Journal Dienstag, 25. Oktober 2016 – Der aussterbende Chinese
Mittwoch, 26. Oktober 2016 um 6:46Auf gestern schlief ich dann elf Stunden, davon die letzten sechs auch durch. Ich erwachte mit deutlicher Schdupfn-Besserung.
Ein regnerischer Tag, aber immer noch eher mild.
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Kann es sein, dass in München das klassische China-Restaurant ausstirbt? Abends wollten Herr Kaltmamsell und ich uns aushäusig nähren, wir hatten Lust auf chinesisch. Doch das einzige Lokal, das uns ums Eck einfiel (“zum Chinesen” hat für mich als Innenstadtbewohnerin genauso fußläufig zu sein wie “zum Italiener”), war das alte Shanghai an der Sonnenstraße kurz vorm Stachus.
Zum ersten Mal war für uns ein Tisch direkt am Fenster frei.
Wir aßen das Kanton-Menü, bestehend aus klassischen deutschen China-Gerichten.
Nochmal überlegten wir, ob uns in der Innenstadt China-Restaurants einfielen, doch wir kamen nur auf Thais, Koreaner, Vietnamesen, Uiguren, Japaner, Sechuaner. Das mag durchaus ein Zeichen von wachsendem Anspruch an Restaurantküchen sein, die chinesische Küche gibt es ja wirklich nicht. Und bloß weil ganze Generationen von Deutschen, mich eingeschlossen, beim örtlichen Chinesen das Essen mit Stäbchen gelernt haben, zum ersten Mal frischen Ingwer, Sojasoße oder knackiges Pfannengemüse probiert haben – muss das ja kein Verlust sein. Aber ein bisschen wehmütig wurde mir doch.
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Wieder eine erhellende Geschichte im Techniktagebuch, diesmal übers zeitgenössische Autofahren:
“Ich werde zum Assistenz-Assistenten”.
Bis mir schließlich klar wird: In diesem Auto, dessen Technik (in Grenzen) autonomes Fahren möglich machen würde, bin ich die ganze Zeit mit Sachen beschäftigt, die ohne die Autonomtechnik nicht nötig wären.
Hebe ich mir auf als ein Beispiel für den Umstand, dass technische Errungenschaften die Gesamtkomplexität des Alltags nicht etwa vermindern, sondern nur auf andere Gebiete verschieben.
die Kaltmamsell12 Kommentare zu „Journal Dienstag, 25. Oktober 2016 – Der aussterbende Chinese“
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26. Oktober 2016 um 9:34
“Klassische deutsche China-Gerichte” – danke :-), du hast meinen Tag fröhlicher gemacht.
Am Rosenheimer Platz gibt es einen Chinesen, Name ist mir gerade entfallen. Da bekommt man auch Hühnerfüsse, wenn man möchte.
26. Oktober 2016 um 10:37
In Frankfurt gibt es meines Wissens auch nur noch authentische Chinesen im Bahnhofsviertel, deren Kundschaft hauptsächlich Chinesen sind (die Speisekarten sind ebenfalls auf Chinesisch) – und “chinesische” Stände in Einkaufszentren, die wenig attraktive Glutamatspeisen verkaufen. Auf einen Besuch beim “Chinesen” wie in meiner Kindheit, mit nicht unbedingt originalen, aber doch liebvoll zubereiteten Speisen, hätte ich tatsächlich auch einmal Lust.
26. Oktober 2016 um 11:34
Das mit dem Frankfurter Bahnhofsviertel kann ich bestätigen. Im “Jade Magic Wok” (sic!) gibt es zwei verschiedene Speisekarten: Eine für Europäer, eine für Chinesen. Letztere ist blau und mit haarsträubenden Übersetzungen ins Englische versehen. Aber was wir hier gegessen haben, war immer genial u. nach Aussage von Leuten, die es wissen müssen, recht authentisch.
Ich erinnere mich an große Feste, die wir bei einem Chinesen mit Peking Enten Menü gefeiert haben, als wir Kinder waren. War das wirklich besser? Waren wir anspruchsloser? Weniger rumgekommen? Über Glutamat dachte damals noch keiner nach, glaube ich…
26. Oktober 2016 um 13:40
Das Phänomen gibt es auch in Luxemburg. Ich hatte, wie Sie, Lust auch Chinesisch und ich musste lange überlegen bis mir klassischer Chinese einfiel.
Ich nehme an, dass es daran liegt, dass die Mieten für Lokale im Zentrum der Stadt, in utopische Höhen gestiegen sind.
26. Oktober 2016 um 17:43
Der Verlust klassische deutscher China-Gerichte ist doch ein Verlust! Genauso wie die Pizzeria, in der es nur Pizza gab und kaum jemand auf den Gedanken kam, man könnte etwas anders als Spezi oder Weißbier dazu trinken.
Ist natürlich verklärend, und tatsächlich kann ich mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal bei einem Chinesen im 70iger Jahre Style war und wüsste auch gar nicht, wo ich da hingehen sollt. Daher Danke für den Tipp :)
26. Oktober 2016 um 19:28
Deutsche Chinagerichte! Klasse! Auch ich hab denen das Erlernen des Essens mit Stäbchen zu verdanken – worüber ich mich dann in China tagtäglich freute… aber leben Sie mal in China und Sie werden nie wieder deutsche Chinagerichte vermissen – das Essen ist einfach viel zu lecker in China, als dass man es nach deutsch verbiegen muss!
26. Oktober 2016 um 19:31
Danke für den Chinabericht. Ich frage mich schon seit Jahren wie das Essen dort wohl ist :-) Außer dem Kam Yi am Motorama (das ist das mit den Hühnerfüßen) fällt mir in der Innenstadt nur das Chi Hongkong Cuisine in der Rumfordstraße ein.
27. Oktober 2016 um 9:58
Halten Sie mal in der Provinz Ausschau. Da gibt es sie noch, die klassischen deutschen Chinesen. Das hängt wohl damit zusammen, dass es dort noch nicht zum guten Ton gehört, zu behaupten, dass man zum Chinesen nicht gehen könne, da ja authentisches Chinaessen ganz anders schmecken müsse.
27. Oktober 2016 um 16:00
Ja, Lempel, das ging mir auch durch den Kopf. In vielen Dörfern gibt es chinesische Restaurants in Gebäuden, in denen früher ein Grüner Baum oder Goldener Hirsch betrieben wurde.
Den Grund hätte ich allerdings nicht im Essen vermutet als vielmehr in kaputten städtischen Geldwaschmaschinen.
28. Oktober 2016 um 8:40
Mein erstes “chinesisches Essen” war in den 60ziger Jahren des letzten Jahrhunderts im Tai Tung in der Amalienstrasse. Reistafel und Ingwer in Honig.
Welch eine Dekadenz! Später dann, als die Tochter aus Asien zurück und Sinologie abgeschlossen hatte wurde das Gehen zum Chinesen in der Familie schnell obsolet wegen eben der fehlenden Orginalität der Speisen!
Soweit meine Kenntnis aus der Grossstadt. Nun lebe ich schon einige Zeit in LA und da im Niederbayrischen ist es noch so wie von Lempel aufgezeigt.
Kurz noch ein Danke zum Link Assistenz-A. Ja es ist wirklich so wie beschrieben wenn man öfter Leihautos fährt stellt man sich wirklich die Frage warum der ganze Schnick-Schnack. Stelle immer vor Antritt fast alle A. aus und fahre Autonom!
28. Oktober 2016 um 11:27
Och Mönsch, bei uns auf dem Land gibt es noch klassische deutsche Glutamat-Chinesen, aber mit einem Erdnussallergiker in der Familie trau ich mich da gar nicht rein. Obwohl ich’s manchmal nett fände…
22. November 2016 um 10:18
Mit Wehmut erinnere ich mich an das Canton in der Theresienstraße, das leider vor 5 Jahren schloss, nachdem es Jahrzehnte DER Chinese für mich war.
Als kleiner Bub lernte ich dort das chinesische Essen kennen. Ich glaube das Canton war der erste oder zumindest einer der ersten Chinesen in München und das gebackene Schweinefleisch süß-sauer war damals mein Leibgericht. Das Essengehen zum Canton war immer ein Ereignis. Weil selten (für damalige Verhältnisse, bzw. die Verhältnisse meiner Eltern war es teuer).
Später wurde die Nummer 52 (oder war es 56?) das scharfe Rindfleisch mit mitgegarten Chilischoten zu meinem neuen Leibgericht. Die Ober waren Originale zu denen ich, später dann, fast schon ein freundschaftliches Verhältnis hatte.
Und tatsächlich gibt es fast keine guten chinesischen Restaurants mehr. Mein derzeitiger Ersatz ist auch das Shanghai am Stachus. Leider erreicht es das Canton nicht ganz und meine Lieblingsgerichte des Canton gibt es dort leider auch nicht. Aber insgesamt stimmt das Essen dort.