Journal Donnerstag, 23. April 2020 – Umgang mit Lockerungen

Freitag, 24. April 2020 um 6:38

Nach sehr langem mal wieder eine Nacht durchgeschlafen, nach dem Aufstehen brauchte ich lang, um im Tag anzukommen. Da war nach der sportlichen Kräftigung das halbe Stündchen Rücken-Yoga genau richtig.

Stubenfliegentag: Meine Geistesbewegung fühlte sich so unstet an wie die Flugbahn einer Stubenfliege, mit ständigen abrupten Richtungsänderungen – manche davon extern ausgelöst, manche einfach von meinem Gehirn. Viele, zum Teil auch emotional sehr anstrengende Anrufe.

Mittags wieder der neue Liebling Quark-Dickmilch-Orange-Maracuja, nachmittags schwarze Schokolade und eine Birne.

Das Wetter war wieder wolkenlos sonnig und frisch. Wie schon am Mittwoch beobachtete ich draußen an den Menschen ein sehr großes Kleidungsspektrum, das von Anorak mit Fellstiefeln bis zum ärmellosen Flatterkleid mit Sandalen reichte.

Auf dem Heimweg Einkaufsabstecher beim Vollkorner, um meine Espressovorräte aufzufüllen und Obst für die nächsten Tage zu besorgen. Die Menschen scheinen die Tage vor Maskenpflicht in Geschäften noch so richtig auszunutzen.

Daheim lungerte ich noch ein bisschen mit Jacke auf dem Balkon herum, dann machte ich mit Herrn Kaltmamsell das Abendessen: Nochmal Spargel von der Nachbarin, dazu Salat aus Ernteanteil mit Schnittlauchdressing und ein spanischer Sauvignon Blanc. Und zum Dessert viel Schokolade.

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In Echt gehört: “Wenn meine Omma im Altenheim keinen Besuch bekommen darf, kann’se ja gleich sterben”. Das kostete mich ein wenig Fassung. Fast ein Drittel der Corona-Toten in Deutschland lebte in Alten- und Pflegeeinrichtungen. Großer Artikel mit schlimmen Details gestern in der Süddeutschen:
“Corona in Altenheimen:
Die Brennpunkte der Pandemie”.

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Da auch ich unvernünftig und noch dazu bockig bin (das war mir einfach nicht auszuprügeln), neige ich im Moment dazu, mich mit zusammengekniffenen Lippen unter der Schutzmaske in eine gedachte Ecke zu stellen, die Arme zu verschränken und zu denken: “Ihr werdet schon sehen, was ihr davon habt.” Zum Glück gibt es Menschen, deren Beruf es ist, statt zu bocken zu warnen, zum Beispiel die Virologin Melanie Brinkmann vom Helmholtz-Zentrum (bitte ignorieren Sie ihre Äußerungen zu Datenschutz, davon muss sie als Virologin ja auch nichts verstehen):
“Zweite Covid-19-Welle
‘Regierung hat mit Lockerungen ein falsches Signal gesendet'”.

SPIEGEL: Frau Brinkmann, wie sehr hat Sie die Entscheidung überrascht, das Oktoberfest abzusagen?

Brinkmann: Gar nicht. Die Absage des Oktoberfests war für mich total klar – und absolut notwendig. Doch selbst in meinem Bekanntenkreis gab es teilweise erstaunte Reaktionen, weil es ja erst in fünf Monaten stattgefunden hätte. Offenbar dachten sie, bis dahin ist alles wieder vorbei. Das hat mir gezeigt, dass ein großer Teil der Bevölkerung das Ausmaß der Situation noch nicht realisiert hat. Jetzt sehen die Menschen, dass einige Maßnahmen gelockert werden, und das vermittelt ihnen den Eindruck, dass der Lockdown jetzt nach und nach aufgehoben wird und sie schon bald zum Alltag zurückkehren können.

(…)

Brinkmann: Das Risiko liegt darin, dass die tagesaktuellen Zahlen ja den Stand von vor zehn Tagen abbilden. Durch den Meldeverzug, die lange Inkubationszeit und die Zeit, bis ein Infizierter einen Arzt aufsucht und ein Testergebnis vorliegt, kommen die Zahlen erst zeitverzögert. Wir bemerken also viel zu spät, wenn die Neuinfektionen wieder steigen. Dann könnte ein exponentielles Wachstum schon wieder in Gang sein. Und das wird dann auch zunehmend in die ältere Bevölkerung eingeschleppt werden, was zu einer höheren Todesrate führen wird. Die Folgen für das Gesundheitssystem und die Wirtschaft wären dann noch viel schlimmer als jetzt, weil wieder nur drastische Maßnahmen im ganzen Land als Lösung bleiben würden. Auch die Schulen und Kitas müssten sehr viel länger geschlossen bleiben, als wenn wir jetzt noch ein wenig durchhalten.

(…)

SPIEGEL: Und ab wann dürfen wir wieder darüber nachdenken, mit einer Gruppe von Freunden gemeinsam in den Party-Urlaub zu fahren?

Brinkmann: Wenn es einen Impfstoff gibt.

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Ballettis im Home-Office hatten wir schon, hier arbeiten Stuntmen und women im Home-Office:

https://youtu.be/SpnQXSyfbXA

via @ankegroener

die Kaltmamsell

9 Kommentare zu „Journal Donnerstag, 23. April 2020 – Umgang mit Lockerungen“

  1. Joe meint:

    Auf eine Impfung würde ich mich nicht verlassen.

    https://www.tagesspiegel.de/wissen/die-hohen-huerden-beim-corona-impfstoff-die-aussichten-auf-einen-immunschutz-gegen-covid-19-sind-vage/25768352.html

  2. Joël meint:

    Ich kann den Satz andererseits über die Oma nachvollziehen, weil ich ihn auch schon von Senioren selbst gehört habe.
    Ganz schlimm ist es bei einer Bekannten deren Vater an Demenz erkrankt ist und im Heim lebt. Es war jeden Tag immer einer aus der Familie der ihn besuchte. Er versteht es nicht und glaubt es wäre seine Schuld dass ihn niemand mehr kommt. Das geht von tagelagem Weinen bis zur Essensverweigerung.

  3. die Kaltmamsell meint:

    Niemand bestreitet das Unglück, Joël, aber ich finde die Schlussfolgerung eine unerträgliche Abwertung des Lebens alter Menschen: Auch kleine Kinder leiden zum Beispiel sehr, sehr unter dem Entzug des Kontakts mir ihren Freundinnen und Freunden und verstehen das nicht – da heißt es aber nicht “dann können sie ja gleich sterben”.

  4. Pippilotta meint:

    “Auch kleine Kinder leiden zum Beispiel sehr, sehr unter dem Entzug des Kontakts mir ihren Freundinnen und Freunden und verstehen das nicht…”

    Der Unterschied ist, dass die Kinder ein Leben nach Corona haben werden (auch wenn sie das jetzt noch nicht wissen), viele Senioren das aber gar nicht mehr erleben werden und ihre letzten Tage, Wochen und Monate nun einsam verbringen müssen und zum Teil alleine sterben, ohne ihre Angehörigen noch einmal sehen zu können.

    Ich würde die oben im Text zitierte Aussage nicht als Abwertung verstehen, sondern so, dass diese Menschen selbst vielleicht andere Prioritäten setzen würden, wenn sie die Wahl hätten.

  5. Petra meint:

    Und die Kinder haben mindestens einen Elternteil um sich, der ja ihre Hauptbezugsperson ist, vielleicht zwei Elternteile, vielleicht Geschwister. Die Alten sind ganz alleine und isoliert.

  6. Alexandra meint:

    Sozialkontakte, überwiegend durch Besuche, sind doch im Grunde alles, was Menschen in Alten- und Pflegeheimen überhaupt noch haben, worauf sie hinfiebern, das, worauf sie warten.

    Dass ihnen – und besonders den dementen unter ihnen – der Lebenswille entgleitet, ist nachzuvollziehen.

    Die diesbezügliche Äußerung eines Angehörigen verstehe ich eher als von Bitterkeit geprägt denn von Abwertung.

    Ich kann mich täuschen.

    (Die Stuntpeople sind Klasse, danke dafür!)

  7. Sigourney meint:

    Man sollte zumindest mal die alten Menschen in Pflegeheimen nicht pauschal entmündigen und selbst bestimmen lassen, welches Risiko sie eingehen möchten.
    (Damit meine ich nicht diejenigen, die offiziell entmündigt sind aufgrund von Demenz etc.,.)
    Und ich deute den Satz auch als Bitterkeit und Sorge um die alten Angehörigen und nicht als Abwertung. (Grund: Abwertung geht ja eher gegen abstrakte Gruppen “die Alten” oder ähnliches und nicht gegen “meine Omma”.)

  8. Alexandra meint:

    Wer in einem Heim lebt oder im Krankenhaus ist, hat diesbezüglich nix mehr selbst zu entscheiden, denn dieser “WG-Zustand” macht ihn mitverantwortlich für das Ansteckungsrisiko aller: Besuch für ihn gefährdet alle, der Virus hat aufgrund der Gegebenheiten im Heim/Krankenhaus extrem leichtes Spiel.

    Das gilt nicht nur für Alte und Kranke, das ist in der stationären Jugendhilfe exakt genauso.

    Ein Freund im Krankenhaus zum Beispiel darf während seines Aufenthaltes – der kürzer als zwei Wochen ist – das Gebäude nicht verlassen, sonst muss er darin isoliert zwei Wochen in Quarantäne.

    Unzulänglich, aber anders nicht praktikabel und immer noch besser als nix

    Kein oder so wenig wie möglich körperlicher Austausch mit dem Außen ist das Einzige, das jedwede stationäre Einrichtung auch nur halbwegs schützen kann.

    Und für die Dementen ist es am allerschlimmsten.

  9. Marika meint:

    Es ist wohl eine verzwickte und mit Schwierigkeiten, Einschränkungen und Änderungen aller Eskalationsstufen für jeden, diese Corona-Pandemie.
    Für manche bringt sie vielleicht gleichzeitig auch Wendepunkte zum etwas Positivem hervor.
    Zum Thema stationäre Wohnsituationen fällt mir nur ein: meine Schwiegeroma lebt im Seniorenheim und bekommt nun Besuch von ihren Kindern und Enkeln und Urenkeln am Fenster. Wir stehen unten und sprechen laut nach oben und sie steht im 1. Stock und winkt und lacht und antwortet sofern sie es verstanden hat.
    Nur das Händehalten und sonstiger Körperkontakt durch Umarmung u.a. geht einem hier leider auch ab…aber besser als nichts

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