Aufklärung

Montag, 13. September 2004 um 13:24

Was eine Skeptikerin ist, will sich bei Medien-Aufschrei die Quelle genau anschauen.

Das hat Bundespräsident Köhler gesagt (Wortlaut des Interviews):

Aber unabhängig davon gab und gibt es nun einmal überall in der Republik große Unterschiede in den Lebensverhältnissen. Das geht von Nord nach Süd wie von West nach Ost. Wer sie einebnen will, zementiert den Subventionsstaat und legt der jungen Generation eine untragbare Schuldenlast auf. Wir müssen wegkommen vom Subventionsstaat. Worauf es ankommt, ist, den Menschen Freiräume für ihre Ideen und Initiativen zu schaffen.

Gestern in der Tagesschau wurde dieser letzte Satz weg gelassen, auf der Website fehlt er auch heute.

Überhaupt finde ich eine andere Passage des Interviews viel interessanter:

Und wenn ein Arbeitnehmer in seiner Heimat keinen Arbeitsplatz finden kann, der seinen Ansprüchen gerecht wird, dann muss er selbst entscheiden: entweder dort hinziehen, wo er Chancen sieht, seine beruflichen Ziele zu verwirklichen, oder bewusst dem Leben in der unmittelbaren Heimat den Vorzug geben. Ich weiß, dass diese Wahl oft schwer fällt.

Da kann ich als Abkömmling einer Einwandererfamilie nur aus vollem Herzen zustimmen. Nur dass ich davon ausgehen muss, dass Herr Köhler mit dieser Aussage nur Menschen gemeint hat, die ohnehin schon innerhalb der deutschen Grenzen wohnen, nicht etwa fleißige Polen oder ehrgeizige Marokkaner. Oder?

die Kaltmamsell

9 Kommentare zu „Aufklärung“

  1. Stefan meint:

    Da der Bundespräsident eher für unser Land zuständig ist, wird er mit dem Umziehen wohl die Mecklenburger und Sachsen, Brandenburger und Thüringer gemeint haben. Wenn die jungen Leute aber wegziehen, beginnen wieder andere Politiker mit ihren Klagen über die verlassenen Landstriche und müssen den stetig wachsenden Mangel verwalten … denn mit jedem arbeitsfähigen Menschen ziehen auch Steuereinnahmen weg.

    Auch innerhalb des Ostens und innerhalb des Westens gibt es große Unterschiede. Wenn ich von Dresden aus etwa 70km Richtung Osten fahre, dann kann ich diese Unterschiede schon mit beiden Händen greifen. Und wer aufmerksam mit den doch recht komfortablen ICE-Zügen von Dresden ueber Frankfurt/M. und Hannover nach Hamburg fährt, kommt durch allerlei höchst unterschiedliche Gegenden. Insofern hat der Bundespräsident doch Recht.

    Die Frage ist nur, wem damit geholfen ist. Denn nur durch Reden wird nichts besser. Wer ist so naiv und glaubt an einen Bürokratie-Abbau infolge eines Interviews des Bundespräsidenten? Am nächsten Sonntag werde ich mein Kreuz bei einer demokratischen Partei machen. In Vorbereitung auf den Wahlabend muss ich mir wohl von Pepa eine Nierenschale schicken lassen, weil die NPD wahrscheinlich trotzdem in den Landtag einziehen wird. Und dann wird die demokratische Mehrheit im Landtag wahrscheinlich drei Wochen über die Sitzordnung diskutieren, weil keiner neben den Braunen sitzen will. Aber die Debatten über die eigentlichen Probleme werden sie vertagen …

  2. zeitgenossen meint:

    Das ist und bleibt eben der grundlegende Unterschied zwischen Sozialdemokraten und, au weiha, Liberalen: Wie weit geht Gleichheit? Gleiche Ausgangslage oder gleiches Ergebnis? Ich finde das sehr mutig, toll, und ich finde ihn sexy, von Köhler, dass er das anspricht. Und er sagt dann, die Lösung liege im Zuhören.

  3. anker meint:

    Danke für die Recherche. Diese Krankheit der Weglassens zentraler oder zumindest erklärender Sätze greift leider immer weiter um sich.

  4. ahs meint:

    Man muss nicht Bundespräsident sein, um sich plötzlich mit einer völlig aus dem Zusammenhang gerissenen Aussage konfrontiert zu sehen, die so nie artikuliert wurde. Es reicht, ein kleiner Bundeswehrsoldat zu sein, der ein Interview gibt und dessen Aussage durch Weglassen und Zusammenschneiden der Sätze im Fernsehen plötzlich eine ganz andere Gewichtung bekam. Diese Person war ich selbst, und ich habe diese miese Journalistentour bis heute nicht vergessen. Das ist jetzt genau 20 Jahre her.

  5. zeitgenossen meint:

    Jetzt würd ich das da oben gern löschen, denn ich find ihn ja nur wegen seinem Aussehen sexy und im Zuhören bin ich dann schon total scheisse.

  6. die Kaltmamsell meint:

    Zeitgenossen, es ist ganz einfach: Er hat “Jehova” gesagt.

  7. die Kaltmamsell meint:

    Ach, und von wegen leere Landstriche. Im Westdeutschland der Nachkriegszeit ist so viel passiert, was zu den jetzigen Lebensumständen geführt hat. Gebietsreform, Verwaltungsreform, Schulreform und vieles mehr haben von den Menschen eine Menge Umstellung und Anstrengung abverlangt, von denen wir jetzt profitieren. Ganz offensichtlich war es ihnen die Mühe wert. Weil es ihnen vorher exrem schlecht ging? Weil sie von den Verbrechen der Nazi-Zeit traumatisiert waren? Weil ihnen niemand etwas anderes versprochen hatte? Ich weiß es wirklich nicht.

  8. su meint:

    ist doch alles nur gerede, das wieder gerede erzeugt. wo ist der plan für eine sinnvolle veränderung? wann endlich löst man sich von zustandsbeschreibungen und zeigt das ziel und wege dahin? das ist so viel verschwendete energie, deutschlandweit auf ein paar worten rumzukauen, die eh nichts vorwärts bringen! “krümelkackerei”

  9. Stefan meint:

    Ich denke, in der Nachkriegszeit kamen mehrere Dinge zusammen, die Sie auch schon genannt haben: Zerstörung –> Wiederaufbau; moralische Schuld –> “Läuterung” durch fleißige Arbeit usw.

    Der Bundespräsident hat einige richtige und wahre Sätze gesagt, aber ich frage mich trotzdem, ob uns das weiterhelfen wird. Momentan stürzen sich doch nur die Wahlkämpfer und Kommentatoren auf diese Worte. Viele versuchen, sich daran zu profilieren. Dass die Sätze teilweise aus dem Zusammenhang gerissen werden, macht es noch schlimmer.

    Ich stimme Ihnen in Bezug auf die Flexibilität zu, wollte nur die Folgen vor Augen führen. In Sachsen und Thüringen verfolgt man ja die Politik, bestimmte Ballungszentren zu stärken und hat damit gewisse Teilerfolge erzielt. In Brandenburg, Mecklenburg und Vorpommern sieht es noch viel schlimmer aus.

    Es führt heute bereits zu Unverständnis und teilweise wütendem Protest, wenn man vorschlägt, dass wir in jeder Region wieder unsere Ernte selbst einbringen. In der Nachkriegszeit — aber auch noch in der DDR — hätte man sich über die Ernte gefreut und einfach zugepackt.

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