Journal Dienstag, 15. September 2015 – Ian McEwan, The Children Act
Mittwoch, 16. September 2015 um 13:27Es war ein sehr hektischer Tag.
Morgens hatte ich es noch ruhig: Nachdem ich auch an diesem Dienstagmorgen keine Lust auf Kraftraining hatte, bloggte und las ich gemütlich überm Morgenkaffee.
Die Arbeit hielt mich dann vielfältig auf Trab, so dass ich feierabends nach Langem mal wieder so richtig fertig war – verschärft durch den Umstand, dass sich eine Aufgabe als nicht bewältigbar herausgestellt hatte (Raum-Zeit-Kontinuum – eine tückische Angelegenheit).
Abends Treffen meiner kleinen Leserunde, angenehmes Radeln unter milden Wolken ins hinterste Giesing. Wir sprachen über den aktuellen Roman von Ian McEwan, The Children Act. Meiner Ansicht nach ist es eines seiner schwächeren Bücher: Das Set-up gefiel mir zwar gut (Hauptfigur ist eine Familienrichterin, die in der ersten Hälfte des Buches über einen Fall entscheiden muss, in dem eine knapp nicht volljähriger, Leukämie-kranker Zeuge Jehovas eine Bluttransfusion ablehnt, obwohl es die einzige Hoffnung ist), die zahlreichen eingeflochtenen Familiengerichtsfälle fand ich spannend. Auch die Ehekrise als Hintergrundgeschichte las sich interessant. Doch schon beim Lesen des letzten Drittels war ich genervt über die ausführlichen Beschreibungen von Musikstücken: Während sonst die Erzählperspektive ganz personal auf der Richterin lag (und das sogar sehr gut gemacht: Wir bekommen glaubhaft vorgeführt, wie wenig sie sich selbst kennt), glaubte ich hier einen selbst- und Wortkunst-verliebten Nebenerzähler zu lesen (und hatte sofort Ian McEwan selbst im Verdacht). Das Ende war dann unangenehm melodramatisch, auch noch durch die eine oder andere unglaubwürdige Handlungsvolte herbeigeführt. Im Nachhinein fand ich den ganzen Roman etwas billig – vor allem, weil ich weiß, was Ian McEwan eigentlich kann (The Cement Garden, The Comfort of Strangers, Atonement, Saturday, On Chesil Beach sind ausgezeichnet): Die interessantesten Teile des Romans, nämlich die Gerichtsfälle, sind nicht mal von ihm erfunden, sondern alle real, bis ins Detail.
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Ein Vorstand unseres Kartoffelkombinats, Daniel, ist mit neun weiteren Helfen ins ungarische Roeszke gefahren, um die schlimmen Umstände für die Geflüchteten etwas zu erleichtern. Eine Mithelferin schreibt hier auf Englisch ihre Erlebnisse auf, mit informativen Bildern:
“ROESZKE – Hungary Refugees 2015”.
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Seit Jahren maule ich herum, dass ich sehr gerne für das Lesen von Online-Artikeln zahle, aber halt nicht immer gleich ein Abo kaufen möchte. Jetzt scheint es ein Angebot zu geben, das endlich genau das ermöglicht: Blendle. (Kindle, Blendle – schieben nur Schwäbinnen das Online-Lesen an?).
Stefan Niggemeier hat sich die Sache sachkundig angesehen – scheint ein guter Start in die richtige Richtung:
“Die große Chance und der kleine Haken von Blendle”.
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Gerade wenn man Widerstände gegen eine Erscheinung hat, tendiert man zu Verallgemeinerungen. Als da wäre die Verschleierung von Menschen in der Öffentlichkeit. Ein Artikel auf kleinerdrei stellt vor allem ein paar Fakten und die Terminologie klar (sieh an: Die Teletubbie-Köpfe sind Mode der arabischen Emirate!).
“Dies ist keine Burka”.
Tatsächlich spüre ich selbst Widerstand bei Begegnungen mit Menschen in Niqab (auch wenn mein Sprachzentrum immer dafür die Bezeichnung “in full ninja” aus Matt Ruffs Roman The Mirage zuschaltet); meine Wege als Bewohnerin des Münchner Bahnhofsviertels kreuzen sie mehrmals täglich und sogar häufiger als Hijabs. Bei mir kommt an, dass jemand offensichtlich sehr nicht gesehen werden will beim Bewegen in der Öffentlichkeit – ich kann diesen Wunsch sogar nachvollziehen. Deswegen versuche ich möglichst nicht hinzusehen.
die Kaltmamsell4 Kommentare zu „Journal Dienstag, 15. September 2015 – Ian McEwan, The Children Act“
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17. September 2015 um 9:30
Ein sehr durchsichtiger Meinungsartikel auf “kleinerdrei”, mit einer in sich selbst widersprüchlichen Argumentation, deshalb für mich ärgerlich. Beginnend mit der unsauberen Trennung von Kopftuch und Verschleierung, von Freiheit der Entscheidung zur eigenen “Kleidung”(dieses Kriterium soll auf Vollverschleierung zutreffen?) und der drohenden Konsequenz, bei einem Verbot den öffentlichen Raum zu meiden. Ja, was denn nun?
Ich habe auch eine Meinung in diesen Fragen und meine Beurteilung hängt sehr stark ab von den Artikeln des von mir hoch geschätzten Grundgesetzes, auf deren Einhaltung, gerade auch in aktueller Zeit (Recht aus Asyl), bestanden werden muss.
Ob ich selbst religiös bin (keineswegs) spielt dabei keine Rolle. Für die Religionsfreiheit, und dazu gehört dann konsequenterweise natürlich auch der Bau von Moscheen, würde ich mich trotzdem immer einsetzen.
Ob das Kopftuch nun tatsächlich Ausdruck einer religiösen Forderung ist, finde ich gesellschaftlich von untergeordneter Bedeutung: das können die Betroffenen gern unter sich ausmachen. Andere Religionen haben, und das schreibt die Autorin zu Recht, auch ihre Symbole.
Vollverschleierung ist eine ganz andere Dimension. Und wie diese Art “Kleidung” sich nennt, muss mich nicht interessieren. Damit – mein Eindruck – wollte die Autorin bewusst Verwirrung stiften.
Die angestrebte Gleichstellung von Mann und Frau verbietet in unserem Land eine Vollverschleierung. Und das Argument, wann einem so eine “Gestalt” schon mal begegnet, kann ich nicht gelten lassen.
Mir persönlich wird schon übel, wenn mir nur eine solche über den Weg läuft. Und zwar nur deshalb, weil sie mir symbolisiert, wie wenig sie und der dazugehörige Gatte (den man durchaus in Holzfällerhemd und flotten Jeans bewundern kann) in einer aufgeklärten Gesellschaft angekommen sind. Und auch eine entsprechende Absicht nicht erkennen lassen.
Ich möchte an keiner Stelle Rückschritt der erkämpften Emanzipation. Ganz im Gegenteil haben wir noch etliche Felder zu beackern.
17. September 2015 um 10:04
Ich merke immer, wenn ich einer Dame mit Hijab (oder mehr) begegne, wie sich etwas in mir sträubt, dann ermahne ich mich sofort selber, keine vorgefertigte Meinung zu haben aber leider denke ich so ähnlich wie trulla: es ist für mich ein Ausdruck von Unterordnung und auch wenn tausendmal hier noch nicht alles bestens ist, bin auch ich todfroh über alles, was die Emanzipation erkämpft hat. Und Haare bedecken ist für mich nicht emanzipiert, sorry.
17. September 2015 um 10:49
Der Artikel auf kleiner drei war nicht uninteressant, aber das Totschlagargument “Wenn du’s in irgendeiner Form schwer akzeptabel findest, bist du halt ein Rassist, selbst schuld, Idiot” war mehr als vermeidbar.
Ich verstehe das Unwohlsein, das manche anhand von Musliminnen mit Gesichtsschleier befällt, aber ohne näheren Einblick muss man das genauso aushalten wie (anderes Extrem) den genauen Einblick in die Stringtangdesigns von Hüfthosenträgerinnen. Ist halt so.
Das Problem ist die politische Message, und wir können auf den ersten (und den zweiten und den letzten) Blick nicht wissen, ob eine Frau aus spirituellen Gründen Gesichtsschleier trägt oder weil der Mann das von ihr will oder ob sie eine ausgebuffte Islamistin ist.
Der Vorwurf des politischen Islam (der natürlich in vielerlei Hinsicht im Gegensatz steht zu den Werten, wie sie im Grundgesetz festgeschrieben sind)steht da einfach im Raum, nachdem alle islamistische Regimes versuchen, die (oder eine stärkere) Verschleierung der Frauen durchzusetzen.
Insofern finde ich es nicht unverständlich, wenn der Staat versucht, bestimmte politische Messages aus dem öffentlichen Raum zu halten – und damit ein Zeichen setzt, welche Wertorientierung laut GG in Deutschland vorrangig herrschen soll.
Das Problem, dass genau diese Frauen sich dann in eine Parallelwelt zurückziehen (müssen), wird dadurch natürlich nicht gelöst. Es i
17. September 2015 um 23:19
Obwohl sie bereits durch große Teile des Nahen Ostens gereist ist, hat sie noch nie selber eine Burka gesehen.
Ich war noch nie im Nahen Osten, aber Burkas habe ich hierzulande schon mehrmals gesehen. Ebenso Niquabs (besonders viele Niquabs sieht man übrigens im Sommer in Baden-Baden, vermutlich war die Autorin des Artikels aber noch nie dort). Mir ist es nach wie vor ein Rätsel, wie man sich mit einer Burka auf der Straße sicher fortbewegen kann, ich habe mir sagen lassen, dass man wegen des Gitters aus Rosshaar vor den Augen nicht viel sieht.
Im Bus fällt mir auf, dass sehr viel mehr Teenager nun Hijab tragen als noch vor zehn Jahren. Es sind Mädchen, denen man anhört, dass sie hier geboren und aufgewachsen sind. Mir fällt dann schön öfter einmal jene 16-jährige Auszubildende ein, die mir vor etwa zehn Jahren voller Inbrust erzählt, sie trage den Hijab als Zeichen von Reinheit – womit sie implizierte, dass wer keinen trägt, unrein ist. Außerdem sei es ein Schutz, auch für die Männer, damit diese nicht beim Anblick der Haare in Versuchung kämen. Ich erwiderte trocken, dass ich ihrem – ebenfalls türkischen – Chef schon zutraue, sich soweit unter Kontrolle zu haben, sie etwa nicht? Außerdem glaubte ich nicht, dass er wegen des Anblicks meiner Haare erotische Phantasien entwickele – ob sie da anderer Meinung sei? Leider bekam ich darauf keine Antwort mehr, der Chef hatte sie gehört und ihr gesagt, sie solle damit aufhören. Übrigens hatte ich sie gar nicht danach gefragt, warum sie ein Kopftuch trägt.