Journal Mittwoch, 28. November 2018 – Erste Schritte in die Schöfferei, J.G. Farrell, Troubles

Donnerstag, 29. November 2018 um 12:57

Im Spätsommer erhielt ich ein Schreiben, dass ich für die Amtsperiode 2019 bis 2023 als Hilfsschöffin beim Amtsgericht München gewählt worden war. Über das Schöffenamt hatte ich mich ja ausführlich informiert und freute mich sehr – erst nach einiger Zeit begann ich mich zu fragen, wodurch sich das Amt der Hilfsschöffin wohl von der einer Schöffin unterschied. Die Details fand ich gestern heraus, nämlich in der Einführungsveranstaltung.

Bis dahin hatte ich genug Zeit gehabt, die bürokratischen Modalitäten mit meinem Arbeitgeber zu klären. Die Gesetzeslage nach § 45 Abs. 1a DRiG (Deutsches Richtergesetz): “Ehrenamtliche Richter sind für die Zeit ihrer Amtstätigkeit von ihrem Arbeitgeber von der Arbeitsleistung freizustellen.” Das heißt: Statt ins Büro gehe ich ans Gericht, das wird als Arbeitstag gezählt.

Ich war gestern schon ganz schön aufgeregt; das Gebäude des Strafjustizzentrums in der Nymphenburger Straße (Stil Hochbetonik der 70er, vertraut durch die Schulneubauten meiner Kindheit) passiere ich zwar seit 30 Jahren regelmäßig (schräg gegenüber liegt mein Lieblingskino seit Studientagen, das Cinema), aber drin war ich noch nie gewesen.1 Genau genommen wusste ich nicht mal, wo der Eingang liegt.

Den fand ich nach meinem Fußmarsch durch kalten Novembernebel problemlos, weil mit rot-weißen Sicherheitsabsperrungen gut sichtbar. Richterinnen und Richter (Schöffen und Schöffinnen sind halt genau das, huiuiui) müssen sich an der Sicherheitsschleuse auch lediglich ausweisen und nicht durchsuchen lassen. Auch den Schulungssaal fand ich zusammen mit anderen Neuschöffinnen, hoch oben im 7. Stock. Aussicht:

Sehr gut und sorgfältig strukturiert wurde unsere etwa 50-köpfige, sehr vielfältige Gruppe (insgesamt gibt es wohl 1.000 Schöffinnen und Schöffen an den entsprechenden Gerichten in München) drei Stunden lang von einem Amtsrichter und einer Angestellten darüber informiert, was auf uns zukommt – bis in die Details, wer in einem Gerichtssaal wo sitzt. Am neuesten war mir die Erkenntnis, dass nicht nur die Unabhängigkeit von Richterinnen und Richtern funamentaler Teil unserer Verfassung ist, sondern auch die Unabhängigkeit der Richterauswahl: Eine Richterin darf sich nicht aussuchen, welche Fälle sie richtet, auch die Schöffinnen und Schöffen werden neutral zugewiesen – nun verstand ich, warum die Auflagen für die Ablehnung auch nur von Verhandlungsterminen derart streng sind.

Und ich erfuhr, warum ich bislang keine Sitzungstermine zugeschickt bekommen hatte: Hilfsschöffinnen werden nach einer vorher ausgelosten Reihenfolge kontaktiert (“in der Regel kurzfristig telefonisch”), wenn eine Hauptschöffin oder ein Hauptschöffe ausfällt. Ich werde meinen Arbeitgeber also darauf vorbereiten müssen, dass ich sehr spontan wegmüssen könnte.

Weitere erste Male: Mittagssnack in der Cafeteria des Justizzentrums mit Ausblick auf den Innenhof, in dem sich nach dem Zschäpe-Urteil die Pressevertreterinnen geballt hatten.

Mittags brachte uns ein Bus nach Landsberg am Lech: Wir Neuschöffinen besichtigten die dortige Justizvollzugsanstalt. Ein sehr fotografables Gebäude mit vielen interessanten visuellen Details – doch aus nachvollziehbaren Gründen durften wir keine Fotoapparate, Handys (oder Autoschlüssel) hinein nehmen. Ausführliche Informationen der Gefängnisleitung über die Geschichte des Gebäudes und – was mir am meisten nachging – des Strafvollzugsrechts: Erst 1977 regelte die Bundesrepublik gesetzlich den Strafvollzug (angeschubst durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das diesen massiven Einschnitt in die Bürgerrechte bitteschön geordnet haben wollte). Mit der Föderalismusreform 2006 ging der Strafvollzug in die Zuständigkeit der Länder über, die enstprechenden Strafvollzugsgesetze unterscheiden sich.

Die vielen Daten über den Gefängnisalltag (das fiel mir sprachlich auf: es war ganz unbürokratisch von “Gefängnis” und “Gefangenen” die Rede) und der Rundgang durch die Gebäude schlugen die Tür in eine weitere Welt auf, über die ich mir noch nie so recht Gedanken gemacht hatte.

Ein Detail seines Vortrags baten uns der stellvertretende Gefängnisleiter und die Gefängnisleiterin ausdrücklich nach draußen zu tragen, und die Bitte erfülle ich gerne: Die JVA Landsberg sucht derzeit eine zweite Ärztin oder einen zweiten Arzt, der bisherige ist in Ruhestand gegangen und sie benötigen eine Nachfolge. Festanstellung mit Bezahlung nach Tarif Marburger Bund.

§

Am Abend traf sich unsere Leserunde, um über J.G. Farrell, Troubles, zu sprechen. Der Roman hatte mir gut gefallen, auch die anderen waren angetan gewesen: Er spielt im Irland kurz nach dem Ersten Weltkrieg, vordergründig geht es um ein riesiges, altes und von Engländern geführtes Hotel in der Nähe von Dublin, das Majestic, das langsam aber energisch verfällt, im Mittelpunkt steht vordergründig der britische Major Brendan Archer, nach dem Krieg und Aufenthalt im Sanatorium frisch aus dem Militär entlassen. Hintergrund aber sind die vielen kleinen und mittelgroßen gewalttätigen Auseinandersetzungen der britischen Kolonialmacht mit den einheimischen Iren, die sich erst aus historischer Entfernung als Unabhängigkeitskrieg herausstellen.

Ich war sehr angetan von der dichten und detailreichen Handlung, in der sich das steigende Chaos im und am Hotel mit dem Verfall des britischen Empire verwebt, von den grotesken Einzelheiten, mit denen sich die Hotelbewohner abfinden und von der Erzählstimme, die indirekt die überhebliche Haltung der Briten und nur wenig Hellsicht spiegelt – unter anderem haben zwar alle britischen Bewohnerinnen und Besucher des Hotels Namen, aber aus dem zahlreichen einheimischen Personal des Komplexes nur zwei Personen.

Den Roman (der erste aus Farells “Empire Trilogy”) ist ein großartiges Stück Commonwealth Literature aus unerwarteter Richtung, Leseempfehlung.

Zu Essen gabe es köstliche gebratene Ente, an der ich mich komplett überfraß, dazu bestens passenden Spätburgunder aus Baden.

  1. Meine Amtsperiode wird auch die letzte Gelegenheit dafür sein: 2023 soll das Justizzentrum in einen Neubau am Leonrodplatz ziehen, für den im Mai dieses Jahres der Grundstein gelegt wurde. []
die Kaltmamsell

12 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 28. November 2018 – Erste Schritte in die Schöfferei, J.G. Farrell, Troubles

  1. Defne meint:

    Ich hatte mich auch als Schöffin gemeldet bin aber leider nicht eingeladen worden. In München ist es ja anscheinend so dass sich mehr als benötigt melden. Für die nächste Amtsperiode bin ich leider zu alt.
    Allerdings war ich vor über 30 Jahren schon mal als Schöffin beim Verwaltungsgericht. Damals wurden dort noch Fälle von Wehrdienstverweigerung behandelt.
    Ich fand das bei Gericht sehr interessant und hätte dieses Amt auch nochmal gerne gehabt. Anscheinend melden sich aber zu viel Rentnerinnen.

  2. Buchfink meint:

    Ich war auch für zwei Amtsperioden Schöffin in München am Landgericht. Für mich war das ein Eintauchen in eine Welt, von der ich bislang keine Ahnung gehabt hatte. Häufig auch belastend.

  3. Elisabeth meint:

    @Defne: das ist ja spannend, was ist denn problematisch daran, dass sich zuviele Renterinnen bewerben? Sind damit nur weibliche Menschen im Ruhestand gemeint oder auch männliche? Geht es dann um mangelnde Vertretung jüngerer Generationen? Würde mich wirklich sehr interessieren.

    @Frau Kaltmamsell: vielen Dank für die Einblicke in die Eingeweide unserer Jurisdiktion. Ich freue mich auf die Updates und wünsche Ihnen viel Spaß bei den neuen Aufgaben (der Arbeitgeber wird sich ja hoffentlich nicht querstellen).

  4. Andrea meint:

    Mir geht es so wie Defne, auch ich hatte mich gemeldet, bin aber nicht angenommen worden. Wie ist denn die Altersgrenze? Dazu habe ich in meinem Bundesland (Niedersachsen) nichts gefunden.
    Daher ganz herzlichen Dank für die Einblicke in die Welt der Schöffinnen und Schöffen. Ich hoffe, ich darf es für die nächste Amtszeit wieder versuchen.

  5. die Kaltmamsell meint:

    Für Niedersachsen, Andrea, heißt es:
    “Die Kandidatinnen und Kandidaten müssen zu Beginn der fünf Jahre dauernden Amtsperiode das 25. Lebensjahr vollendet und dürfen das 70. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.”
    Quelle: https://www.mj.niedersachsen.de/startseite/schoeffinen_und_schoeffen/schoeffinnen-und-schoeffen-114462.html

  6. Defne meint:

    @Elisabeth
    Ich nehme an dass die Schöffen so ausgesucht werden dass jede Bevölkerungsgruppe vertreten ist, also Männer und Frauen und alle Altersstufen und ggf. Beruf. Über die politische Gesinnung der Bewerber ist ja nichts bekannt.
    Außerdem kann es durchaus sein dass sich wirklich viele Rentnerinnen (damit meine ich Frauen) bewerben, da diese mehr Zeit haben als Berufstätige. Wenn ein Mangel an dieser Gruppe gewesen wäre wäre ich drangekommen. Ich finde die Altersgrenze aber zu niedrig angesetzt wenn alle mit 67 in Rente gehen sollen und mit 70 dann schon nicht mehr geistig fit genug sind Schöffe zu sein.

  7. Roland B. meint:

    Die Altersbeschränkung bezieht sich sicher weniger auf die geistige Leistungsfähigkeit als auf die körperliche. Stundenlanges Sitzen und konzentriertes Zuhören sind sicher auch körperlich anstrengend, dazu kommt eine erhöhte Ausfallwahrscheinlichkeit durch Krankheiten im höheren Alter. Aber das Demenzrisiko spielt sicher auch eine Rolle – es wird vermutlich schwer sein, einen dement gewordenen Schöffen still und leise von den Verhandlungen fernzuhalten, er muß vielleicht offiziell für geschäftsunfähig erklärt werden.

  8. Sewwi meint:

    Vielen Dank für diesen Einblick in die Einführungsveranstaltung. Ich hatte meine vorletzte Woche und wir besuchten die JVA in Landshut. Das ist die zweitmodernste in Bayern, besonders interessant fand ich aber die unterschiedlichen Einstellungen des Personals dort.
    Auf jeden Fall bin ich schon sehr gespannt auf die neue Tätigkeit. Ich bin übrigens als Hauptschöffin am Landgericht eingeteilt. Wir haben zwar schon eine Liste mit Terminen bekommen, aber die sind wohl keineswegs verbindlich. Es bleibt also auch hier spannend.

  9. Herbert meint:

    Interessant. Ich bin ab 01.01. auch Hilfsschöffe am LG Düsseldorf und freue mich schon darauf.

  10. Michel meint:

    Wie erfährt man denn, ob die Schöffenbewerbung berücksichtigt wurde oder nicht?
    Gibt es denn in München eine Stelle wo man nachfragen kann, warum die eigene Bewerbung nicht berücksichtigt wurde?
    Ich bin 35 Jahre und fühle mich eigentlich nicht zu alt Schöffe zu werden…

  11. die Kaltmamsell meint:

    Ich wurde einige Zeit nach meiner Bewerbung im Februar zunächst benachrichtigt, dass ich auf die Vorschlagsliste des Kreisverwaltungsreferats gekommen sei, Michel. Darin auch die Info, dass die endgültige Auswahl vom Schöffenwahlausschuss beim Amtsgericht München getroffen werde und man Ende des Sommers benachrichtigt werde, wenn man berufen werde. Keine Nachricht bedeute, man sei nicht berücksicht worden.
    Mehr Info über die Auswahl als hier “Allgemeine Informationen” habe ich auch nicht:
    https://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Kreisverwaltungsreferat/Buergerbuero/Schoeffendienst.html

  12. Bernicz meint:

    bin etwas spät dran, aber @Michel – auch am Landgericht Kempten ist es so, dass man (wie in der Lotterie) nur eine Benachrichtigung bekommt, wenn man auch „gewonnen“ hat (in meinem Fall Jugendhilfsschöffe) … sieht also so aus, als ob das bayernweit gleich gehandhabt wird.

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