Journal Samstag, 5. Dezember 2020 – #WMDEDGT im Dezember

Sonntag, 6. Dezember 2020 um 8:38

An jedem Fünften im Monat fragt Frau Brüllen: “Was machst Du eigentlich den ganzen Tag?”, kurz #WMDEDGT. Ich schätze diese Aktion sehr, da sie genau die (gerne auch langweiligen) Alltagsabläufe sammelt, die Historikerinnen beim Blick zurück so oft fehlen. (Was wäre das toll, hätte man solche Schilderungen aus dem Rom im Jahr 133 n.Chr.!)

Ausgeschlafen – und zwar mit Herrn Kaltmamsell in seinem Bett. Er hat schon seit einigen Monaten einen neuen Lattenrost (war dringend nötig), den ich noch nicht belegen hatte: Sehr gut, endlich rollt man nicht mehr in die Bettmitte.

Ausführliches Bloggen, mittelausführlicher Heimsport – auf dem Crosstrainer musste ich mich bremsen, zu den Reha- und Kraftübungen wiederum überwinden. Nach dem Duschen cremte ich sogar mein Gesicht ein, ich hatte aufgeplatzte Hautstellen, ich vermute wegen der Kälte draußen. Kleidung des Tages: Das schwarze Wollkleid, das so unansehnlich ist, dass ich es nur noch daheim trage, mit dicken Ringelstrumpfhosen.

An die frische Luft für eine kurze Einkaufsrunde – ob ich es endlich schaffe, mich da zu disziplinieren und die fremden Menschen in geschlossenen Räumen von Supermärkten durch gezielte Einkaufsplanung zu reduzieren? Gestern war es besonders voll, gesunder Abstand unmöglich. Mit Mütze (es war kalt und regnerisch) setzt sich die Maske noch umständlicher auf und ab.

Zum mittäglichen Frühstück gab es Käse, Kürbisreste vom Vorabend, eine Scheibe selbst gebackenes Roggenmischbrot.

Ich telefonierte mit meinem Vater, der in seiner Reha im Alleinsein verwelkt: Die Hygieneregeln machen Freizeitkontakte unter den Patientinnen und Patienten unmöglich – und er lernt doch so gerne Leute kennen. Eine Woche muss er noch durchhalten.

Mit Füßehoch im Bett und Decke über den Beinen las ich die Wochenendzeitung, freute mich an den beiden offenen Briefen im Feuilleton von Gerhard Polt (€): “Betr.: Nikolaus”. Einer ist gerichtet ans bayrische Kultusministerium, der andere ans Finanzamt München Nord, “Antrag auf Entschädigung” für einen selbständigen Nikolaus.

Seine Qualitätsnikolausität versteht sich erwiesenermaßen nicht nur als folkloristisches Element der Glühweinbranche, sondern stellt eine unabdingbare Säule der Zivilisierungsbildung des Volkes dar.

Nachmittagssnack war ein großes Stück Panettone, das ich sehr genoss. Die kandierten Früchte darin sind besonders grobe Stücke, da sie aber weich und aromatisch sind, hatte ich nichts dagegen.

In derselben Haltung guckte ich in der ZDF-Mediathek die dritte Folge Vienna Blood, “Der verlorene Sohn”, die mir bei aller Freude an der Ausstattung so mittel gefiel. Fasziniert bin ich weiterhin von Hauptdarsteller Matthew Beard: So wenig ich dicke Frauen in tragenden Rollen gewohnt bin, deren Dickheit nicht thematisiert wird, so überrascht bin ich von diesem mageren und zarten männlichen Darsteller – und merke daran, dass man das sonst nicht hat. (Doch auch er muss Faustschläge austeilen können.)

Zum Abendessen servierte Herr Kaltmamsell eine schottische Räucherfischsuppe “Cullen Skink”, die Lauch, Kartoffeln und eine Pastinake aus Ernteanteil verwertete und sehr gut schmeckte (Ernteanteil-Kresse kam unorthodox drüber). Vorher hatte ich uns Green Monkeys gemixt, zum Nachtisch gab’s Schokolade.

Im Bett begann ich eine neue Lektüre: Eva Meijer, Hanni Ehlers (Übers.), Das Vogelhaus.

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Erinnern Sie sich an “Keine Panik, aber bitte nicht verkacken” von Mai Thi Nguyen-Kim? Den ersten Teil haben wir prima hinbekommen, beim zweiten sauber versagt – Infektions- und vor allem Todeszahlen sind auf einem neuen Höchststand im 7-Tage-Mittel. Die New York Times hat daraus eine wunderbare und deprimierende interaktive Geschichte gemacht.
“Europe’s Deadly Second Wave:
How Did It Happen Again?”

Ergebnis der Analyse, wie wir (Europa) es verkackt haben:
1. Zu frühe Öffnungen im Frühsommer (Rettung der Wirtschaft!) und Reisefreiheit für Sommerurlaub (Rettung der Fremdenverkehrsbranche!).

“Europeans wanted it all,” said. Prof. Devi Sridhar of the Edinburgh University Medical School. “In Europe people are still wondering ‘Is it worth it, should we protect people or the economy?’,” she said, adding that experience shows this is a false dilemma.

Economic forecasts from Europe indicate that the small gains made during the summer months have been wiped out in the second wave, as the spike in economic activity coinciding with the summer months quickly plummeted.

2. Der Beginn der zweiten Welle wurde ignoriert, in manchen Ländern sogar geleugnet, die Regierungen ergriffen zu spät Gegenmaßnahmen und setzten/setzen sie nur halbherzig durch.

Die Kurzzeitprognose der zitierten Expertinnen und Experten: Die Lockerungen über Weihnachten und für die Skigebiete werden eine dritte Welle verursachen. Vielleicht doch Zeit für Panik?

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Das Münchner Stadtmuseum kann seine Ausstellung “Welt im Umbruch” wegen der Corona-Schließung nicht zeigen und hat daraus eine Online-Bildersammlung gemacht, “Von Otto Dix bis August Sander – Kunst der 20er Jahre”.

Meine beiden Favoriten:

Willhelm Heise, Der Stiglmaierplatz in München bei Nacht, 1935.

Karl Hubbuch, Marianne Beffert im Schwimmbad, Rheinstrandbad, Rappenwöhrth, nach 1929.

die Kaltmamsell

8 Kommentare zu „Journal Samstag, 5. Dezember 2020 – #WMDEDGT im Dezember“

  1. iv meint:

    Das Bild von Heise war in irgendeinem Geschichtsbuch meiner Gymnasialzeit, ich denke jedes Mal daran, wenn ich mit der Trambahn über den Stiglmaierplatz komme.

  2. Joriste meint:

    vielen Dank für den Link in die Ausstellung, es war eine schöne Morgenbeschäftigung durch die Bilder zu wandern. Auch das fehlt. Wir waren im Sommer kurz im Stadtmuseum, deshalb freut es mich noch mehr, das Gebäude zu kennen. Immer wieder schön zu sehen ist ebenfalls, dass Aenne Biermann angekommen ist. Während meines Studiums in den 1990er rückte sie in meine Wahrnehmung, inzwischen war ihr Werk ja schon in Einzelausstellungen zu sehen. Es tut sich also doch ein bisschen was. (Glückwunsch und gute Nerven zur Umzugsache)

  3. Nina meint:

    Falls das Problem mit dem Wollkleid Pilling sein sollte, dann könnte ich Ihnen sehr Die Wunderbürste ans Herz legen. Der Name ist kein hohles Werbeversprechen, sondern sie tut wirklich Wunder. Ich habe mich nach jahrelangen Lobgesängen darauf in diversen Elternforen zum Kauf influencen lassen – und was soll ich sagen: nun sind alle unsere Wollklamotten und sogar die Wolldecken fusselfrei. Ich stimme in die Lobgesänge nun also ein.

    Danke für den Tipp mit der Ausstellung des Stadtmuseums!

  4. Sabine Kerschbaumer meint:

    Liebe Nina,

    nun haben Sie mich “geinfluenct”. Als passionierte Strickerin und Handspinnerin kämpfe ich seit Jahren gegen Pilling und herumfliegende Haare. Zudem wohnt hier noch ein Hund, der wenn auch wenig, so eben doch haart.

    Dankeschön und allen einen schönen 4. Advent. Der kunstlehrende Mann sagt Danke für die “Einladung” ins Stadtmuseum.

  5. die Kaltmamsell meint:

    Es sieht aus wie ein Putzlumpen, Nina, wir sind mehrere Gammelstufen über Pilling hinaus.

  6. Croco meint:

    August! Sander!
    Danke sehr. Das ist ein Fanhaushalt hier, aus vielen Gründen.

  7. Nina meint:

    Oh, das freut mich! Es ist wirklich so eine einfache, aber effektive Lösung. Möge Sie Ihnen auch gut helfen. Ich bürste mittlerweile richtig gern, finde das sehr befriedigend.

  8. Nina meint:

    Oh, dann bleibt wirklich nur Gnadenbrot als Hauskleid bisses auseinanderfällt.

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