Ich verstehe nicht, was “in der Zeit stehen geblieben” als literaturkritische Abwertung bedeutet. Sind Fontane, Jane Austen, Steinbeck, Thomas Mann auch in der Zeit stehen geblieben? Man kann doch so alles aburteilen, was man nicht auf Anhieb versteht, nur weil es vor langer Zeit geschrieben wurde.
25. März 2015 um 12:38
Hm, Schneizel, die Kaltmamsell fand das ja auch gar nicht schlecht, weil es so die damalige Zeit gut abbildete. Ich sehe es so, dass Romane, die zu ihrem Erscheinen sehr ihrer Zeit verhaftet sind und diese dann auch eine große Rolle darin spielt, oft später darin stehengeblieben wirken – mit dem Vorteil, dass sie ein gutes Sittenbild von damals abgeben, wenn es denn gut geschrieben ist.
Fontane, Austen, Steinbeck, Mann wie auch Shakespeare, Schiller usw. sind für mich wunderbare Beispiele für Autoren, die die Zeit (und den Ort, Dichtung kann auch im Ort stehen bleiben) nur als Bühne genommen haben für eine Schilderung von menschlichen Verhalten, Beziehungen, Handlungen, die immer faszinieren und beschäftigen.
Da sind schöne Zeitbilder nur die feine Dreingabe oder am Ende sogar ein Mittel, dass wir es an uns ranlassen, weil ja fern. Wenns gut geschrieben ist, sonst: stehengeblieben statt in Bewegung bis heute. Und die ganz Guten schaffen beides, große Literatur und ein Eintauchen in ihre Zeit.
27. März 2015 um 18:50
Über Tod im als Einwanderer/in habe ich mir schon Gedanken gemacht, aus familiären Gründen. Meine Eltern haben bereits sehr konkrete Vorstellungen, wie das aussehen soll… Es würde weder klassisch deutsch noch typisch vietnamesisch sein, zumindest aber katholisch.
27. März 2015 um 19:04
Ich bin sehr froh, Naekubi, dass ich vor ein paar Jahren aus meinem Vater die tief empfundenen Wünsche herausgekitzelt habe (bis dahin mied er das Thema geradezu abergläubisch).