Feminismus lateral

Dienstag, 3. August 2004 um 17:21

Der gestrige Independent schreibt über eine Folge der Benachteiligung von Frauen, auf die ich nie von selbst gekommen wäre:
The medical timebomb: ‘too many women doctors’

Eine Professor Carol Black, Präsidentin des Royal College of Physicians („Britain’s most influential royal medical college”) warnt darin: “The medical profession is in danger of losing its power and influence because too many women are scaling its ranks.”

Die Argumentation: Über 60 Prozent der jungen Mediziner sind bereits Frauen, bald wird es auch insgesamt mehr weibliche Ärzte geben als männliche. Jede Branche, die von Frauen dominiert wird, hat geringes gesellschaftiches Ansehen und damit geringen Einfluss. Das drohe dann auch der Medizin: “Years ago, teaching was a male dominated profession – and look what happened to teaching. I don’t think they feel they are a powerful profession any more. Look at nursing, too.”

Dabei betont Professor Black, die Kompetenz und die Fertigkeiten von Frauen würden keineswegs in Frage gestellt. Sie beobachte lediglich: “In Russia, medicine is an almost entirely female profession. They are paid less and they are almost ignored by government. They have lost influence as a body that had competency, skills and a professional ethic. They have become just another part of the workforce. It is a case of downgrading professionalism.”

Hm, darüber muss ich erst mal nachdenken.

die Kaltmamsell

11 Kommentare zu „Feminismus lateral“

  1. Stefan meint:

    Es gibt aber IMHO auch männlich dominierte Berufe, die einem ‘downgrade’ unterzogen werden oder unterzogen wurden.

  2. Claus meint:

    Der Vergleich mit dem russischen Gesundheitswesen ist ja süß.
    Als wenn die Russische Armee für HightTech, gute Bezahlung oder hohes Ansehn berühmt wär. Man zeige mir einen Bereich in Russland, der wirklich erfolgreich und verlässlich funktioniert. Dann wäre ich wirklich mal beindruckt.

  3. Stefan meint:

    Sehen wir eine Korrelation oder eine Kausalität? Was ist denn mit dem Bildungswesen passiert?
    – es ist immer weniger Geld dafür vorhanden und viele Schulen sind in einem schlechten Zustand,
    – der reale "Betreuungsschlüssel" wird immer ungünstiger (mit Folgen für die Qualität),
    – die Eltern werden ihrer Verantwortung immer seltener gerecht,
    – im Umfeld fehlen immer häufiger die bildungsrelevanten Werte,
    – es fehlt eine breite private und privatwirtschaftliche Unterstützung für das Bildungswesen,
    – viele gut (aus)gebildete Paare entscheiden sich gegen Kinder.
    – und nein, über "die Jugend von heute" sage ich nichts, denn die kann ja nichts dafür :-)
    Aus den genannten (und weiteren) Gründen kommt es zu einer Abwärtsspirale, die man zwar (mit den heutigen Lehrern, Schülern und Eltern) stoppen könnte, die man aber noch nicht einmal richtig realisiert hat.

    Sehen wir eine Korrelation oder eine Kausalität? Was ist mit dem russischen Gesundheitswesen?
    Wenn dort Frauen dominieren, ist es wohl immer noch eine Folge des zweiten Weltkriegs und des kalten Kriegs. Russland hatte die größten Verluste an Männern, Russland musste später eine Riesenarmee aufrecht erhalten. In diesen Zeiten mussten einfach mehr Frauen im Gesundheitswesen arbeiten. Und weil Russland ein armes Land ist, hat es natürlich sehr wenig Geld für das Sozial- und Gesundheitswesen. Den Status westlicher Ärzte mit dem Status russischer Ärztinnen zu vergleichen, ist zumindest gewagt. Wie groß ist der Anteil privat niedergelassener Ärzte und der Anteil der Privatpatienten in Russland?

    Gibt es ein downgrade des Status bestimmter Berufsgruppen? Ohne Zweifel. Bestimmte Berufe verschwinden ganz oder können nur mit hohen Subventionen gehalten werden (Stahlwerker, Bergleute). Bestimmte Berufe stecken in der Krise: früher waren sie in stolzen Zünften und Innungen organisiert, heute müssen sie große Abstriche machen. Das betrifft zum Beispiel viele Bauleute und Bauhandwerker. Bestimmte Berufe werden zuerst von einer Elite, dann von immer breiteren Massen ausgeübt: Informatiker, "Wäppdisseiner" und viele EDV-Mitarbeiter müssen realisieren, dass sie nichts Besonderes mehr sind. Und wenn ich manchmal früh vor 6.00 Uhr arbeiten gehe, dann sehe ich die Müllabfuhr beim Leeren der Müllcontainer. Die können wohl nicht mehr viel Ansehen verlieren. Ich denke, damit sind auch genug Beispiele für männlich dominierte Berufe mit Ansehensverlust oder geringem Ansehen genannt.

    Ich denke, dieses "downgrading" ist gesellschaftliche Realität, aber es ist nicht geschlechtsspezifisch zu erklären. Warum es zu diesen Ansehensverlusten und -verschiebungen kommt und was man dagegen tun könnte, ist sicher an anderer Stelle zu diskutieren.

    Letztes Gegenargument: das ständig wachsende Ansehen der eindeutig frauendominierten Blog-Branche :-)

    Stefan

    PS: Tippfehler mag man mir heute bitte nachsehen, es war ein wahnsinnig langer Tag.

  4. semmel meint:

    Die Polizei. Ihr habt die Polizei vergessen.

  5. die Kaltmamsell meint:

    Was mir dazwischen noch eingefallen ist: Dass Mediziner überhaupt Ansehen genießen, ist ja eine verhältnismäßig neue Sache. Ohne Nachschlagen erinnere ich mich, dass sie erst im 19. Jahrhundert vom Berufssbild Bader, Schlächter, geldgierige Scharlatane wegkamen.
    Gerade im Gegensatz zu Lehrern, die eigentlich immer und in allen Gesellschaften hohes Ansehen genossen (wenn auch meist im Status Hauspersonal).

  6. typ.o meint:

    mein erster gedanke war, vorsicht, da steckt irgendwo ein logikfehler drin, und der hinweis auf die fragestellung kausalität <-> korrelation ist ja auch goldrichtig.

    dennoch: es fällt leicht, das zu *glauben*, wenn man sich so umsieht..

  7. Stefan meint:

    Die Probleme im Gesundheitswesen haben teilweise ähnliche Gründe wie die Probleme im Bildungswesen. Andere Gründe kommen hinzu. IMHO sollte man auch beachten, dass die Ärzte sehr ungünstig verteilt sind. In den Ballungsräumen gibt es viel zu viele Ärzte, in der Provinz zu wenige.

    Spontan fällt mir noch ein, dass zum Beispiel Norwegen ausländische Ärztinnen und Ärzte (auch aus Deutschland) beschäftigt und dass sie offenbar mit den Arbeitsbedingungen zufrieden sind. Aber Norwegen hat eben auch eine Menge Geld dafür übrig.

    Wie ist denn das eigentlich in Deutschland? Wie hoch ist der Anteil der Ärztinnen? Wie schätzt Ihr das Ansehen des Gesundheitswesens ein, in welche Richtung entwickelt es sich?

  8. Martin meint:

    Das hat jetzt mit weiblichen Ärzten erstmal nicht direkt zu tun, aber was mir spontan auffällt: Juristen haben noch einen Stand. Da sind viele Männer, und ein Großteil der politisch Aktiven (zumindest einiger Parteien) sind männliche Juristen.

  9. bjoern meint:

    Das Thema wir auch in der Kommunikationswissenschaft mit gleicher Richtung diskutiert: Kommunikationsbranche wird Frauendomäne (unterhalb der Leitungsebene in "einfachen" ausführenden Tätigkeiten ) –> Gehälter & Prestige sinken. Bsp. Die Korrelation zwischen Frauenanteil und z.B. Einkommensverlust ist eindeutig belegt. Kausalität: Vielleicht weil Frauen generell eher bereit sind, für ein geringeres Gehalt zu arbeiten und daher eher eingestellt werden?

  10. Stefan meint:

    Nein! In jeder Branche, in der zuerst wenige gutverdienende Spezialisten arbeiten und die dann in kurzer Zeit stark wächst, sinkt das durchschnittliche Einkommen. Gleichzeitig sinken natürlich auch die durchschnittliche Leistung und die Qualität. Im Volksmund sagt man auch "die Preise werden verdorben".

    Ich hatte bereits das Beispiel der eher männerdominierten IT-Branche gebracht. Natürlich wächst im Verlaufe eines so starken Wachstumsprozesses heutzutage auch der Frauenanteil. Der Staat gibt ja auch Geld dafür aus, um die Mädchen in diese Richtung zu beraten. Es werden extra geeignete Studiengänge eröffnet ("Mädcheninformatik"). Es wird dann über den Bedarf hinaus ausgebildet und studiert. Wenn diese Absolventen billig auf den Markt drängen, sinken allein schon dadurch die durchschnittlichen Gehälter.

    Ich hatte heute wieder so ein Erlebnis. Die Firma wollte einen komplexen IT-Auftrag an einen Studenten oder Praktikanten vergeben, der im Normalfall Arbeit für einen Informatiker im Umfang eines Quartals darstellt. Das wäre noch nicht so schlimm, wenn der Auftrag nicht eine Datenmodellierung und -migration (somit Berufserfahrung, Menschenkenntnis und Fachwissen) erforderte. Ich habe mit einem Fachmann gesprochen, den ich von einem Lehrgang her kenne. Er hat mir Recht gegeben, aber im Endeffekt werden sich die Chefs dort durchsetzen und es wird Unsinn herauskommen. Aber es war schön billig.

  11. L9 meint:

    Liebe Kaltmamsell, ja, so ist es wohl.
    Ich lese ihr Blog ja ab und an und kann mich mit ihren Sichtweisen (Frauenspezifische Verhaltensweisen, die nicht existieren, …, sie verzeihen die Punkte) durchaus anfreunden.
    ABER – ja, so ist es wohl. Und ehrlich gesagt (vor allem nachdem ich mit vielen Männermanagern im mittleren Alter durch die Welt gereist bin) sage ich mit vollem Bewusstsein: Hey Frauen, es ist noch lange nicht vollbracht!

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