Journal Freitag, 21. Dezember 2018 – Wie ich vor vielen Jahren mal einem Kolumnisten e-mailte
Samstag, 22. Dezember 2018 um 8:40Windig wurde es gestern, hin und wieder regnete es, insgesamt noch milder.
Für den letzten Tag vor den Betriebsweihnachtsferien war es gestern dann doch recht emsig. Ich hatte mich darauf eingestellt, das Büro am mittleren Nachmittag zu verlassen, es wurde dann aber doch ein lediglich pünktlicher Feierabend. Vage hatte ich geplant, in die Stadt für ein paar Lebensmitteleinkäufe zu fahren, doch auf der Einkaufslisten-App Wunderlist, die ich mit Herrn Kaltmamsell teile, sah ich, dass er schon alles besorgt hatte.
Daheim kochte und kruschte ich noch ein wenig, bis es Zeit war, zu einer Weihnachtsfeier im Freundeskreis zu gehen. Mit Herrn Kaltmamsell spazierte ich durch stürmischen Wind nach Untergiesing, wo angenehme Gesellschaft und gutes Essen warteten. Leider war ich komplett erschöpft, fix und fertig, so dass ich das Fest schon früh verließ.
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Juan Moreno war es, der die erfundenen Artikel im Spiegel aufdeckte, sein früherer Arbeitgeber Süddeutsche hat ihn dazu interviewt:
“‘Ich wusste, dass er lügt'”.
Lieblingsantwort.
(Und den mit der Spanish inquisition hat hoffentlich schon jemand gemacht?)
Während ich den Namen Claas Relotius am Mittwoch zum ersten Mal im Leben las, ist mir Juan Moreno ein Begriff, seit er die erste Samstagskolumne in der damals völlig neu gestalteten Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung schrieb: “Von mir aus” hieß sie. Hin und wieder spielte seine spanische Gastarbeiterherkunft eine Rolle, unter anderem in einem brüllend komischen Text über die Bewerbung eines seiner Brüder an der Schauspielschule (you had to be there…). Er war Anfang des Jahrtausends der erste Journalist, dem ich mich traute eine E-Mail zu schreiben (Adresse erschlossen aus der Systematik im Impressum), er antwortete sogar, und das freundlich.
Seither freute ich mich immer, wenn ich seinen Namen in der Autorenzeile entdeckte, und war von dem Text darunter nie enttäuscht. (Na gut, die Sportgeschichten habe ich ausgelassen.)
In diesem Spiegel-Artikel aus dem Jahr 2012 reist Moreno zum andalusischen Dorf seines Vaters, um herauszufinden, wie Spanien gerade tickt.
“Mein fremdes Land”.
(Offizieller Dank an den Spiegel, dass er diese Archiv-Geschichte kostenlos lesbar macht.)
Und wieder finde ich diesen Tonfall mit “Ich” so viel glaubwürdiger als all die literarischen, atmosphärisch geraunten Reportagen, für die es gerne Preise gibt (der Text oben war allerdings zumindest nominiert für den Reporterpreis). Moreno gibt sich als filterndes, erlebendes Subjekt zu erkennen, er stellt sich nicht über das Thema und die Menschen, über die er berichtet. Für mich bedeutet diese Haltung großen Erkenntnisgewinn. Und Erheiterung, Moreno hat einen wunderbaren Humor.
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Eine Kollegin machte mich gestern mit dem Genre Literal Video bekannt: Über die Musikvideos bekannter Songs wird die Beschreibung des Videos gesungen. Mittlerweile weiß ich, dass das Genre durch diese Version von “Total Eclipse of the Heart” begründet wurde. Jahrezeitlich passend beschenke ich Sie heute allerdings mit dieser SRF 3-Interpretation von you know what:
https://youtu.be/6vC_KqP7YgU
7 Kommentare zu „Journal Freitag, 21. Dezember 2018 – Wie ich vor vielen Jahren mal einem Kolumnisten e-mailte“
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22. Dezember 2018 um 9:05
Liebe Frau Kaltmamsell, als stille Leserin möchte ich heute doch einmal eine Nachricht hier hinterlassen. Auch ich bin ein Juan Moreno Fangirl aus SZ Zeiten. Wussten Sie, dass es auch ein Buch mit seinen Texten gibt? Vielen Dank für Ihre Texte, Rezepte und die Kurzweil beim Lesen. Mit dem Stollenrezept bin ich seit Jahren die Königin des Backens in der Verwandschaft. Ein schönes Weihnachtsfest Ihnen.
22. Dezember 2018 um 9:09
Vielen Dank, Margit, fürs Mitlesen und das Lob! Das Moreno-Buch war mir jetzt begegnet – wissen Sie, ob es den Text über das Vorsprechen an der Schauspielschule enthält?
22. Dezember 2018 um 10:08
Aaah, Last Christmas, the literal version! So herrlich und darum seit Jahren meine liebste Weihnachtstradition! Und Sie erinnert mich gerade daran, das ich es dieses Jahr noch nirgendwo gepostet habe, wie nachlässig von mir…
22. Dezember 2018 um 10:18
Ist das heute wieder interessant bei Ihnen!
Als treue Leserin des SPIEGELs seit Jahrzehnten war mir der Name Relotius nicht geläufig. Doch gerade die eine seiner unredlich ausgeschmückten Geschichten (wie man nun erfährt), das ausführliche Interview mit der letzten Überlebenden der “Weißen Rose“ ging mir sehr unter die Haut. Ich war beim Lesen zu Tränen gerührt und fand seine Schilderung der eigenen Geduld und Beharrlichkeit, unbedingt mit dieser alten Dame ins Gespräch zu kommen bewunderns- und dankenswert. Was für eine Enttäuschung nun – welch ein Betrug in alle Richtungen!
Und was für ein Schaden für die so wichtige freie Presse, gerade in der heutigen Zeit, wo Populisten lautstark angebliche fake news der von Ihnen so bezeichneten Lügenpresse beklagen. Man kann Juan Moreno nicht genug danken für seine ehrliche Arbeit.
22. Dezember 2018 um 10:22
Korrektur: Nicht von Ihnen, Frau Kaltmamsell, sondern von ihnen (kleingeschrieben), den Populisten, bezeichneten…..
Sorry
22. Dezember 2018 um 19:00
Ich verschlang Juan Morenos Texte in der SZ, hatte aber das Gefühl, dass er dort keine Möglichkeiten hatte, sich journalistisch zu entwickeln.
Durch seine Haltung in der jetzige Spiegel-Affäre zeigt er abermals, dass er zu den ganz Großen gehört.
(Ich muss gestehen, dass ich von dem Bericht „Jaegers Grenze“ absolut angetan war, als ich ihn damals las. Und bin jetzt total verstört. Hoffe, der Journalismus erholt dich von diesem perfiden Selbstmordanschlag dieses Relotiuses).
22. Dezember 2018 um 20:16
“Selbstmordanschlag” gefällt mir sehr gut als Bezeichnung für den Vorfall, maz.