Kriterien für extremistische Organisationen
Montag, 1. Juni 2009 um 18:27Oh, es hat sich sehr gelohnt, dass der Mitbewohner das SZ-Magazin aus der Altpapiertonne fischte. (Ich hatte es versehentlich mit zeitungsbegleitendem Unkraut, aka Prospekten, weggeworfen.) In meiner Lieblingskolumne „Gewissensfrage“ sollte Kolumnist Rainer Erlinger beurteilen, ob in einem Fragebogen als Angabe über frühere Mitgliedschaften in extremistischen Organisationen die katholische Kirche aufgeführt werden sollte.
Nun wird die katholische Kirche in Personalunion vom Staatschef des Vatikans geführt, einer absoluten Monarchie, die ähnlich wie die Kirche selbst weder Gewaltenteilung noch Demokratie kennt – beides elementare Grundzüge unserer Verfassung. Frauen wird in Kirche wie Vatikan der gleichberechtigte Zugang zu höheren Ämtern verwehrt, sexuelle Minderheiten werden verfemt und diskriminiert. Zudem sind die hiesigen leitenden Geistlichen, obwohl aus deutschen Staatskassen bezahlt, undemokratisch zustande gekommenen Weisungen aus dem theokratischen Kleinstaat zu Gehorsam verpflichtet. Und so manche ihrer Äußerungen scheinen, wenn auch nicht direkt sicherheitsgefährdend, so doch stark polarisierend. Insgesamt zeigt sich an vielen Stellen also eine deutliche Abweichung von Gesellschaftsverständnis und Menschenbild unserer Verfassung. Letzteres gründet zwar auf dem christlichen Menschenbild, hat sich jedoch im Hinblick etwa auf Eigenverantwortung, Freiheit und Gleichheit gegenüber dem der katholischen Kirche offenbar deutlich weiterentwickelt.
Passt wunderbar zu meinem Zucken, als ich gestern Herrn Ratzingers Warnung vor der „Verschmutzung des Geistes“ hörte und mich fragte, was denn bitte Religion anderes sei.
die Kaltmamsell5 Kommentare zu „Kriterien für extremistische Organisationen“
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1. Juni 2009 um 19:38
Anno 2003 war ich zur Übergabe des Weltjugendtagskreuzes in Rom und wohnte u.a. einer Messe von Hr. Ratzinger, damals noch Kardinal, bei. Was ich bis heute davon erzähle, ist, dass er während der kompletten 40 Minuten nicht ein Mal blinzelte (außer vllt. in den Momenten, als ich das selbst tat) und wie bedrohlich es auf mich wirkte als er während der Predigt sagte “wir müssen den Schmutz aus unserer Seele waschen”. (Dazu grimmig-entschlossene Geste.)
2. Juni 2009 um 9:00
Ich würde mal sagen Religion ist eine wenn auch nicht die ausschließliche Deutungsmöglichkeit für grundlegende Fragen menschlichen Daseins. Und man muß nicht jede Fehlform von Religion oder jegliches Fehlverhalten religiöser Funktionäre zur Abwertung von Religion benutzen.
2. Juni 2009 um 13:08
Mir fällt dazu folgender Vergleich aus einer Newsgroup(?) ein:
Physik ist, wenn man in einem dunklen Raum eine schwarze Katze sucht.
Philosophie ist, wenn man in einem dunklen Raum eine schwarze Katze sucht, die nicht da ist.
Religion ist, wenn man in einem dunklen Raum eine schwarze Katze sucht, die nicht da ist und einer ruft: “Ich hab sie!”
2. Juni 2009 um 13:34
Der Ausspruch stammt angeblich von Dik Browne, dem Schöpfer Hägars.
Ansonsten: gerne gelesen!
3. Juni 2009 um 9:17
@Mareike: Welche Bedeutung hat es denn, wenn jemand nicht (mehr) mit den Augen blinzelt?
Prinzipiell kann ein Religionsführer dazu aufrufen, die Gedanken oder die Seele sauber zu halten. Das kommt ja nun nicht nur in der katholischen Kirche vor. Auch viele Meditationstechniken haben doch das Ziel, zu innerer Klarheit zu finden. Manche laufen zu diesem Zweck einen Marathon …
Ich kann das alles freundlich distanziert und tolerant betrachten. Entscheidend ist doch, ob eine Religion die Macht hat, Menschen zu bestimmten Handlungen zu zwingen. Ob die Menschen ihre Seele wirklich reinigen, kann sowieso niemand überprüfen;-)