Journal Sonntag, 4. November 2018 – The Children Act

Montag, 5. November 2018 um 7:05

Endlich mal wieder im Kino, wohlbekanntes Gefühl des Heimkommens in eine ganz spezielle Geborgenheit – und das, obwohl ich in diesem Kino, dem neuen Metropol, vorher noch nie gewesen war.

Nach einer ausführlichen Runde Crosstrainer und neuem Rumpfprogramm nahm ich eine Tram nach Schwabing, um The Children Act anzusehen, die letzte Möglichkeit. Der Roman hatte mir nur so mittel gefallen, zumal ich auf Ian McEwans Trick hereingefallen war zu behaupten, das Ganze beruhe auf einer wahren Geschichte (tut es nicht). Doch die zentrale Figur der britischen Richterin war mir sehr lebendig im Gedächtnis geblieben, und da sie auch noch von der verlässlich sensationellen Emma Thompson gespielt wird, wollte ich die Verfilmung unbedingt sehen. Vor allem wegen Thompson gefiel sie mir dann auch sehr gut.

Das Drehbuch (auch von Ian McEwan) konzentriert sich noch mehr auf den zentralen Charakter der Richterin Fiona May und arbeitet ihre Konflikte heraus – auch wenn sie nur unausgesprochen in der Richterin stattfinden. Im Roman wird das seltsam altertümliche britische Richtersystem ausführlich erklärt; das hätte den Film natürlich viel zu sehr aufgehalten, deshalb wird es nur durch bildliche Betonung von Details wie Kleidung, Räumlichkeiten gezeigt. Und indem der clerk der Richterin sichtbarer ist als im Buch – der Umgang mit ihm dient auch ihrer Charakterzeichnung.

Die Filmrezensionen sind gemischt, unter anderem bezeichnen viele die Hauptgeschichte und die Ehe der Richterin als unglaubwürdig. Während ich ersteres noch nachvollziehen kann, fand ich die langjährige, entfremdete Partnerschaft sehr realistisch erzählt.

Obwohl die Geschichte durchwegs ernst ist (sogar die leichteren Momente durch die melancholische Filmmusik von Stephen Warbeck gefärbt), bekommen wir vom Drehbuch den einen oder anderen Lächler, an einer Stelle sogar einen lauten Lacher. Fiona fragt ihren clerk (aus dem Gedächtnis zitiert): “Have you ever been wild and free?” Und die treue Seele antwortet nach einem Moment des Verdutztseins: “No. Thank God. I’d be hopeless about it.” (So geht’s mir auch.)

Den liebenden und verletzten Ehemann spielte berührend Stanley Tucci – wieder, ich dachte sofort an die ähnliche Rolle in Julia & Julia. Und ich genoss es, Emma Thompson zwei Stunden lang anzusehen, mit jeder Falte, jeder Runzel – ich freue mich so, dass sie sichtbar altern darf. Ich weiß ja, dass viele Schauspielerinnen schlicht nicht umhin kommen, dem äußeren Altern chirurgisch Einhalt zu gebieten – aber irgendwer muss doch auch die schönen alternden und alten Frauen spielen (die hoffentlich häufiger werden im Kino). Sollen Laura Dern, Darryl Hannah, Gillian Anderson, Michelle Pfeiffer von mir aus 30 Jahre lang wie Mitte 30 aussehen – aber ich freue mich über jemanden wie Judi Dench, Maggie Smith, Helen Mirren, die alle großartig aussehen, lediglich nicht jung.

Daheim war während meiner Abwesenheit Herr Kaltmamsell von seiner Rollenspiel-Mission zurückgekehrt, lebendig. Ich wusch gleich mal eine Maschine blutgetränkte Schlachtkleidung, las Internet und Zeitung.

Das Abendessen durfte ich verantworten, ich machte nach Langem mal wieder die Meatball Sandwiches von David Lebovitz. Das Brot dafür hatte ich auf dem Heimweg vom Kino bei einem Bäcker im Hauptbahnhof besorgt – es ist wirklich praktisch, im Inneren einer Großstadt zu wohnen.

Während nach dem Essen der interessant erzählte Tatort “Der Mann, der lügt” lief (weil ganz am Hauptverdächtigen dran, wir erfuhren die Hintergründe nur in dem Maß, in dem dieser Verdächtige mitbekommt, was die Ermittler gerade wissen), räumte und sortierte ich Wohnung, bereitete den ersten Arbeitstag nach Pause vor, fühlte mich gehetzt.

Bücher-Challenge, Tag 2,5 (7 Tage, 7 Cover, 7 Namen, keine Begründungen): Fanny Burney, Evelina.

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Im Freitag schreibt Elsa Koester über:
“Rudel der Schuhgucker
Das Patriarchat unterdrückt auch Männer. Aber warum wehren sie sich nicht?”

via @journelle

Viele Männer leiden unter dem Patriarchat, können sich Feministinnen nicht mit ihnen verbünden? Sich solidarisieren? Erstaunlicherweise sind die meisten von ihnen außer Stande, etwas gegen dieses System zu unternehmen, das in der Lage ist, einen Wagen von 20 Personen unter die Kontrolle eines Angetrunkenen zu bringen. Es gibt nur eine Situation, in der diese Männer Kritik am Patriarchat äußern: nämlich dann, wenn Frauen sie dafür kritisieren, mitzumachen. „Halt, wir sind gar nicht alle Täter!“, protestieren sie dann, „wir leiden ja auch unter den bösen Patriarchen! Vielleicht sogar mehr als Frauen“.

die Kaltmamsell

3 Kommentare zu „Journal Sonntag, 4. November 2018 – The Children Act

  1. Trulla meint:

    Mit hat das Buch sehr gut gefallen und ich werde, was ich sonst ungern mache, wegen Emma Thompson auf jeden Fall auch den Film ansehen. Das Altern der englischen Schauspielerinnen ist fantastisch, sie wirken dadurch glaubwürdig, rollengerecht und nicht klischeehaft. Wobei generell in englischen Filmen und Fernsehserie auffällt, dass die Darsteller “normal“ aussehen und nicht – Verzeihung – retortenhaft langweilig.

  2. Sandra meint:

    Ah, interessante Erkenntnis, die wir nicht hatten beim Tatort. Wir dachten einfach, es löst sich nur sehr spät auf, so nach und nach, aber ja, uns fällt es grade wie Schuppen von den Augen. Es ist wie Sie es erklären.
    Ein wirklich toller Tatort, spannend bis zum Schluss und der Lügner hat uns gut verwirrt.

  3. Claudia meint:

    Interessanterweise hatte ich gestern mit einer Freundin auch das Thema, dass britische Schauspielerinnen so viel weniger glattgebügelt als ihre amerikanischen Counterparts aussehen…und damit einfach echter.
    Wenn Sie die großen (alten) Damen des britischen Films / der britischen Bühne mögen, ist wahrscheinlich “Nothing like a Dame” sehr empfehlenswert (falls Sie es noch nicht kennen). Leider im Kino verpasst (nicht bei uns gelaufen oder wenn, dann nur einen Tag?) verspricht der Trailer Großartiges. Judi Dench, Eileen Atkins, Maggie Smith und Joan Plowright treffen sich zum Kaffeekränzchen und reden über ihr Leben, ihre Rollen und vieles mehr.
    https://www.youtube.com/watch?v=xsfvfH-8QWM

    DVD ist bestellt – über Amazon…

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