Vaterlandslose Gesellin

Samstag, 7. August 2004 um 10:08

Das Wort „Gebietsanspruch“ versetzt mir jedes Mal einen Rempler. Weil ich es nur theoretisch verstehe. Jemand oder eine Gruppe von Menschen beansprucht also ein Stück Boden als ihr Eigentum, weil jemand früher darauf wohnte oder es im Besitz hatte, den etwas mit den Beanspruchern verbindet: Verwandtschaft, Volksstamm, Religion.

„Reparationsforderungen“ löst ein ähnliches Zucken bei mir aus, wenn es aus dem Mund eines Menschen kommt, dessen Urgroßmutter ihren Bausparer halt woanders investierte.

Ich gebe ja zu, dass ich sogar mit dem Konzept des Erbens Schwierigkeiten habe. Meine Eltern haben sehr hart gearbeitet, um aus bitterer Armut zu Haus- und Grundbesitzern aufzusteigen. Aber habe ich irgendein Recht auf dieses Eigentum, nur weil sie mich auf die Welt gebracht haben? Ich habe zu ihrem Wohlstand absolut nichts beigetragen.

Dieser Wurzelmangel ist natürlich durch meine Abstammung zu erklären. Spanischer Papa, Immigrant der ersten Generation; polnische Mama, in Deutschland geborenes Kind einer Zwangsarbeiterin und eines Soldaten. Wenn es jemand auf Blutlinien abgesehen hat, und die deutsche Einwanderungspolitik hatte das bis vor kurzem – siehe Spätaussiedler -, habe ich keinen Tropfen deutschen Blutes in meinen Adern. Wenn mir nur einfallen würde, was deutsches Blut noch mal genau ist.

Mein Vater ist weg gegangen, um sein Glück zu machen. Hat also genau die Initiative gezeigt, deren Mangel in der deutschen Wirtschaft heute gern beklagt wird. Ich weiß nicht, wie meine Gefühlslage wäre, wenn er nicht freiwillig gegangen, sondern vertrieben worden wäre. Andererseits: Meine polnische Oma ging ganz und gar nicht freiwillig. Ihre ebenso verschleppte Schwester kehrte nach dem Krieg zurück nach Südpolen und kümmerte sich um die Schmiede und die Ländereien des Vaters. Wie, bitteschön, käme ich denn dazu, auch nur einen Kieselstein davon als meinen anzusehen?

Nahe liegend, dass ich mit Begriffen wie „Vaterland“ gleich doppelt Probleme habe. Ich habe ein Zuhause, ich bin Deutsche – aber was soll jetzt bitte mein Vaterland sein? Wörtlich genommen Spanien? Dort habe ich nie mehr als fünf Wochen am Stück verbracht, der letzte längere Festlandsaufenthalt ist sechs Jahre her. Oder ganz Deutschland? Um das behaupten zu können, sähe ich mich erst mal verpflichtet, mehr davon kennen zu lernen.

Sollte also Migration als Mittel gegen National-Chauvinismus empfohlen werden? Nicht so einfach, denn gleichzeitig profitiere ich von Menschen und Familien, die sich seit Generationen nicht aus ihrem Geburtsort wegbewegt haben. Nur sie kennen wirklich jeden Stein des Landstriches, wissen die Geschichte jedes Hauses, geben die Lebensgeschichten ihrer Vorfahren und Nachbarn weiter.

Habe ich mir vielleicht ein Recht auf Mitsprache verwirkt, weil ich keine Nachkommen haben werde? Und damit nicht beurteilen kann, wie Blutsbeziehungen sich auf die Einstellung zu Landbesitz auswirken?

August04

die Kaltmamsell

3 Kommentare zu „Vaterlandslose Gesellin“

  1. typ.o meint:

    beide eltern hier aus polen, formerly known as ostpreußen, ich habe da meine derbe abneigung her, von meinem revisionistischen großvater mit reichskriegsflagge über dem bett: bis zum finalen bruch vor 20 jahren gab’s mit ihm nur sofort ausartende streit"gespräche" über reparationen etc.

    diese gesamte frage nach dem grundbesitz ist mir höchst suspekt. in bayern gehört ein riesiger teil des bodens den fürsten von waldburg zeil, und die sind daran gekommen, indem sie im bauernkrieg die bauern beschissen haben. es mag mir ja noch einleuchten, wenn jemand mückenverseuchte sümpfe mit eigener hand trockenlegt oder einen polder aufschüttet, von mir aus. aber irgendwo als erster an einen baum zu pinkeln und "meins" zu sagen?

  2. semmel meint:

    Schön zu wissen, dass es Menschen gibt, die so denken und das auch noch so schlüssig darstellen wollen und können.
    Diejenigen, die diese braunen Trommeln rühren sind ja oft nicht mal in irgendeiner Weise ‘Betroffene’, sondern köcheln ihre übelriechenden Süppchen auf den Herden anderer Leute.

  3. creature meint:

    wenn man konsequent die linien zurückverfolgen würde gehört niemanden irgendetwas, da sind wir alle "traveller on the path of life" im wahrsten sinn.
    alles wurde einmal einfach in besitz genommen, erobert, erschlichen, erheiratet, erkämpft!

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