Journal Samstag/Sonntag, 6./7. Juni 2015 – Sommerlicher Reality Check

Montag, 8. Juni 2015 um 9:59

Am Samstag mit Ohrwurm aufgewacht: Beethoven 7. Sinfonie, 2. Satz, der in meinem Kopf spielte, seit ihn Klassikradio am Sonntag davor in Schwiegervaters Auto sendete. Zur Bekämpfung ein paar Mal angehört (zu nett, wie erst die Triolen, dann Achtel, dann Viertel dem Motiv entgegen gesetzt sind). Der Rest der Sinfonie klingt ja eher wie ein mittelguter Soundtrack für Touristikwerbung.

Morgenkaffee auf dem Balkon.

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Wieder zum Schwimmen ins Schyrenbad gefahren, diesmal nicht so gedankenverloren Bahnen gezogen wie am Fronleichnamsdonnerstag, unter anderem weil die Hälfte der Mitschwimmer und Mitschwimmerinnen mit Hilfsmitteln unterwegs waren.

Trocknen und Musikhören in der Sonne. Amüsement über eine Gruppe junger Männer hinter mir, die Bier tranken, lachten, rauchten, fröhlich und völlig unironisch Stadlandfluss spielten, mit Papier und Kuli.

Wieder festgestellt, welch hervorragender Reality Check für Körper ein Freibadbesuch ist; Werberinnen, Marketingmenschen, Frauengazettenredakteure und
-redakteurinnen sollten regelmäßig zu einem Besuch gezwungen werden. Der Stand dieses Jahr: Es gibt immer noch Körper ohne sichtbare Tätowierungen, ich bilde mir ein, dass die Vielfalt der angeborenen Hautfarben etwas größer wird.

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Abends mit Herrn Kaltmamsell zur Feier eines 50. Geburtstags ins Fürstenfeldbrucker Hinterland, per S-Bahn und wundervoller Fahrradfahrt über grüne Felder. Das Augustiner vom Fass schmeckte dann fast ein bisschen zu gut.

Das angekündigte Gewitter verschob sich zum Glück so weit in die Nacht, dass wir erst zurück in München für die letzten Meter von S-Bahnhof nach Hause den Regenschutz brauchten.

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Am wieder sonnigen Sonntagmorgen mit Kopfweh aufgewacht, das gefährlich nah an Migräne war. Das konnte ich gar nicht brauchen, denn ich wollte zur Generalversammlung des Kartoffelkombinats nach Schönbrunn. Ich versuchte also die Anzeichen zu ignorieren, erst der besorgte Blick von Herrn Kaltmamsell auf mich, als ich nach einem Aspirin sehr jämmerlich über meinem Morgenkaffe saß, schickte mich zurück ins Bett – und dass der Herr unsere Anreise nach Schönbrunn genau berechnet hatte, die mir die Möglichkeit dazu versprach.
Siehe da: 45 Minuten zusätzlicher Schlaf vertrieben tatsächlich Kopfschmerzen und leichte Übelkeit, ich stand mit einer Munterkeit auf, die man nur Putz- bezeichnen kann.

Apropos Tourismus: In der S-Bahn nach Röhrmoos erheiterte mich ein Werbeplakat.

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Meine Fantasie spielte mir ausführliche Szenen zwischen Kunden und Agentur zu, die zu diesem Ergebnis geführt haben mögen. Hebe mir das als Beleg auf, wie Kommunikation komplett den Anschluss zur Zielgruppe verlieren kann.

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Radeln in schönster Sonne vom S-Bahnhof Röhrmoos nach Schönbrunn. Ich war zum ersten Mal in der Gärtnerei, die seit Anfang des Jahres Stammhaus unseres Kartoffelkombinats ist und freute mich über die Führung.

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Überraschung: Eine Mitgenossenschaftlerin sprach mich an und stellte sich als Leserin meines Blogs heraus – eine sehr schöne Begegnung.
Die Generalversammlung verlief spannend und harmonisch (Bild vom Vorstandstisch aus). Und da mag ich schon einige Hauptversammlungen gesehen und mitorganisiert haben: Ein stellvertretender Aufsichtsratvorsitzender mit winzigem Baby auf dem Arm war für mich ein erstes Mal.

Erfreuliche Neuigkeit aus der Generalversammlung: Wir werden Äpfel haben! Auf dem letzten Bild oben sieht man, dass dieser alte Gemüsehof noch mit Obstbäumen zwischen dem Beeten bestückt ist. Das sind Apfelbäume, die umständehalber seit vielen Jahren nicht geerntet wurden: Das können die Beschäftigten der Einrichtung nicht. Aber wir Genossenschaftlerinnen können! Ich freue mich schon sehr auf den Ernteeinsatz im Herbst.

Diskutiert wurde unter anderem der Wunsch nach mehr Mitbestimmung bei der Auswahl der angebauten Gemüse. Ich gestehe, dass mein Bild von solch einer Genossenschaft ursprünglich genau so etwas enthalten hatte: Wie wir gemeinschaftlich bestimmen, was in welchen Mengen angebaut wird. Doch ich bekam schon bald mit, dass dieser Aspekt, wie so vieles, ausgesprochen komplex ist. Einen tieferen Einblick erhielt ich vor einem halben Jahr, als die Gärtnerei Schönbrunn vorgestellt wurde und Vorstand Simon das Excel-Sheet mit der Anbauplanung per Beamer vorzeigte. Selbst in dieser nach eigenen Aussagen vereinfachten Form gehörten zu den Faktoren:
– Bodenbeschaffenheit in der eigenen Gärtnerei und den vier Partnerbetrieben
– Anbauhistorie der Böden. Gestern erfuhr ich zum Beispiel, dass in Schönbrunn für uns heuer eine Fläche bewirtschaftet wird, die viele Jahre lang brach lag: Der Boden ist dadurch schwer und lehmig, er kann erst mal nur mit “Pionierpflanzen” wie Kürbis bebaut werden.
– Zusammensetzung des Maschinenparks
– Mikroklima
– Wie man die Beschäftigten in Schönbrunn einsetzen kann: Die Gärtnerei ist ja ursprünglich und immer noch in erster Linie Arbeitsplatz für geistig Behinderte, die hier zum Teil schon viele Jahr arbeiten – und deren Arbeitskraft sich halt nicht an Hochleistung und Effizienz ausgerichtet planen lässt.
– Jahrezeit
– Welche Samen in welcher Qualität wann zur Verfügung stehen
– Sonstige Pläne der Partnerbetriebe, mit denen auf Augenhöhe kooperiert wird.
Und das verbunden mit dem ehrgeizigen Ziel des Vorstands, so viel Vielfalt wie möglich zu bieten.
Bei dem allen ist zwar Raum für Experimente, doch unterm Strich muss vor allem die Versorgung der mittlerweile 700 Haushalte des Kartoffelkombinats gesichert sein. Ich sehe ein, dass Mitspracheforderungen von Genossenschaftlerinnen diese ohnehin unglaublich komplexe Planung sprengen.

Es macht mir enorm Spaß, immer mehr Hintergründe des nachhaltigen regionalen Gemüseanbaus zu erfahren, der solchen Anforderungen gerecht werden muss – und sich in fast keiner Weise vergleichen lässt mit spielerischem Ausprobieren auf ein paar Quadratmetern Gemüsegarten hinterm Haus.

Auch dies also ein Reality Check.

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Auf dem Heinweg warteten wir am S-Bahnhof Röhrmoos in sengender Hitze eine gute halbe Stunde auf den Rücktransport. Daheim Freude über die kühle Wohnung. Ich bügelte mal wieder auf, hörte dabei Holgis WRINT, in dem Andrea Diener von ihrer Marokkoreise erzählte.

Abends spontan Spargel, den die Nachbarin Herrn Kaltmamsell fürs Blumengießen geschenkt hatte, danach Erdbeeren mit Sahne, dazu Wiener Tatort.

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Von wegen Hintergründe von Bio-Anbau. Haben Sie sich schon mal gewundert, warum es so wenige Erdbeerfelder zum Selberpflücken in Bio gibt? Das Hofgut Letten erklärt:
“Was ist beim Anbau von Bio-Erdbeeren anders?”

via Kartoffeldruck des @kartoffelkombi

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Am Samstag ist Pierre Brice gestorben, meine Twitter-Timeline war voller Winnetou-Erinnerungen.

Selbst sah ich die Winnetoufilme als Kind nicht im Fernsehen: Sie wurden nach der Tagesschau gesendet, da lag ich schon im Bett. Und Sendungen nach der Tagesschau durfte ich bis ins Teenageralter eh nicht sehen. So bekam ich sie aus zweiter Hand mit: Die Nachbarskinder mit weniger restriktiven Eltern waren schwer beeindruckt von den Filmen und wollten Szenen daraus nachspielen. Das bedeutet allerdings keine schlüssige Nacherzählung, sondern immer die Information, die man fürs Nachspielen der vorgeschlagenen Szene brauchte. Das war aufregend und großartig, ich konnte die Faszination sehr gut nachvollziehen.
Als ich dann viel später die Winnetoufilme sah, war ich tatsächlich eher enttäuscht und erst durch Bully Herbigs Schuh des Manitu mit dem Stoff versöhnt.

Noch viel später hatte ich eine wunderbare Arbeitskollegin, die sich aus vertrauter Runde gerne mal mit dem Winnetou-Apachen-Gruß verabschiedete (zwei Finger würdevoll von der Schulter nach vorne). In meinem Kopf setzte immer augenblicklich die Filmmeldodie ein.

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Journal Samstag/Sonntag, 6./7. Juni 2015 – Sommerlicher Reality Check“

  1. Anke meint:

    Werde ab sofort den Winnetou-Gruß mit „Live long and prosper“ kombinieren und auf Reaktionen warten.

  2. helena meint:

    Die Winnetou-Filme wurden in den 70er Jahren doch am Nachmittag gezeigt und nicht im Abendprogramm. Zu dieser Zeit waren die Filme ja schon Wiederholungen. Wie schade, dass man Sie um dieses TV-Abenteuer gebracht hat. Als Kind (ich vermute, wir sind der gleiche Jahrgang) habe ich diese Filme sehr geliebt, mich in angemessener Weise gegruselt (die Bösewichte!) und war in den edlen Apachen auch ein bisschen verliebt. Da ich, anders als meine Freundinnen, ansonsten sehr TV-Helden-verliebungsresistent war, war “Winnetou” als Film und als Filmheld umso mehr etwas ganz besonderes.
    Bei einer Erstbegegnung als Teenager ist dieser Zauber dann natürlich nicht mehr nachvollziehbar.

  3. die Kaltmamsell meint:

    Das klingt sehr wahrscheinlich, helena, dann durfte ich sie einfach so als Erwachsenenfilme nicht sehen – mein Fernsehkonsum war sehr eingeschränkt. Das erklärt auch, warum so viele Spielkameraden die Filme gesehen hatten.

  4. Katrin meint:

    Ich habe mich sehr über das Kennenlernen am Sonntag gefreut – Live und in Farbe noch viel netter, als hier schwarz auf grau zu lesen!

    Herzliche Grüße von der Mitgenossenschaftlerin

  5. kubelick meint:

    vergleichsweise lief heute im br4 tristan und isolde. tja, da kann man nix mehr dazu sagen…https://www.youtube.com/watch?v=fktwPGCR7Yw

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