Garderobenboykott?

Donnerstag, 19. November 2009 um 10:33

Das Besondere am Theaterbesuch in England: Es gibt keine Garderoben (und man kann Getränke mit in den Zuschauerraum nehmen, aber darum geht es jetzt nicht). Der Zuschauerraum einer Januar-Vorstellung hat also immer etwas von Flüchtlingslager – über den Lehnen, unter den Sitzen, auf den Schenkeln des Publikums knüllen und stapeln sich Mäntel und Schals. Mich hat das immer befremdet, außerdem fand ich es unbequem.

Anscheinend geht es anderen Leuten anders. Bei meinem jüngsten Theaterbesuch in den Kammerspielen gab nur gut die Hälfte des Publikums Mäntel und Jacken ab. Die anderen behielten sie an oder verfuhren damit wie die Engländer. Falls Sie noch nie in den Kammerspielen waren: Dort gibt es zahlreichen Garderoben mit ausgesprochen freundlichem und flinken Personal, die Gebühr beträgt einen Euro pro Person. Der Zuschauerraum wiederum ist sehr eng bestuhlt und immer kuschlig genug beheizt, dass man selbst im ärmellosen Abendkleid nicht frieren würde. Kann mir jemand erklären, warum jemand also Wintermantel und Strickschal lieber auf seinen Schoß knüllt, als ihn an der Garderobe zu lassen?

Gespielt wurde Konzert zur Revolution von Schorsch Kamerun, mit ihm selbst und viel großartiger Musik (mich beeindruckte besonders der Schlagzeuger), unter Nutzung von allem, was die Bühnentechnik hergab. Wenn Sie Details wissen möchten, lesen Sie am besten die Besprechung vom letzten Jahr in der Frankfurter Rundschau (ab 4. Absatz). Das entspricht meinen Eindrücken. Ich hatte einen erfüllten Abend.

die Kaltmamsell

20 Kommentare zu „Garderobenboykott?“

  1. Susanne meint:

    Die Leute sehen nicht ein, den einen Euro zu bezahlen und mögen nicht anstehen, um ihre Sachen wieder abzuholen und ich habe das Gefühl, dass viele nicht mehr so genau wissen, wie das mit der Garderobe funktioniert.

    Ich liebe Garderoben und mag keine Lokale, wo ich meinen Mantel gekonnt über die Stuhllehne drapieren muss und dann schleift er doch immer auf den Boden und es treten Leute drauf.

  2. die Kaltmamsell meint:

    Geiz hatte ich als eine Erklärung vermutet, Susanne – und war kurz davor, die junge Frau links von mir auf einen Garderobenhaken einzuladen, um die Bedrohung des Mantelbergs auf ihrem Schoß abzuwenden.

  3. theodoraa meint:

    *hihi* find ich eine interessante beobachtung. ganz gegenteilig zu der, die ich letztes jahr auf einem konzert des von mir sehr geschätzten herrn farin urlaub machen durfte. ganz klar: andere musik, anderes publikum. doch die harten punk-rocker, die jungen mädels und vermeintlich coolen typen gaben alle ihre jacke ab und nutzten vorbildlicherweise die garderobe (kosten ebenfalls 1 euro pro abgegebenem stück). nur das schlange-stehen hat noch nicht so geklappt. :D

  4. Sanníe meint:

    Als ehemalige Garderobiere am ehrwürdigen Thalia Theater zu Hamburg darf ich die Theorie mit dem Geiz bestätigen. Viele Leute – selbst im Parkett – ließen sich die 10 Pfennige auf 2 DM herausgeben.

    Meist Abonnenten, immer aber die Prominenten! – gaben 5 DM für zwei Garderoben. Sie scheinen mindestens der ersten, wenn nciht gar der zweiten Gruppe anzugehören.

  5. Helga meint:

    Wahrscheinlich würde es helfen, die Karten um einen Euro zu verteuern – und die Gaderobe umsonst anzubieten…

    Ich überlege gerade, aber ich komme nicht drauf, wo es war, aber schon erlebt: beim Saaleinlass der Hinweis, dass Gaderobenabgabe Pflicht sei.

  6. Ivar meint:

    Also, ich muss zugeben, dass ich auch oft die Jacke mit hineinnehme. Ich mag den Trubel nach der Vorstellung beim Abholen nicht so gerne. Aber es stimmt, dass sich das in den Kammerspielen schon bisweilen heiß und eng gerächt hat.

  7. Nathalie meint:

    Auch bei den Philharmonischen Konzert nimmt das Jacken-Schirme-Mützen-Schals-Mitreinnehmen immer mehr zu. Und das nervt.
    Meine Nachbarin hat immer einen ganzen Bergen vor ihren und zwischen unseren Füßen und erklärte mir vorletztes Mal ungefragt: Die Garderobe wäre unverschämt teuer. :-(
    Für die älteren Damen an der Garderobe, die so gut wie nichts fest bekommen, ist es ihr ganzer Verdienst, da bin ich dann auch großzügig.

  8. croco meint:

    So ist das, wenn arme Leute den letzten Euro für Theaterkarten zusammenkratzen müssen. Sie bingen ihr komplettes Fluchtgepäck mit in den Saal. Falls es Feueralarm gibt, oder so.

  9. Buchfink meint:

    Einfach peinlich, dieser Geiz. Für das Programmheft werden ja locker mal 3 Euro ausgegeben, dann sollte es für die Garderobière auch noch reichen.

  10. Tine meint:

    beim typischen Abonnementspublikum kommt noch dazu, dass man sofort nach der Vorstellung – noch vor der Zugabe – aufsteht und geht. Auch das könnte ein Grund sein, damit man hinterher nicht mehr zur Garderobe muss.

  11. Sigourney meint:

    In der Hamburger Oper darf man die Garderobe gar nicht mit hinein nehmen. Was schon mal Diskussionen auslöste, da bei mir Frostbeule die Kleidung UNTER dem Mantel (der brav abgegeben war) anscheinend so wirkte wie etwas, dass Anderen als Jacke dient. .

  12. martl meint:

    Dieser Eintrag lässt mein Herz höher hüpfen, da ich vor ein paar Jahren selbst eine Garderobenfrau in genau diesen Kammerspielen war. Ich fand auch den Job an sich ganz gut, obwohl (wie schon erwähnt) die Bezahlung eher mau war/ist? und man ja nur vor und nach dem Stück was zu tun hat, dazwischen kann man schön ein Büchlein lesen oder sowas.

    Ja, ich denke viele geben ihren Mantel nicht nur aus Geiz NICHT ab, sondern vllt. auch aus dem Gedanken heraus, damit niemand ihren Mantel klaut oder in den Taschen rumkramt oder so.

    Kann ich mir zumindest gut vorstellen. Außerdem ist das mit dem Trinkgeld sone Sache, bei 1 Euro Garderobengeld bekommt man meist nix, da ist es schon besser wenn es 1,30 oder 90 Cent oder sowas ist, klaro.

    Aber das Trinkgeld war auf jedem Fall damals immer extremst wenig, wenn ich es z.B. mit meinem Biergarten-Kassen-Trinkgeld vergleiche, wo ich nur in die Kasse getippt habe… 20 Cent oder so würde ich alten Kolleginnen geben ;-)

  13. Stadtneurotiker meint:

    Wahrscheinlich nehmen viele ihre Jacken mit, weil das nicht ausgestellte Handy in der Handtasche keinen Platz mehr hat…

  14. Montez meint:

    Also, ich nehme meine Sachen immer überall mit hinein. Aus Faulheit und Achtlosigkeit. Ausserdem hängen wir meist so lange in der beigeordneten Gastronomie rum, dass die Zeit sowieso nicht mehr reichen würde, um Garderobe abzugeben.
    Ich bin noch nie auf die Idee gekommen, jemand könne sich daran stören und bin, ich muss zugeben, ebenfalls etwas befremdet über die Leidenschaft, mit der das hier abgelehnt wird. Unbequem ist das doch nur für einen selbst?! Ist es die Unordnung?
    Geiz ist jedenfalls mein allerletzte Beweggrund.

  15. Anke meint:

    Ich muss gestehen, ich bin noch nie auf die Idee gekommen, an der Garderobe Trinkgeld zu geben (werde ich jetzt aber ändern :-). Und als Rückenkrüppel nehme ich die Jacke auch immer mit in den Saal (auch in die Hamburger Oper), um etwas Kissenartiges zu haben, was ich mir in die Wirbelsäule stopfen kann.

  16. die Kaltmamsell meint:

    Vermutlich, Montez, halten wir es einfach für schlechtes Benehmen: Der wunderschön gestaltete Zuschauerraum gleicht dadurch einem Flüchtlingslager – nicht einem angemessenen Rahmen für eine Theatervorstellung. Ich empfinde es als Mangel an Respekt vor dem Anlass und den beteiligten Akteuren.

  17. Helga meint:

    @martl: das mit dem Klauen spielt bei mir auch eine Rolle – allerdings nicht bei einer bewachten Gaderobe und um eine solche handelt es sich ja. Selbstredend lasse ich keine Wertsachen in den Taschen aber sonst?

    bei Gaderoben in Restaurants in hinteren Ecken, bei denen sich jeder die Sachen auch noch selbst holt, kann ich dann auch etwas schwierig werden…

    @kaltmamsell: offtopic – ich würde gerne eine Kritik ihrer aktuellen Lektüre lesen, wenn sie denn ausgelesen ist!

  18. KochSchlampe meint:

    Ich finde es auch befremdlich, wenn im Theater oder Konzert Jacken und Mäntel nicht an der Garderobe abgegeben werden. Es ist doch schon für einen selber furchtbar unbequem, wenn man das ganze Wintergedöns am meist eh nicht großzügig bemessenen Platz aufbewahren muss… und andere stört man damit auch noch.

    Ich kenne es allerdings auch aus Clubs, dass alle Draußenbekleidung gegen irgendeinen Spaßbetrag an der Garderobe abgegeben wird – und zwar konsequent. Fast nie kommt jemand auf die Idee, seine Winterjacke im Club spazieren zu tragen, was die Erfahrung von Theodoraa erklären könnte: die jungen Menschen sind einfach vollkommen daran gewöhnt, brav die Sachen an der Garderobe abzugeben.

  19. Chronistin meint:

    Na, dann oute ich mich einmal als bekennende Banausin. Auf den Euro würde es mir nicht ankommen, aufs Schlangestehen auch nicht. Aber ich hab meinen halben Haushalt in meinen Jackentaschen – die Jacke irgendwo abzugeben, wär ein logistischer Aufwand, der damit anfinge, dass ich irgendwann einmal eine Tasche kaufen müsste, die alles aufnehmen kann, was ich über meine traditionell großzügigen Jackentaschen verteile. Außerdem (ich hatte Mal den Spitznamen “Worst Case Woman”) – was ist bei einem Feueralarm, egal ob falsch oder echt? Soll ich dann frierend vor der Tür stehen?

  20. creezy meint:

    Ich unterstütze die Zunft der Garderobieren immer herzlich gerne und gebe auch viel Trinkgeld. Habe mir als Schülerin damit aber auch selbst meinen Führerschein finanziert.

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