Bosheit

Montag, 9. August 2004 um 10:21

Ich habe mich mal wieder in einen festgezurrten Knoten Bosheit verwandelt.

Dem leutseligen Pförtner, der mich anpredigt mit seiner Theorie, der Bundeskanzler sei schließlich der Geschäftsführer des Unternehmens Deutschland, stimme ich sarkastisch zu, um mit einem Schulterklopfer draufzusetzen, dass es deshalb auch Zeit werde, die Bürger, die nichts bringen, aus dem Land zu werfen. Kinder und Alte zuerst.

Ich begegne dem verursachenden Pärchen der anstehenden Familienhochzeit auf ihrem Weg zum Hochzeits-Tanzkurs. Verweise darauf, dass zur Ehe-Vorbereitung ein Besuch im nahe gelegenen Sex-Shop erheblich sinnvoller wäre. Mache ihnen nochmal klar, dass sie jederzeit aus dem Wahnsinn aussteigen können. Und dass es für Leute, die sich nicht einmal eine Reise leisten können und deshalb die Hochzeitsgäste um Geldgeschenke bitten, ziemlich unklug ist, sich eine Hochzeit zu leisten.

Als die drittschwangere Schwägerin das bereits zweimal gegrillte Lammfleisch schon wieder zerschnippelt und in zwei Zentimeter Augenabstand nach rohen Stellen sucht, mich auch noch als Komplizin gewinnen will („Jetzt sag selbst: Da ist es doch noch rot!“) – zische ich nur noch „Dann iss es halt nicht.“ und werfe das Fleisch über den Gartenzaun. Ihr großäugiges „Ich will halt kein Risiko eingehen“ kontere ich mit der Warnung vor dem Risiko, von mir erwürgt zu werden. Habe mich allerdings noch gut genug im Griff, sie nicht mit „Brutkasten“ zu titulieren. Täte es aber wahnsinnig gerne.

Der ICE-Zugchef hat wohl gerade einen Kundenorientierungs-Kurs in Kalifornien absolviert. Nicht nur zwitschert und jodelt er seinen Begrüßungstext ins Mikrophon, als wollte er Marika Rökk selig in der Hormocenta-Werbung beerben. Er bringt es auch fertig, während der Fahrscheinkontrolle jedem, aber wirklich jedem Passagier „Guten Morgen!“ entgegen zu jubeln, sich bei jedem für den Fahrschein zu bedanken (wahlweise mit „vielen Dank“, „herzlichen Dank“, „ganz herzlichen Dank“, „dann danke ich Ihnen recht herzlich“ oder „danke schön“) und ihm „noch eine schöne Reise“ zu wünschen. Meine Rache-Ideen entwickeln sich wegen Verschlafens zu langsam, so dass ich ihm weder meine Aktentasche zwischen die stämmigen Beine werfe, noch sein „Guten Morgen“ mit „Wie kommen Sie darauf?“ gegenzicke, sondern nur einsilbig knurre.

Und ich habe nicht die geringste Lust nachzubohren, welche frühkindliche Verletzung den Knoten dieses Mal bedingt hat.

die Kaltmamsell

10 Kommentare zu „Bosheit“

  1. tom meint:

    Ich glaube Kant sagte: Die Hölle, das sind die Anderen. Viel Erfolg auf dem Rückweg.

  2. die Kaltmamsell meint:

    Das ist von Sartre, aus Geschlossene Gesellschaft.

  3. pepa meint:

    Wieso Rückweg?
    Also liebe Kaltmamsell, ich finde Dich als festgezurrten Knoten Bosheit fast noch göttlicher als sonst – was eigentlich kaum geht!

    Vielleicht liegt es daran, dass auch ich heute auf Krawall programmiert bin.
    (((Gerade eben hätte ich fast einen Vater aus dem Sprechzimmer geschmissen, als er mich beim Narkosevorgespräch zum vierten Mal anmachte, warum ich denn seinen Filius nicht gleich hier und auf der Stelle operiere. Konnte mich gerade noch bremsen, einen Kommentar in Richtung:
    "Fein, dann können wir ja gleich in die Küche gehen, da liegt das Nudelholz für die Narkose bereit. Bis der Chirurg eintrifft, kann ich ja schon mal mit einem abgeschleckten Brotmesser den ersten Hautschnitt machen…", abzugeben.)))
    Ähem – der NÄCHSTE BITTE!

  4. meike meint:

    immer nur nett sein ist unheimlich. und das rauslassen, was eine juckt kann sehr befreiend sein und muß nicht unbedingt "böse" sein. sollte es aber zu einem zynistischen weltbild über mehrere stunden ausarten, dann ist vorsicht angesagt. zynismus ist nur im ersten moment komisch, bringt aber nicht weiter. und wenn man dann noch bedenkt, dass das, was man in den wald herein ruft zurück kommen könnte….

  5. uceda meint:

    Also ich habe nach dem Lesen den Wunsh verspürt, der Kaltmamsell für diese Worte begeistert meine Zunge in ihren Mund zu stecken.

  6. die Kaltmamsell meint:

    pepa, der Vater konnte es einfach nicht erwarten, seinen Sohn ENDLICH still zu kriegen. Er hat mein Mitgefühl. Trotzdem hättest Du ihn in die Küche schicken sollen.

    meike, ich will mich ja nur nett fühlen, mellow und so. Dann kann ich mir immer noch überlegen, ob ich zu anderen nett bin.

    uceda, come in and find out.

  7. typ.o meint:

    aaaah, essensmäkler, ich liebe sie! wie anmutig sie mit dem besteck das gericht sezieren, wie aufmerksam sie nach spuren von fleisch resp. käse resp. erbsen suchen, wie interessiert sie die bestandteile des essens erfragen, die wahl der gewürze, die garantie für die koschere herstellung des pfeffers! was ist dagegen das stumpfe, unreflektierte herunterschlingen ihrer langweiligen mitesser!

  8. Londo meint:

    Köstlich! Das war wahre Loki-Power! Mrs. Kaltmamsell, you made my day!

  9. typ.o meint:

    ot: frau kaltmamsell, bin voraussichtlich ab do oder freitag in augsburg, sind sie denn im lande?

  10. Vorspeisenplatte » Auf meinem Weg in die Arbeit - 1 meint:

    […] bis zur Firma bereits die ersten Sätze für den Blog-Eintrag. Weil als Zugführer wieder der Gute-Laune-Terrorist Dienst hatte. Oder am anderen Ende des Großraumwaggons zwei Passa […]

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