Musikalische Bildung

Montag, 25. Mai 2009 um 9:44

Ganz sicher sei er sich zwar nicht, hatte mein Bruder geschrieben, wie die Gesetzeslage in diesem Zusammenhang aussehe, aber möglicherweise handle es sich um eine Pflichtveranstaltung für Tanten und Onkel, wenn alle Neffen und Nichten zusammen in einem Konzert auftreten.

Um einen möglichen Gesetzesverstoß zu umgehen, besuchte ich also gestern das Kinderchorkonzert von Neffe 1 (fast acht Jahre alt), Neffe 2 (fast sechs Jahre) und Nichte (viereinhalb Jahre). Zumal mein Bruder glaubhaft versprochen hatte, dass keine einzige Blockflöte erklingen würde.

Erst kurz vorher wurde mir klar, dass ich nicht nur Scharen von Kindern begegnen würde, sondern sehr wahrscheinlich dem einen oder anderen ehemaligen gymnasialen Mitschüler: In meinem Abiturjahrgang setzte die Fortpflanzung relativ spät ein, die Ergebnisse müssten jetzt also genau Kinderchoralter haben. (Dieser spezielle Chor unterteilt sich in drei Altersklassen: Kindergarten / Grundschule / bis etwa 16 Jahre.) Begegnungen, die ich sonst meide.

An diesem Nachmittag habe ich viel gelernt. Ein Chor aus Vier- bis Siebenjährigen produziert zwar nur ansatzweise Musik (ohne die Klavierbegleitung wäre keine Melodie erkennbar gewesen), unterhält das Publikum aber durch die Vorführung der schier unendlichen Möglichkeiten, wie man sich mit Kleidung die Zeit vertreiben kann: Ein T-Shirt lässt sich nach unten ziehen, aber auch nach oben bis fast über den Kopf, dabei spielen Saum und Nabel lustig „Kuckuck!“. Auch Röcke eignen sich zu Stoff-Yoga: Testreihen, wie weit sich ein Gummibund dehnen kann, Schieben desselben bis unter die Achseln oder unter die Knie. Als echte Meisterin erwies sich ein kleines Mädchen, das sich anschickte, ihren Rock aufzuessen, beginnend am Saum. Weniger Möglichkeiten schienen Hosen zu bieten, weswegen das eine oder andere Kind sich beim Singen zum Kleidungsspiel seinen Socken zuwandte. Ich war völlig ins Staunen versunken: Als mein Bruder mich antippte und mir soufflierte, dass jetzt normalerweise der Einsatz für Tanten sei, „Mei, süß!“ zu quietschen, schrak ich richtig zusammen.

Dann hatte ich keine Ahnung, wie Grundschulkinder heutzutage aussehen. Eine so hohe Rate an Busenansätzen hätte ich frühestens in der 6. Klasse vermutet, und dass eine Viertklässlerin gerne mal die Körpergröße 1,60 reißen kann, hat mich ebenfalls überrascht (sie spielte eine Hauptrolle im aufgeführten Kindermusical). Neffe 1 spielte eine tragende Rolle und tat sich nicht nur durch Text- und Spielsicherheit hervor, sondern auch dadurch, dass er die Texte aller anderen, weit weniger Textsicheren, lautlos mitsprach. Macht ihn mir nicht sympathischer.

Sehr Lake Wobegon war der Rahmen des Konzertes: Die herumwuselnden Organisatorinnen-Mütter, denen man ansah, wie sehr sie darin aufgingen, die Begrüßung der Ehrengäste (inklusive geistigem Beistand), die Verleihung von Ehrenurkunden des deutschen Sängerbundes an vier Mädchen für zehnjährige Mitgliedschaft, der muntere Ringtausch von Blumensträußen für Dirigentinnen, Repetitorinnen, Organisatorinnen, Ehrenvorsitzende etc. Werden solche Veranstaltungen wirklich für die Kinder ausgerichtet? Macht das ihnen Spaß, haben sie was davon?

Was die Begegnungen betrifft: Zwei Mitabiturientinnen (eine davon Dirigentin des jüngsten Chores) haben mich glücklicherweise nicht erkannt, einer begrüßte mich mit Umarmung (was ist nur aus dem schönen Händeschütteln geworden?), eine weitere hätte mich übersehen, wenn mein Vater sie nicht herbeigerufen hätte. Sie fiel mir um den Hals, musste sich aber gleich weiter um ihre Kinder kümmern und eilte hinfort mit dem Ruf, dass wir uns unbedingt mal wieder …. Diese letztere war durchaus einst eine gute Freundin, und wir haben einander als Jugendliche sehr beeinflusst. Den Lidstrich trage ich noch heute, wie sie ihn mir beigebracht hat, ich wiederum habe ihr ihre erste schwarze Unterwäsche geschenkt (während ich aus einer dessousbegeisterten Familie komme, hatte ihre Mutter ihr schwarze Unterwäsche verboten, weil man die nicht rauskochen könne). Aber das war eine andere Frau, die gibt es nicht mehr. So, wie es die Kaltmamsell von damals nicht mehr gibt.

die Kaltmamsell

24 Kommentare zu „Musikalische Bildung“

  1. Thea meint:

    ******************KOMMENTAROMAT**********************

    Made my day

    *******************************************************

  2. Buchfink meint:

    wunderbar, das ist mal wieder Frau Kaltmamsell at her best, danke für die Realsatire.

  3. croco meint:

    Grausam sowas, nicht?

  4. kelef meint:

    derlei veranstaltungen sind tatsächlich fast ausschliesslich für die – wie frau syberia sagen würde – verziehungsberechtigten. die lehrer (und auch -innen) profitieren insofern davon, als die organisierenden verziehungsberechtigten profilierungsneurotikerinnen (es handelt sich dabei ja ausschliesslich um frauen) ein lobendes wort bei der schulleitung verlieren, was wiederum der benotung der lehrer >(und auch -innen) zugute kommt. die schulleitung profitiert insofern davon, als viele öffentliche veranstaltungen zeugnis davon ablegen, dass kultur und muse in der schule nicht zu kurz kommen.

    die blutsverwandten organisatorinnen, meist muttertiere der üblen art, haben endlich eine beschäftigung, können mit fug und recht behaupten “in einem wahnsinnigen stress” zu sein (kein mensch ahnt ja, was das alles an arbeit gibt, karten, reservierungen, telefonate, besprechungen, …), man kann der nachbarin eins auswischen “meine singt ja sooo wunderbar, einfach die beste in ihrem jahrgang”, dem ehemann kann ein neues kleidchen abgeschwätzt werden “man muss ja zeigen was man hat”, man muss zum frisör “man ist ja schliesslich nicht irgendwer”, und das kochen entfällt wegen der stressbedingten migräne, muss man also zum essen ausgeführt werden. wochen im voraus und im nachhinein hat man ein thema wo immer man auch hinkommt, und allen verwandten mit nachwuchs kann man unter die nase reiben, dass das eigene balg ja aber so was von wunderbar, nein, also, die lehrerin hat ja auch gesagt da schlummert ein talent, …

    das einzige, was die kinder wirklich daran schätzen ist, dass mit ein wenig glück ein paar unterrichtsstunden entfallen und für das anhaltende erzeugen von trommelfellkrebserzeugenden geräuschen u.u. die musik- und/oder deutschnote verbessert wird. zudem können sie sich mit der ausrede “ich muss meine rolle noch üben” von unliebsamen gesichtsbadeterminen bei der erbtante mit den hexenhaaren auf der warze distanzieren, und müssen für eine kleine weile keinerlei handgriff im haushalt tun. für besonders bevorzugte geht sich auch noch ein neues kleidungsstück aus und eine belohnung für die brillante aufführung.

    der geübte (ehe)mann macht übrigens bei ruchbar werden derartiger vorhaben gerne eine lange, lange dienstreise weit, weit weg, am besten an einen ort ohne telefon.

  5. die Kaltmamsell meint:

    Oh nein, verstehen Sie mich nicht falsch: Ich habe gestern keineswegs gelitten. Diese Welt ist für mich so fremd, dass ich mich wie eine Touristin auf einem anderen Kontinent gefühlt habe – inklusive gefühlter Exotik.

    Es handelte sich allerdings, Frau kelef, um keine schulische Veranstaltung (diese Stadt hat eine wie Unkraut blühende Chorkultur). Den Kindern fiel also mitnichten Unterricht aus: Sie mussten für Proben nachmittags einrücken und, so wurde mir berichtet, für die vergangenen drei Wochenenden. Es sah auch nicht nach Talentwettbewerb aus; Ehrgeiz konnte ich bei keinem Kind erkennen (außer bei dem eher unangenehmen Neffen 1, und dem wird das garantiert nicht eingetrichtert).

  6. Mareike meint:

    Danke fürs Verlinken der Einträge von 2006. Hatte ich damals zwar gelesen, die Kommentare aber nicht verfolgt. Das habe ich in der letzten Stunde nachgeholt und “mannmannmann”, jetzt hab ich ordentlich was nachzudenken.

    Liest Frau Pepa hier noch mit? (Ich konnte auf ihrem Blog keine E-Mail-Adresse finden.) Wenn ja: um welche Studie handelt es sich hier? (Kommentar vom 27. April 2006, 22:10 Uhr)

    “Autarkie an sich, die Selbstbestimmtheit und -wirksamkeit ja mit einschließt, ist so betrachtet durchaus ein Wert für sich, denn sie ist, das haben Untersuchungen an einer Gruppe stark Traumatisierter gezeigt, die Voraussetzung für Gesundheit; sowohl im psychischen, als auch, und das war der eigentliche Gegenstand dieser Studie, im physischen Sinne.”

  7. Petra meint:

    Ebenfalls Danke fürs Verlinken der Beiträge aus 2006, da ich zu der Zeit hier noch nicht mitlas. Aus der Seele geschrieben – GENAUSO ! Als sich das Abitur zum 10. Mal jährte, bin ich noch voller Erwartung hingegangen. Kurze Zeit vorher meinen Beinahe-Ehemann in die Wüste geschickt und meinen ersten annehmbar bezahlten Job inne, fühlte ich mich zwischen lauter stolzen Hausfrauen und Müttern ziemlich fehl am Platze. ‘Gut, müssen die Mädels selbst wissen, was sie mit Einser-Abitur und begonnenem Jura- oder Medizinstudium anfangen’, dachte ich damals, für mich war zu der Zeit klar, welchen Lebensweg ich einschlagen werde – diesem bin ich auch gefolgt – und zu keinem weiteren Abi- oder sonstigen Ehemaligentreffen an der Schule hingegangen. Mittlerweile ist das 25. Abijubiläum schon verstrichen und die meisten meiner damaligen Mitschülerinnen sind sicherlich schon stolze Schwiegermama und Oma ;o)

  8. Susanne meint:

    Als ich noch ein Kind war, habe ich allerdings angenommen, dass Vorspiele sowohl meiner Mutter als auch mir gefallen würden, ein Trugschluß, meine Mutter ging nur aus Pflichtgefühl. Sie wird allerdings auch heute noch unruhig, wenn sie mir beim Musizieren zuhören soll. Nachdem andere Leute mich inzwischen dafür bezahlen, dass ich ihnen vorspiele liegt es wohl nicht an der mangelnden Qualität meiner musikalischen Äußerungen.

    Ich hoffe bei sowas immer, dass es wenigstens den Kindern Spaß macht, ich gehe zu so etwas nämlich wegen meines Sohnes und nicht meinetwegen. Ich höre meinen Sohn ja äußerst gerne Musik machen, auch wenn er schräg Blockflöte quietscht oder schief singt (das gibt sich noch, mit sechs machen das fast alle). Ich habe aber ziemlich Probleme, lange Zeit stillzusitzen während institutionalisierte Veranstaltungen abgezogen werden und die ganze Wichtigtuerei und Blumenübereicherei kann ich zwar intellektuell nachvollziehen, brauche ich aber nicht unbedingt.

  9. pepa meint:

    Großartig, danke liebe Kaltmamsell für diesen unverstellten Blick auf dererlei Veranstaltungen und Frau Kelef, Sie haben den Nagel mal wieder voll auf den Kopf getroffen, so mitten ruff – herrlich!

    Musikalische Dressur, schnelle Erfolge in der Kinderverziehung – meine Tochter hat es gerade mit den Ergebnissen derselben in ihrem Schulorchester zu tun. Da sitzen einige von denen, die schon frühzeitig von Mutti (und Vati) auf vermeintlich musikalische Hochleistungen getrimmt wurden, sind zwar technisch auf ihrem Instrument sehr versiert, haben aber an der Musik an sich so überhaupt gar keine Freude. Weder üben sie, noch schauen sie auch nur ansatzweise zum Dirigenten, verpassen deshalb Einsätze, intonieren unsauber und vermasseln so den Mitmusikern das Zusammenspiel. Vermutlich wäre der größte Gefallen, den man diesen Jugendlichen tun könnte, sie aus dem Orchester zu schmeißen – damit sie vielleicht irgendwann wieder von allein und nicht von Mutti (und Vati) geschupst dort anlanden können.

  10. percanta meint:

    Ob es den Kindern Spaß macht? Vielleicht nicht allen, aber einigen bestimmt. Mir haben die Schul- und Stadtteilkonzerte und Vorspielnachmittage als Kind viel Spaß gemacht, und im Rückblick waren sie eine sicher wichtige Stufe auf dem Weg zu späteren Symphonie- oder Kammerkonzerten und zu heutigen Chorkonzerten auf der aktiven Seite. Aber damals waren die Konzerte selbst und die Proben dafür wichtig und aufregend und schön, ja. Aber vielleicht macht mich das ja auch so sympathisch wie Ihnen Ihr Neffe.

    Auch Fußballspielen macht den Kindern ja nicht immer Spaß, in der Mannschaft meiner Geschwister verschwanden jedenfalls bei Turnieren immer mal wieder Kinder vom Spielfeld in den angrenzenden Wald, Höhlen bauen. Und waren hinterher genauso stolz auf den Pokal wie die Sänger auf den Applaus.

  11. kittykoma meint:

    zum klassentreffentrauma (die texte hatte ich ebenfalls noch nicht gelesen) steuere ich mal das bei:
    http://www.kittykoma.de/index.php?id=155

  12. Lila meint:

    Auch für mich eine Welt, die ich nicht kenne. In seliger Unmusikalität aufgewachsen und fortgepflanzt… Nur meine Jüngste spielt in der Schule Mandoline, und die lassen uns damit in Ruhe. Warum Mandoline? Weil nur Mandoline oder Geige zur Verfügung standen und der Kindsvater erklärte: entweder Geige oder ich.

    Ehrgeizige Mütter, PUH.

  13. Gaga Nielsen meint:

    Stoff-Yoga. Sehr interessante Übersprungshandlung. Oder ist es vielleicht doch mehr ein Ausdruck von Langeweile? Wahrscheinlich liegt die Wahrheit in der Mitte – eine bunte Mischung aus Aufgeregtheit, Langeweile und Orientierungslosigkeit. Irgendwie die Richtung. Wenn man bedenkt, dass man mit solchen Befindlichkeiten auch noch im Erwachsenenalter konfrontiert ist, und wenn man dann weiter bedenkt, dass man sich wohlerzogenerweise nichts dergleichen anmerken lässt, und wenn man dann weiter bedenkt, was diese kleinen Gefühlswallungen innerlich für Tranformationswege nehmen… Ich bin fast ein bißchen neidisch, dass man als Kind öffentlich solchen Unfug treiben darf. Wahrscheinlich innerlich befreiend. Als Erwachsener hat man dagegen bessere Möglichkeiten, sich den meisten Zwangsveranstaltungen zu entziehen. Also doch lieber erwachsen!

  14. Stefan meint:

    Mein kleiner Sohn (7) spielt freiwillig Gitarre, weil das für ihn cool ist und weil er später mal E-Gitarre spielen möchte. Es gibt keinerlei Druck von uns Eltern. Ich finde aber ein Vorspiel aller etwa sechs Monate sinnvoll, weil dadurch das Selbstbewusstsein gestärkt wird und weil das Kind spürbar an Sicherheit gewinnt.

    Durch den Gitarrenunterricht ist er einer der wenigen Schüler in seiner Klasse, die richtig Noten lesen und vom Blatt spielen (singen) können. Trotzdem müssen alle Kinder für das Fach Musik auch auf einer Schul-Blockflöte üben. Dazu gibt es Griffbilder. In der letzten Woche war ein Vorspiel in der Schule. Die Kinder haben auswendig ihre Grifffolgen heruntergespielt und man konnte nur deshalb eine Melodie erkennen, weil vom Band eine Begleitung eingespielt wurde …

  15. kelef meint:

    liebe kaltmamsell, glauben sie mir: ich hab’ das hinter mir. las nichte eines mannes mit absolutem gehör, der so ziemlich alle instrumente richtig spielen konnte und mathematik und physik studiert hatte, und als tochter von dessen bruder, der ebenfalls einige intrumente spielte, da hab ich so eine eigene meinung zu dem thema. das konservatorium durfte ich neben der mittelschule machen, und mit 14 gab ich schon unterricht. keine schul- etc. veranstaltung fand ohne mich statt, gerne wurde ich auch verliehen, immer mit der kompletten partitur vor dem dirigenten als notfallorchestrierung (einer MUSSTE ja die erste geige spielen, und wenn es auf der klarinette war). immer gerne dann auch noch ein solo für die tränendrüsen, und obwohl ich schon sehr lange nicht mehr spielen kann: den hummelflug bringe ich heute, glaube ich, noch aus dem pfeiferl.

    natürlich gibt es kinder wie die tochter von frau pepa, die ein entsprechendes talent mitbringen und freude an der musik. die muss man nur lassen, dann machen die das ganz alleine, das lernen wie das üben. das sind aber die allerwenigsten. der überwiegende rest setzt sich aus fehlehrgeizigen oder gedrillten kindern mit schweinsohren zusammen, die von entsprechenden schweinsohrigen eltern – man kann es nicht anders sagen – gequält werden. ob es sich dabei um schulische, pädagogisch wertvolle, kirchliche oder kulturelle organisationen handelt ist dabei ziemlich egal. die töne die ertönen werden nicht getönt wegen der freude am klang, sondern aus einer unglaublichen anzahl anderer, weit weniger lauteren gründen, und die ziele, die die einzelnen involvierten personen verfolgen sind zwar fast ebenso zahlreich wie die anzahl der personen, aber ebensowenig lauter, höchstens laut.

  16. Stefan meint:

    Musik hat sehr viel mit Mathe und Naturwissenschaften zu tun (wollte ich oben noch schreiben). Mein Sohn kann jetzt in der zweiten Klasse seiner Mathe-Lehrerin sagen, dass eine Note in Bruchteile zerlegt wird — in der zweiten Klasse gibt es offiziell nur Rechnen mit ganzen Zahlen. Das hat er einfach so nebenbei mit gelernt. Und ich bilde mir ein, dass das Rhythmusgefühl ihm beim Schwimmenlernen sehr geholfen hat. So denke ich, dass die musikalische Bildung [siehe Titel] schon sehr wichtig ist, dass sie aber in den meisten Schulen leider völlig falsch umgesetzt wird.

    Trotzdem noch ein Wort zu den hochbegabten Talenten: von selbst kommt der Erfolg nicht und Talent allein führt nicht zur Spitzenleistung. Und wenn wir in der Oper oder auf einer CD sehr gute Musik hören, dann stecken auch Training und Drill im jugendlichen Alter dahinter.

  17. Sabine meint:

    Wie beim Menschwerden ist es beim Musiklernen so, dass es anfangs quietscht, Mühe macht und manchmal zum Davonlaufen ist. Aber damit das Land weiter gute Musiker hat, genügt es nicht, Drachenzähne zu säen, man muss schon durch das tiefe Tal der ersten fünf Jahre samt dem Musikschulgedöns hindurch, das im übrigen eine eigens für Eltern erdachte Folter ist.

    Oder man sucht einen Lehrer, dem die Schüler auch noch dann bleiben, wenn sie richtig gut geworden sind, und lässt sich bei den Vorspielen von aufnahmereifen Boccherini- und Strauß-Sonaten entzücken.

  18. kelef meint:

    ich sag ja nix gegen bildung und üben und lernen und alles was dazugehört.

    aber, mit verlaub, es ist einfach so dass netrebko, villazon, gulda, mozart, beethoven, da vinci und goya und alle anderen schon so auf die welt gekommen sind.

    richtig singen kann man nicht lernen, nur perfektionieren, ganz egal wie früh man das kind zu quälen beginnt. und auch wenn dem pamperletsch noch vor dem abnabeln ein pinsel oder hammer und meissel in die pfote geklebt werden, heisst das noch lange nicht dass deshalb ein michelangelo draus wird.

    auch wenn man das prinzip flugeug richtig verstanden hat heisst das noch lange nicht dass man eines bauen oder reparieren kann, aber das verständnis hilft beim würdigen der leistung des konstrukteurs oder mechanikers.

  19. Sabine meint:

    Mit Verlaub, richtig singen kann man sehr wohl lernen, auch wenn eine besonders schöne Stimme eine Gottesgabe ist. Aber auch eine Anna Netrebko und ein Philippe Jaroussky wären nicht da, wo sie sind, ohne geübt, geübt, geübt zu haben. Bekanntlich hat schon der sehr kleine Mozart – ohne Zweifel eines der größten Musikgenies der Welt – ausgesprochen viel geübt. Und Michelangelo und dem Flugzeugbauer sind ihr Können auch nicht einfach zugeflogen.

    Der Umkehrschluss funktioniert natürlich nicht immer – viel üben allein reicht nicht; bei der Stimme sind oft physische Grenzen gesetzt; musikalisches Empfindungsvermögen ist auch unterschiedlich ausgeprägt. Natürlich werden nicht aus allen Blockflötenkindern Dorothee Oberlingers, aber auch die hat mal früh angefangen und viel geübt (übrigens ist es mir ein großes Rätsel, wie ein derart schwieriges Instrument immer für den Anfängerunterricht missbraucht wird).

    Aber die Musiklandschaft besteht eben nicht nur aus der hier genannten Spitzenklasse der Leute, die Plattenverträge kriegen und berühmt sind – das ist ein viel weiteres Feld, und die meisten Musiker sind einfach begeisterte und begabte Menschen, die in ihren Beruf viele, viele tausend Stunden investiert haben. Es gibt auch Untersuchungen, die deutlich belegen, dass der Unterschied zwischen einem ordentlichen und einem hervorragenden Musiker allein in der Zahl der – vorwiegend in Kindheit und Jugend erbrachten – Übestunden liegt. Um diese Menge an Zeit aufzubringen, braucht es natürlich Leidenschaft, Neigung, Talent und Disziplin.

    Komisch, bei Sport kommt doch auch keiner auf die Idee, dass es ohne hartes Training geht.

  20. Stadtneurotiker meint:

    Kinder und Jugendliche sind mein Broterwerb. Dennoch kann ich solchen Kinderkonzerten auch nichts abgewinnen und bin sehr dankbar, daß mir Derartiges bis jetzt erspart blieb. Es muss auch Vorteile haben, keine Geschwister zu haben…

  21. postorette meint:

    Ach, Frau Kaltmamsell, wie fühlt sich das eigentlich an, wenn man einen so schönen, fein beobachteten und durchaus liebevollen Text verfasst und dann sind da so belehrende und unterschwellig eingeschnappter Kommentare dabei?
    Oder bin ich bloß neidisch, weil ich keinen Sohn habe, der seiner Mathelehrerin sagt, wo es lang geht?
    Und was für eine Freude “Lake Wobegon” auftauchen zu sehen, das habe ich in meiner Jugend in einer echten Buchhandlung d.h. OHNE Rolltreppe gekauft, muss sofort die Regale absuchen und das Buch mit ins Bett nehmen.

  22. Stefan meint:

    @postorette: Mein Sohn hat ein relativ gutes Verhältnis zu seinen Lehrern. Er geht selbstbewusst in die Schule und hat auch in der zweiten Klasse noch Spaß am Lernen. Ich habe nicht geschrieben, er habe der Lehrerin gesagt, wo es langgeht. Sie können aber meinen Kommentar selbstverständlich missverstehen und umdeuten, wenn Sie es unbedingt wollen.

  23. Petra_S meint:

    da bin ich wohl ganz aus der Art geschlagen. Den übertriebenen Ehrgeiz profilneurotischer Eltern kann ich nicht leiden, aber ich beneide alle die sich in wohlgesicherten Existenzen nicht nur um die existentiellen Bedürfnisse ihrer Kinder kümmern können, sondern noch die Zeit und Geld haben für die Förderung von Talenten.
    Ich war die ersten 3 Jahre zuhause (und bereue es gar nicht, denn einen “Beruf” hatte ich damals noch nicht) . Es gab damals keine gute Kinderbetreuung, die Omas waren noch arbeiten und von Kindergrippen halte ich heute noch nichts.
    Danach ging es los mit Arbeiten und der entsprechenden Kinderversorgung (Kiga + Hort). Talentförderung kam zu kurz. Das Kind “wollte” kein Instrument lernen und ich habe nicht weiter gedrängt, war eher froh nichts organisieren zu müssen und kein Geld dafür ausgeben zu müssen. Heute tut mir das sehr leid. Habe ich schon erwähnt, dass es in meiner Kindheit ähnlich war.
    Ich gehöre übrigens sogar zu denen, die sofort Tränen der Rührung produzieren, wenn das eigene Kind in einer Schulauführung zur Minirolle antritt oder unter den Klängen des selbstgewählten Intros (Jumping Jack Flash) sein Abizeugnis abholt. Ganz schlimm, aber es ist halt so.

  24. dyfa meint:

    Hach Frau Kaltmamsell, Sie sprechen mir aus der Seele.

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