Journal Donnerstag, 18. Juli 2019 – Reha-Entlassungsprogramm
Freitag, 19. Juli 2019 um 7:02Früh aufgewacht nach einer Nacht mit wilden Träumen. Zumindest, glaube ich, habe ich niemanden darin umgebracht.
Der erste Termin war um 7 Uhr Rotlicht. Der Apparat war so schlampig an die Liege beschoben, dass ich 20 Zentimeter nach oben rutschen musste, bis ich die Wärme in der Lendenwirbelsäule spürte. Auch schon egal.
Um 7.30 Uhr trank ich im Speisesaal nur schnell ein Gläschen Hafermilch, um meine Aufgestandensein zu belegen. Ich beeilte mich, damit bis zum nächsten Termin genug Zeit für Crosstrainer war. Zu meiner Erleichterung war der Ausdauerraum offen und unbelegt, ich konnte eine Dreiviertelstunde strampeln.
Noch verschwitzt hatte ich um 8.30 Uhr die Abschlussuntersuchung im Stationszimmer (Schwesternzimmer). Eine andere Krankenpflegerin als bei der Eingangsuntersuchung wog mich, genauer: Sie wies mich an, mich auf die Waage zu stellen und ihr das Ergebnis durchzugeben. Wie schon in der Eingangsuntersuchung bat ich darum, das Ergebnis nicht kennen zu müssen. Die Pflegerin guckte verdutzt, las dann aber selbst ab und notierte. (Mein Gewicht und all die tausend Zwänge, die sich für mein verbeultes Gemüt daraus oder gar aus seiner Veränderung ergeben, tue ich mir in diesem Leben nur noch bei zwingender Notwendigkeit an.)
Immer noch schwitzend vom Crosstraining hatte ich einen Termin im Maschinenraum; ich spielte mein Programm durch.
Danach blieb gerade genug Zeit zum Wechsel in Badeanzug und Bademantel, damit schlappte ich zum Termin Bewegungsbad: Diesmal Wassergymnastik mit zwei Styroporscheiben (Durchmesser wie Ein-Kilo-Scheiben für Langhanteln), wieder nur mittellustig.
Nach dem Mittagessen Abschlusstermin bei der Stationsärztin. Sie konnte sich an keine meiner Erklärungen vor zwei Wochen erinnern, auch schon egal. Entsprechend spulte sie ihr Standardprogramm für das Ende der Reha ab, ermahnte mich, die hier begonnenen körperlichen Aktivitäten auch daheim weiterzuführen, außerdem sei die hier gelernte richtige Ernährung wichtig. Ich nickte einfach. Den Abschlussbogen hatte ich wahrheitsgemäß ausgefüllt. Die Ärztin stolperte über das Kreuzel “nicht erreicht” beim Reha-Ziel “Flexibilität rechte Hüfte steigern” und erkundigte sich nach dem Grund: Na, weil ich keine Anwendung dafür bekommen hatte. (Allerdings gibt es einen Physio-Einzeltermin am Freitag.) Und nein: Die mitgebrachten Schmerzen sind nicht besser geworden, dafür habe ich durch den Schlingentisch nach Langem mal wieder Rückenschmerzen.
Konstruktiv war der Hinweis der Ärztin auf die Nach-Reha. Ich rief beim nahe zur Arbeit gelegenen Reha-Zentrum an (10 Minuten zu Fuß) und versicherte mich, dass es dort in den nächsten drei Monaten Kapazitäten gibt. Die Adresse reichte ich anweisungsgemäß an die Klinikverwaltung hier weiter, damit die entsprechenden Unterlagen zusammengestellt werden können.
Blieb noch ein Termin für den Nachmittag: “Rückengerechtes Arbeiten/PC”. Wir übten Heben von Lasten, z.B. Biertragl aus Autokofferraum.
Zurück im Zimmer wurde ich über meiner Buchlektüre sehr müde und legte mich ein Stündchen hin. Nach dem Abendessen Spaziergang zum Supermarkt, Obst und Hüttenkäse für die kommenden Tage.
The Bonfire of the Vanities ausgelesen.
§
Jutta Pivecka, nur wenig älter als ich, hat über die Generation unserer Mütter nachgedacht:
“FRIEDENSMÜTTER. Ein Danke an ‘unsere Mütter'”.
Vieles davon passt auch auf meine Mutter. Was mich immer am meisten beeindruckt hat: Sie und viele ihrer Altersgenossinnen, die neue Wege beschritten haben, hatten ja keine Rollenvorbilder: Sie schufen diese neuen Wege ganz selbst.
Als ich über die Frauen aus der Generation meiner Mutter nachdachte, erkannte ich, wie unglaublich der Fortschritt ist, den sie „uns“, den Mädchen, die sie großzogen, ermöglichten. Ich benutze bewusst das Wort „Fortschritt“, wohlwissend, dass es ambivalent ist und dass jeder „Fortschritt“ in der Geschichte auch einen Preis hat (…). Die meisten Mütter meiner Freundinnen waren keine „68er“, auch wenn sie dieser Alterskohorte angehörten. Sie studierten nicht, sondern machten – im besten Fall – eine Lehre, viele blieben Ungelernte. Das Elternhaus verließen sie, wenn sie heirateten. Trotzdem kam der Kulturwandel, der Ende der 60er Jahre einsetzte, auch bei den meisten von ihnen an: nicht nur die Röcke wurden kürzer, sondern auch Autofahren gelernt, Volkshochschulen besucht, oft eine Teilzeiterwerbstätigkeit aufgenommen, wenn die Kinder „aus dem Gröbsten“ raus waren. Die Emanzipation unserer Mütter vollzog sich häufig nicht laut, nicht revolutionär, sondern im Kleinen, im Alltag. Meine Mutter schaute sich bei einer amerikanischen Freundin ab, dass auch einmal die Frau sitzen bleiben kann, wenn der Tisch abgeräumt werden muss, dass Männer durchaus Abtrocknen und Staubsaugen können. Sie lernte Fremdsprachen, weil sie mehr von der Welt verstehen und reisen wollte. Die Volkshochschulen, die in jenen Jahren in vielen Städten ihr Programm erweiterten, machten Bildung auch in der Provinz für breite Schichten zugänglich. Es waren überwiegend Frauen, „unsere“ Mütter, die diese Kurse besuchten. In den evangelischen und katholischen Frauengruppen wurden in jenen Jahren über neue Erziehungsstile und -theorien, Feminismus und Matriarchat diskutiert. Meine Mutter las Alice Miller und Alice Schwarzer. Sie knüpfte Freundschaften mit Frauen außerhalb des dörflichen Zirkels, sie lebte mir vor, wie ich erst heute erkennen kann, dass Beziehungen zwischen Frauen frei gewählte sein können, jenseits von Verwandtschaft und Nachbarschaft. Das war neu. Das hatte ihr niemand vorgelebt.
die Kaltmamsell
3 Kommentare zu „Journal Donnerstag, 18. Juli 2019 – Reha-Entlassungsprogramm“
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19. Juli 2019 um 9:27
Sehr interessant sind die Gedanken zu den Friedensmüttern. Ich fühle mich darin auch getroffen, obwohl ich Mutter von Söhnen bin, bei deren Erziehung ich auf gleichberechtigtes Denken setzte. Denn das Modell funktioniert schließlich nur, wenn beide Seiten mitspielen. Die Erfahrung, dass noch meine Mutter (geb.1917) bis in die 1970er Jahre nur mit Genehmigung des Ehemannes arbeiten durfte, empörte mich als junges Mädchen enorm. Dabei hatten unsere Mütter nach dem Krieg bereits bewiesen, dass sie alles konnten, was ihre Männer, die im Krieg geblieben waren oder spät heimkehrten, vorher machten. Soviel zu “fehlenden“ Vorbildern – es gab sie z.T. schon. Ohne diese Frauen, auch die Trümmerfrauen wäre kein so schneller Wiederaufbau möglich gewesen. Natürlich wurde diese Rolle zunächst gezwungenermaßen eingenommen. Zeigte aber, dass Frauen es können.
Kam der Mann zurück gaben sie diese Rolle, oftmals gegen ihren Willen wieder ab. Das Recht war noch nicht auf ihrer Seite, und erst mit neuem Ehe- und Familienrecht in den 1970er Jahren endlich geändert.
19. Juli 2019 um 10:34
Ich bin ja sehr gespannt auf Ihr Reha-Fazit.
19. Juli 2019 um 13:17
Das verstehe ich nicht ganz, wieso haben sie denn die Abschlussuntersuchung vor den individuellen Terminen?