Wissenschaftsschädlinge
Mittwoch, 13. August 2008 um 9:25„Ach, diese wissenschaftlichen Untersuchungen sind doch auch nicht glaubwürdig.” So lautet die häufigste Entgegnung, die ich höre, wenn ich konstruierte Kausalitäten, Verschwörungstheorien oder manche medizinische Methoden als unwissenschaftlich und damit nicht valide kritisiere. Langsam verstehe ich, was die Entgegner zu dieser Annahme bringt: Wissenschaftsschädlinge.
So seien die Menschen und Institute genannt, die allen möglichen Blödsinn mit der Behauptung veröffentlichen, er sei wissenschaftlich erwiesen. Was er bei näherer Betrachtung dann genauso wenig ist wie die Heilkraft von Kupferarmbändern.
Jochen Paulus hat sich in Zeit Wissen einen solchen Schädling vorgeknöpft: das „Institut für Rationelle Psychologie“ in Stuttgart. Diesem verdanken wir Schlagzeilen nicht nur Bild, sondern auch in der Süddeutschen Zeitung, der FAZ, der Zeit, Spiegel Online, stern und dpa:
Für Sex nehmen sich die Erfurter 13 Minuten Zeit, die Berliner nur neun. Bier oder Saft aus Glasflaschen zu trinken bereitet den Deutschen messbar mehr Genuss als das Trinken aus Dosen oder Getränkekartons. Zwei Drittel der CDU/CSU-Wähler bevorzugen Frauen mit großer Oberweite, zwei Drittel der Grünen-Wähler finden dagegen kleine Brüste attraktiv.
Paulus recherchiert, wer hinter diesem Institut steckt und lässt verschiedene seiner Untersuchungen von universitären Wissenschaftlern beurteilen. Das Ergebnis seiner Recherchen verrät die Überschrift: „Institut für Volksverdummung“.
Skepsis und kritisches Hinterfragen sind essentieller Bestandteil von Wissenschaftlichkeit (und eigentlich auch von Journalismus). In einem Interview macht Journalistik-Professor Michael Haller dieses Hinterfragen vor:
Ein angeblich wissenschaftlich arbeitendes Institut sondert Ergebnisse auf Basis einer angeblichen Studie ab. Aber schon die Basis der Datenerhebung ist völlig unklar. Ebenso die Methode: Ist es eine Befragung? Ist es ein Laborexperiment? Mit welchen Verfahren wurde erhoben? Das erfahren die Redaktionen nicht, und häufig fragen sie leider auch nicht nach. Sie übernehmen die Meldung, weil sie witzig oder skurril ist. Oder weil sie ein Vorurteil bedient. Auch das ist ein Grund, weshalb diese „Frau-Mann“-Meldungen so gut laufen.
Und er verweist auf den Umstand, der leider nicht nur an Stammtischen gerne ignoriert wird: Korrelation bedeutet noch lange nicht Kausalität.
Wer mag, kann bei Wikipedia mal zu Kritischem Empirismus (Popper) reinschmökern.
Das besondere Schmankerl: Das Institut für Rationelle Psychologie überzieht die Zeit-Redaktion und die zitierten Wissenschaftler nun mit Drohungen.
(Ceterum censeo: Und deshalb sollte Altgriechisch an Gymnasien gefördert werden.)
die Kaltmamsell13 Kommentare zu „Wissenschaftsschädlinge“
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13. August 2008 um 9:55
Der Wikipedia-Link! Danke!
13. August 2008 um 16:13
Ein etwas naives Verständnis von Wissenschaft.
13. August 2008 um 17:39
Ein leider dürftiger Kommentar, Alice.
13. August 2008 um 20:12
Man sollte Artikel, die mit “Immer mehr…” oder “Die meisten Deutschen….” beginnen, einfach nicht mehr lesen.
Es macht mich zuversichtlich, dass diesen dubiosen Studien nachgegangen wird.
Prima, die ZEIT.
14. August 2008 um 1:59
das problem beginnt damit, dass allgemein unter “studie” dinge verstanden werden, die alles andere als eine studie sind. sogar umfrage wäre schon zu hoch gewählt. darauf verlassen sich dann die volksverdummer und wissenschaftsschädlinge (schöne charakterisierung, übrigens) und nutzen die obrigkeitshörigkeit weidlich aus. ich will mich jetzt gar nicht über studien und -modelle etc. auslassen hier, das ginge zu weit.
aber: solange keine detaillierten angaben über wer was wann wo warum dastehen, studiendesign, studienprotokoll, kontrollgruppen wer gegen wen, und anzahl befragter in prozent möglicher betroffener sowie auswahlkriterien für befragung: bitte die autoren mit katzendreck erschiessen.
14. August 2008 um 8:50
Ach, dieses Phänomen und den Streit dahinter gibt es, seit Descartes die moderne Wissenschaft “erfand”. Und so lange die Menschheit nicht die Abgeklärtheit einer vulkanischen Gesellschaft erreicht, wird es das auch noch eine lange Zeit geben. Dieser Weg ist einfacher, schneller und viel befriedigender.
Befasst man sich einmal konkret mit Wissenschaftstheorien und den Möglichkeiten der Beweisführung, macht selbst einem Wissenschaftler die Wissenschaft schnell keinen Spass mehr. Wiewohl ich noch betonen möchte, dass selbst ein Paper in Cell oder Nature niemals behauptet “so ist es”, sondern lediglich “es deutet daraufhin, dass es so sein könnte”.
Dagegen ankämpfen? Sicher, und das ist der ZEIT hier sehr hoch anzurechnen (obwohl sie mit diesem Artikel auch eher den Bekehrten predigt :) Leider hat dieser Kampf mehr von Quichotte, als von dem Furor der Aufklärung.
14. August 2008 um 9:15
Studien sind doch nur was für Ungebildete.
14. August 2008 um 9:47
“Ceterum censeo”, meinte Kriegstreiber Cato… Wieso hier jetzt Altgriechisch? Latein täte es ja auch schonmal für viele Wissenschaftler…
14. August 2008 um 10:13
In Latein, nullzeitgenerator, lernt man Sophisterei und Imperialismus (mit Ausnahmen), in Altgriechisch kritisches Hinterfragen und die Wurzeln westlicher Geistesgeschichte.
14. August 2008 um 12:05
oder auch nur vokabeln und spicken
15. August 2008 um 18:13
@kaltmamsell
Oder zumindest schonmal Systematik von Sprache. Sehr nützlich für den bitschwachen internen Babelfisch bei weiterem Spracherwerb..
Hab’s selbst lange gemacht … (Latein… Griechisch ein bisschen kürzer). Find’s immer lustig, wenn hochdotierte Wissenschaftler Fremdwörter falsch aussprechen.
15. August 2008 um 18:16
(Achso… meine Frage ging dahin, warum Sie Ihr Plädoyer für’s Griechische ausgerechnet mit lateinischem Zitat einleiten… :-)
15. August 2008 um 23:07
Es muß ja nicht gleich Altgriechisch sein. Ein paar Grundzüge der Mathematik (Logik, Statistik, Dreisatz) sollten auch schon vor den schlimmsten Fehltritten bewahren.