Journal Freitag, 31. Juli 2020 – Verzweifelter letzter Arbeitstag vor Urlaub
Samstag, 1. August 2020 um 9:52Wie sehr mich die Fesselung an Körperlichkeiten ankotzt! Es langweilt mich furchtbar, bereits erleichtert zu sein über eine Nacht, deren Schlaf lediglich viermal unterbrochen wurde, in der ich aber jedesmal schnell wieder einschlief. Ebenso uninteressant sind das Bemerken des roten Kopfs auf dem Crosstrainer, der Verdacht, mich mit meinem Blutdruck befassen zu müssen, das Heiß-kalt-Gewackel mit Zittrigkeit in der Arbeit, die Ausbreitung der Hüftschmerzen auf immer neue Gebiete, schon wieder Hunger ohne Appetit. Ich möchte mich bitte mit viel spannenderen Themen befassen!
Heißer Hochsommer. Über den Tag in der Arbeit steigendes Gefühl der Überforderung, unter anderem weil an letztem Tag vor Urlaub halt kein Ausweichen um Unangehmes mehr möglich war. Ich wollte verzweifelt bitte GAR NICHTS MEHR! (Eine Folge: E-Mail-Antwort auf eine Frage nicht ausführlich mit Hintergrund, sondern lediglich “Doch”.) Vor allem wollte ich nichts entscheiden!
Auch sonst klassischer letzter Tag vor Urlaub: Von links und rechts Querschüsse, und weil die Chance auf frühen Feierabend sowieso verschwand, räumte ich halt gleich richtig auf. Ich hasste das alles und das Leben leidenschaftlich.
Wie gut temperiert mein Büro war (noch ein Glück – und wir wissen alle, wie das mit noch ein Glück ist), merkte ich beim Verlassen des Gebäudes: Draußen Hitze, aber so richtig, inklusive Schwüle. Vom ersten Schritt in die Pedale an schwitzte ich in Bächen.
Das schattig-kühle Zuhause erreichte ich fix und alle, wünschte mir verzweifelt einen Aus-Schalter. Doch mit einer Weile blöd Rumsitzen erholte ich mich ein wenig. Herr Kaltmamsell versuchte vorsichtig, mir irgendwie zu helfen – was wie immer funktionierte: gutes Essen.
Er servierte mit Mangold aus Ernteanteil das beste Kuhkotelett (Côte de Boeuf) jemals – wobei wir uns einig waren, dass das in erster Linie an der Hermannsdorf’schen Fleischqualität lag (doch selbst vom Herrmannsdorfer war das das beste Côte de Boeuf jemals): aromatisch und superzart. Nein, wir schafften nicht das ganze Trumm, aber zum weitaus größten Teil. Dazu hatte ich mir Dark & Stormy gemacht, Herr Kaltmamsell trank Rosé.
Abendunterhaltung: Lieblingstweets Juli zusammenstellen. Ich hatte bereits gefürchtet, dass ich die Energie dafür nicht aufbringen würde und mich später darüber ärgern müsste – doch es ging und machte Spaß.
Der Himmel blieb still: Die Mauersegler sind wohl fort.
Im Bett begann ich zur Frankfurt-Vorbereitung das von Andrea Diener und Stefan Geyer herausgegebene Süß, sauer, pur über die dortige Apfelweinkultur. Leider weiß ich, dass ich den echten Apfelwein ganz grauenhaft finde, auch nach zahlreichen Versuchen, Nahebringen von Aficionados und im Gegensatz zum britischen Cider, doch das Drumherum interessiert mich sehr.
Am Abend zuvor hatte ich Kinky Friedman, A Case of Lone Star ausgelesen. Der Sammelband steht als Bestandteil der Bibliothek von Herrn Kaltmamsell schon immer bei uns im Regal und gehört zu des Herrn Geschichte – jetzt hatte ich’s doch mal wissen wollen. Nachdem ich die ersten Kapitel lang schwankte, ob ich die übertriebene Hard-boiled-Attitüde der Erzählstimme albern fand oder nicht, erkannte ich, dass die Stimme sie ja selbst albern fand und mochte sie. Die Krimihandlung im New Yorker Countrymusik-Millieu der 1980er selbst fesselte mich nicht unbedingt, doch es waren die ständigen schrägen Ausreißer aus all den Klischees, die das Buch zur vergnüglichen Lektüre machten – seien es die Metaphern, die unerwartet auf jüdische Kultur referenzieren (Herr Friedman ist ja vor allem Musiker, mit Country-Hits wie “They Ain’t Making Jews Like Jesus Anymore”), seien es Floskeln, die der Erzähler ganz anders verwendet als gewohnt.
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Mal wieder kursiert eine neue Studie über die besorgniserregende “Mediensucht” von Kindern und Jugendlichen, die laut dieser Erhebung in Pandemie-Zeiten zunahm. Welche erschreckenden Auswirkungen sie haben kann, sieht man an mir – einem Mediensuchtopfer von früher Kindheit an, ab Lesenlernen nicht wegzukriegen von Medien.
Schützen Sie Ihre Kinder! Es besteht die Gefahr, dass sie ein Leben lang nicht loskommen von Medien!
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Aus einem Twitter-Thread fürs Techniktagebuch abgeworben – weil einfach eine zu schöne Geschichte:
“1985
Calling Peter Norton”.
Genau: Den von Norton Commander. (Ich bin Norton Commander Jahre alt.)
§
Echte Herzensgüte.
https://youtu.be/VfnbNGHKBiY
15 Kommentare zu „Journal Freitag, 31. Juli 2020 – Verzweifelter letzter Arbeitstag vor Urlaub“
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1. August 2020 um 10:58
Um puren Äbbelwoi genießen zu können, müssen wohl die richtigen Gene freigeschaltet werden, und Voraussetzung dafür ist vermutlich, daß man bereits als Kind die apfelweinerzeugenden Hefen aus der Luft aufnimmt. Oder sonst ein regionales Phänomen. Zugezogene und Touristen können das kaum nachholen.
1. August 2020 um 11:31
Es gibt einen Apfelwein, der mit Johannisbeersaft gepimpt ist, den find ich schön süffig. Kann als Zugezogene in Nordhessen allerdings nicht sagen, ob man dafür in Frankfurt geköpft oder wenigstens verachtet wird.
Schönen Urlaub!
1. August 2020 um 11:55
Deshalb spritzen sich die meisten Hessen ihren Äbbler ja auch süß oder sauer- ich kenne niemanden, der seinen Äbbler pur trinkt. Ich auch nicht. Begonnen hab ich mit süß gespritztem, als richtig Erwachsene bevorzuge ich inzwischen nur noch sauren.
Inas Tipp ist auch eine Möglichkeit. Seit einigen Jahren bieten Hersteller auch Gemische mit Säften an. Aber egal, wie man den Äbbler trinkt- Hauptsach, de Handkäs dezu schmeggt :)
Zu den Leiden kann ich sagen, dass ich in den letzten Wochen vor der Geburt meines ersten Kindes gerade auch mal gern was anderes denken würde als mich auf meine körperlichen Probleme zu konzentrieren. Es nervt. Ich hoffe nur, das und der Wehenschmerz trainieren mich für spätere körperliche Leiden…
1. August 2020 um 15:46
Aber süß spritzen nur mit Zitronenlimo!
1. August 2020 um 19:21
Oh ja, wichtige Konkretisierung! Orange finde ich immer schon grenzwertig, aber was gar nicht geht, ist Cola, mit der Äbbler in Dosen (auch sowas…in Dooosen! Äbbler!) gespritzt wird. Kommt aber in der gepflegten Apfelweinwirtschaft eher nur auf expliziten Wunsch vor. Da geht dann aber wirklich die Mussigg aus und alle legen ihr Besteck zur Seite- zum Handkäs nur ihr Messer natürlich ;)
1. August 2020 um 20:01
Im Schwäbischen heißt der Apfelwein Most.
Mein Großvater hat ihn aus Mostäpfeln und Birnen gemacht. Es schmeckte so wunderbar. Dazu gab es Rauchfleisch, Schinken, den er über Wacholderbeeren und Wacholderholz geräuchert hatte.
Wenn wir da waren, und es war schon dunkel und alle saßen in der Stube um den großen Tisch, stelle er einen Krug Most auf den Tisch, ein großes Brett mit dem Rauschfleisch und einen Laib des wunderbar luftige Brotes meiner Großmutter. Für die Kinder wurde der Most verdünnt.
Nie wieder habe ich so gut gegessen.
1. August 2020 um 20:56
Du moinsch „Moschd“, odr?
Liebe Grüße,
Eva (Native speakeresse)
1. August 2020 um 21:59
Oh, Most und Frankfurter Apfelwein sind aber zwei Paar Stiefel! Most kenne ich auch aus der Kindheit, der ist milder (wegen Birnen) und weniger alkoholisch. Äppler ist schon speziell…
2. August 2020 um 12:09
Liebe Eva,
Magsch Moschd?
Wenn dr Moschd magsch, magsch au mi.
(ebenfalls native speaker, allerdings schon ewig im mostfreien Exil).
Liebe Grüsse croco
2. August 2020 um 12:27
Mediensucht seitdem frühen Kindesalter? Kann ich nur bestätigen. Von mir gibt es ein Bild im zarten Alter von vier, fünf Jahren, wie ich wild auf einer Schreibmaschine tippe. Wäre das Bild zur heutigen Zeit entstanden, würde ich wohl wild auf einer Laptoptastatur herumhämmern.
2. August 2020 um 12:40
Es is kaa Stadt uff der weite Welt,
die so merr wie mei Frankfort gefällt,
un es will merr net in mein Kopp enei:
wie kann nor e Mensch net von Frankfort sei!
Viel Spaß in Frankfurt.
Es gibt Ende August auch “Süsser” ganz frisch gegorenen Apfelsaft, die Vorstufe. Der trinkt sich wie Limonade nur nach 2-3 Gläsern sind beim Aufstehen sind die Beine weniger standfest.
2. August 2020 um 14:58
Ich wohne schon lange nicht mehr im Rhein-Main Gebiet, kaufe meinen Äppelwoi beim lokalen Edeka in NRW und trinke ihn immer pur und kalt. Ein Hochgenuss, der mich daran erinnert, wie schön es war, in OF und Ffm zu leben.
P.S. Ich würde in Sachsenhausen zum Gemalten Haus gehen. Oder in eine der weniger bekannten Äppelwoi-Kneipen (Solzer z.B.) auf der Berger Str.
2. August 2020 um 16:19
Erst gestern las ich einen Tweet, dass sich die Mauersegler auch schon aus Hamburg verabschiedet haben. Hier in Berlin habe ich sie heute morgen noch gesehen und gehört. Sollte der Rückzug nicht von Nord nach Süd verlaufen? Eigenartig.
2. August 2020 um 18:58
An rechder Moschd isch scho recht rääß. Also, ab und zu schon, aber ich mag schon auch gern Süßes!
Und i bin vor Ort!
Grüße ins Exil,
Eva
3. August 2020 um 10:08
Übrigens herzlichen Dank für die Twitterfavoriten!
Ich selbst bin ja nicht auf Twitter und habe mich köstlich amüsiert!