Journal Freitag, 13. Dezember 2019 – Innereiengespräche und Stollentausch
Samstag, 14. Dezember 2019 um 8:26Die Nacht verlief überraschend schmerzarm: Das sind halt einfach blaue Flecken an Rippen und Knie. Wach haltende Unruhe wurde eher von ein paar offenen Arbeitsdingen erzeugt, die mich entweder große Überwindung kosteten oder im Grunde unlösbar waren. Um halb sechs gab ich auf und verließ das Bett. Crosstrainer-Pläne hatte ich bereits gestrichen – sogar mir dämmerte, dass sportliche Bewegung bescheuert gewesen wäre. Ich genoss die zusätzliche Zeit vor der Arbeit, hängte Wäsche auf, bloggte gemütlich, genoss meinen Morgenkaffee.
Das Fahrrad ließ ich (wegen offensichtlich bescheuert) stehen, mit Tram und U-Bahn in die Arbeit.
Angstarbeiten. Ich scherze ja gerne bei Arbeitsproblemen, deren Lösung ich nicht in der Hand habe, meine Unterstützung liege im Anzünden von Kerzen vor Wallfahrtsaltären. Meinte ich das ernst, hätte ich derzeit einen klimaschädlichen Kerzenverbrauch.
(Und wie groß die Erleichterung ist, wenn ich Unvorhergesehenes schnell lösen kann – weil es ja bloß an mir liegt!)
Die Fahrradsturzbeschwerden machten die umgekehrte Entwicklung vom Vortag: Sie ließen immer weiter nach, bis ich nur noch wie vorher hüfthumpelte. Super für meine wochenendlichen Sportpläne!
Eine Gruppe Krähen am Himmel beobachtet, die sich von den starken Böen tragen ließ, ganz hoch, zur Seite, im Kreis – es sah nach einer Menge Spaß aus.
Früher Feierabend, ich war fürs Abendessen zuständig (Herr Kaltmamsell besuchte nach der Arbeit erst noch einen Freund). Geplant waren spanische Knoblauchnierchen. Also nahm ich eine S-Bahn zum Marienplatz und spazierte durch viele, viele Christkindlmarktbesucher zum Metzger Eisenreich auf dem Viktualienmarkt, der auf Innereien spezialisiert ist. Die Schweinenieren bekam ich problemlos, dann fragte ich fürs Wochenendessen nach Rinderzunge: Ja, auch die gab es, und zwar gepökelt. Herr Metzger fürchtete zwar, das Exemplare, das er mir hinhielt, könnte zu groß sein, aber ich versicherte ihm, dass wir die über ein paar Tage schon wegessen würden. Austausch von Zubereitungspräferenzen.
Auf dem Heimweg über die Sendlinger Straße besorgte ich noch Schuhcreme (meine edlen weinroten Schnürstiefel sollen möglichst lange halten und dabei möglichst lange edel aussehen), dann ein paar Dinge von der Einkaufsliste im Biosupermarkt (Petersilie, Käse, Joghurt, Rapsöl), das Weißbrot zu den Nierchen bekam ich kurz vor sechs erst bei der dritten Bäckerei (ein gutes Zeichen – wären um diese Zeit die Bäckereiregale noch voll, müsste wenig später alles weggeworfen werde).
Daheim kurzes Umpacken, dann spazierte ich mit einem halben selbst gebackenen Stollen zu einem Freund, mit dem ich Stollentausch vereinbart hatte: Er bäckt nach einem interessant klingenden Rezept.
Herr Kaltmamsell kam heim, es gab die Nierchen.
Als Wein dazu einen, auf den ich Lust hatte (im Gegensatz zur Abstimmung aufs Essen): Weißen Auxerrois hatte ich in Luxemburg kennengelernt und sehr gemocht, dieser stammte aus Baden vom Weingut Wöhrle – ein feiner Jasminhauch, im Mund mineralisch und frisch, sehr gut!
Schon am Vorabend hatte ich Granta 149: Europe: Strangers in the Land ausgelesen. Endlich wieder eine richtig gute Ausgabe Granta (nicht dass die anderen schlecht gewesen wären, aber das Niveau dieses Literaturmagazins ist halt so hoch, dass ich verwöhnt bin): Das Thema Europa wird mit Familienerinnerungen an den Holocaust bearbeitet und wie viele Generationen die Shoa prägt, mit Geschichten, die sich ganz selbstverständlich über mehrere Länder Europas erstrecken, mit journalistischen Langstrecken in Foto oder Text zum aktuellen Thema Einwanderung und Flucht. Weniger ergiebig war für mich das Sonderformat der verstreuten Kurzstatements über Europa von verschiedenen, teils sehr namhaften Autorinnen und Autoren.
die Kaltmamsell5 Kommentare zu „Journal Freitag, 13. Dezember 2019 – Innereiengespräche und Stollentausch“
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14. Dezember 2019 um 9:27
Wer sich für ‘Nierchen’ und ‘Zunge’ begeistert, den könnte auch ein aktueller ZEIT-Artikel interessieren:
Fergus Henderson: “Die Beziehung zwischen Koch und Schwein ist stark”
https://www.zeit.de/zeit-magazin/essen-trinken/2019-11/fergus-henderson-koch-nose-to-tail
14. Dezember 2019 um 9:57
Angstarbeiten… Angst davor, keine Lösung zu finden? Davor, dass das Team nicht funktioniert? Dass eine Frist nicht gehalten werden kann? Das würde mich näher interessieren, Frau Kaltmamsell. (Falls zu intim, ziehe ich die Frage stillschweigend zurück…)
Die M.
14. Dezember 2019 um 10:40
Angst, M., bezeichnet mein Gefühl bei dieser Arbeit und beim Gedanken an diese Arbeit.
14. Dezember 2019 um 21:15
Liebe Kaltmamsell, ich habe schon mehrfach hier von negativen Gefühlen im Zusammenhang mit der Arbeit gelesen und frage mich jedes Mal: ist keine berufliche Veränderung möglich, die eine Verbesserung bringen könnte? Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich möchte hier keinesfalls klugscheissern, aber eine solche dauerhafte Anspannung macht ja auch was mit einem. Auch körperliche Beschwerden werden möglicherweise noch verschlimmert (ich kann hier nur eine Mischung aus Vermutung und eigener Erfahrung anbringen).
15. Dezember 2019 um 10:10
Schönes Interview, Vera S. – ich fühlte mich sehr alt, als ich las, dass wir schon seit 20 Jahren von “nose to tail” sprechen.