Berlinjournal Montag, 4. Mai 2015 – Berlinerkundung durch Anfängerinnenfehler

Dienstag, 5. Mai 2015 um 8:15

Weitere Erkundung Berlins anhand des Öffentlichen Nahverkehrs und auf Basis eines Anfängerinnenfehlers.

Vormittags packte ich Koffer und machte mich auf den Weg von Schöneberg zu meiner Gastgeberin. Beim Umsteigen an der Warschauerstraße irrte ich lange genug auf der Suche nach meiner Anschlusstram herum, dass mir bald klar war: Vierte Verabredung in Berlin, zum dritten Mal gründlich zu spät. Ich sollte zur Faustregel meiner ersten Berlinbesuche zurückkehren: veranschlagte Reisezeit mal zwei. Und einfach mal eine Stunde Fahrt zwischen zwei gar nicht so schrecklich weit voneinander entfernten Stadtteilen einkalkulieren.

Im gestrigen Fall erhöhte sich die Reisezeit schlagartig, als ich vor der Gastgeberinnenadresse eintraf und ihren Namen auf keiner der Altbauklingeln fand. Ich rief sie an und wurde daran erinnert, dass es in Berlin viele Straßen mehrfach gibt. (Und schließlich nicht nur dort, ich erinnere mich an einen dadurch stressigen Kundentermin in Duisburg.) Ich stand in der falschen. Also rollkofferte ich in schönster Frühlingssonne von Friedrichshain nach Neukölln, nach U-Bahn und Tram jetzt mit S-Bahn und Bus, vorbei an Bahndämmen mit blühenden Fliederwäldern.

Neukölln kriegte mich sofort. Schon der Weg von Bushaltestelle zu Unterkunft zeigte mir viel Grün, urige Bausubstanz, hemdsärmlig erhalten, kleingepflasterte Bürgersteige ließen meinen Rollkoffer erschallen (ich kann mir den verklärten Blick leisten, mit Rollstuhl oder Kinderwagen möchte ich da nicht unterwegs sein müssen), viele, sehr bunte Menschen. Der Eindruck verstärkte sich, als ich mit meiner Gastgeberin zwei Einkaufsrunden drehte: Die Gegend ums Rathaus brummte vor Menschen, die Bauweise und -höhe der Häuser erinnerte mich eher an Regierungsbezirksstädte denn an Metropolen. Wir kauften Spargel ein, mir wurde eine Nussrösterei an der Sonnenallee gezeigt, ich besorgte ein Mitbringsel, auf das Herr Kaltmamsell ganz sicher nicht gefasst ist, und lernte dabei ein kleines, höhlenartig überfülltes, alteingesessenes Spezialgeschäft kennen. Die Atmosphäre der Gegend ließ mich Kreuzberg vor 15 Jahren assoziieren (gab sie die Berlincheckerin).

Ausführliches Spargelkochen und -essen (Belitzer Spargel ist AUCH gut), Geplauder bis wir beide zu Terminen aufbrachen: Meine Gastgeberin in die Arbeit, ich zu einer Verabredung mit Bloggerinnen und Bloggern auf dem Restaurantschiff van Loon. Diesmal war ich so pünktlich wie alle anderen (es steht 5:3, ich hole auf) – alle sechse kamen wir gleichzeitig am U-Bahnhof Prinzenstraße an und gingen gemeinsam zum Kanal und zu einem sehr schönen Abend.

die Kaltmamsell

6 Kommentare zu „Berlinjournal Montag, 4. Mai 2015 – Berlinerkundung durch Anfängerinnenfehler“

  1. nuss meint:

    (Das Verb “rollkoffern” hat mich gerade sehr fröhlich gemacht.)

  2. Nina meint:

    Sie möchten da auch nicht wohnen, wenn täglich und nächtlich sehr sehr viele Menschen unter Ihren Fenster vorbeirollkoffern, glauben Sie mir. Ich spreche aus der Erfahrung von 10 Jahren des Wohnens in Neukölln, in denen das Rollkoffern mit jedem Jahr exponentiell zunahm…

  3. Tim meint:

    Genau das empfinden viele, wenn sie nach Neukoelln-Nord kommen. Bedeutet immer mehr Touristen. Was das Leben dort unertraeglich macht.

  4. Micha meint:

    *Verklärt* gehört ABSOLUT zum Urlaubsfeeling. Ich mag das mittlerweile, wenn unsere Feriengäste alles in rosa Tüll wickeln (und werde den Teufel tun und ihnen das bestimmt nicht auspacken und blank legen). Neinnein… schön weiter machen, Mme Kaltmamsell. Und ich freue mich auf Ihre Eindrücke von der re:publica!

  5. engl meint:

    also „unerträglich“ ist dann noch ein klein wenig übertrieben. zumindest bei mir in der ecke, und das ist immerhin weserstraßennah. (eigentlich sogar unmittelbar weserstraße.)

    ich wohne schön!

  6. Tim meint:

    Vielleicht, aber nur ein klein wenig. Um das “touristische” an Neukölln-Nord zu verstehen, sollte man das mal mit Schöneberg-Nord vergleichen, wo Frau Kaltmamsell die Tage vorher gewohnt hatte. Da ist es genauso vielfältig, bunt, multikulturell, kreativ, international, tolerant usw. wie rund um die Weserstr. Aber dieser Teil Berlins war schon Ende der 70er Jahren eine beliebte Wohngegend der damaligen “Hipster”. Bowie, Iggy Pop, Rio Reiser und andere wohnten nicht von ungefähr in Schöneberg. Dadurch fehlt das “Anarschiche”, das Schrille, das in den Jahrzehnten sich abgeschliffen hat. Genau das zieht aber die Touristen an. Im Grunde ist das fast eine Art Inszenierung, die durch die Touristen noch weiter gefördert wird.


    Bytehway. Beelitzer Spargel schreibt sich mit Doppel-e.

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