Journal Montag, 21. Dezember 2020 – Corona ermöglicht meinen ersten kabarettistischen Jahresrückblick

Dienstag, 22. Dezember 2020 um 7:47

Wecker auf halb sechs, damit mich eine leere U-Bahn zum möglichst einsamen Reha-Sport bringen konnte. Klappte alles wie erhofft.

Zeitunglesend im Bus in die Arbeit gefahren, milde Temperaturen. Vier schnell vergehende Stunden Arbeit, mittags eine Scheibe Brot und die Kerne eines riesigen Granatapfels.

Komische Rückenschmerzen, die aber eigentlich schon beim Sport. Wahrscheinlich einfach ein Muskelkaterchen vom Sonntag, als ich Ausfallschritte mit seitlichem Hantelheben verstärkte.

Ich entnahm der Einkaufszettel-App, dass Herr Kaltmamsell bereits am menschenarmen frühen Vormittag alle Einkäufe erledigt hatte, kein Anlass für Umwege. Für den Heimweg zu Fuß suchte ich statt dessen nach Straßenseiten und Abschnitten, die ich noch nicht kannte, mäanderte unter anderem durch den Bavariapark.

Daheim machte ich mir Milchkaffee (Decaf, ich Memme), es gab ihn mit zwei Scheiben vom selbst gemachten Stollen, sehr erfreulich. Lesen mit Füßehoch auf dem Bett.

Bereits am Samstag hatte ich die aktuelle Ausgabe Granta 153 ausgelesen, Second Nature. Ausgaben zum Thema Natur und Umwelt gibt es immer mal wieder, und bald war mir aufgefallen, dass sie mich eigentlich immer langweilten – obwohl mich das Thema doch überdurchschnittlich interessiert. Diesmal versuchte ich herauszufinden, woran das wohl lag. Ich vermute einen Grund darin, dass sie fast ausschließlich Sachtexte enthalten (auch diesmal mit nur einer Ausnahme) und ich Granta, “The Magazine of New Writing”, doch wegen des writing mag, und zwar fiktionalem. Diese Ausgabe enthielt zudem auch eigenartige Texte, die ich für völlig fehlplatziert hielt, z.B. den von Ken Thompson, “Aliens and Us”: Das Thema “invasive Arten” finde ich eigentlich spannend, doch sein Artikel war offensichtlich die Reaktion auf eine aktuelle Fachdebatte, die ich nicht kenne und in der er von Kolleginnen und Kollegen in der Biologie dafür angegriffen wird, dass er den Mechanismus nicht grundsätzlich negativ einordnet. Mitgenommen habe ich allerdings: Rod Mason über die Jahrhunderte, die er und seine Vorfahren in Australien lebten und welche Auswirkung das Eindringen von Europäern hatte; Sheila Watt-Cloutier, eine Inuit, über das traditionelle Leben ihrer Community und wie es sich durch die Zwangsmaßnahmen von Weißen und durch den Klimawandel verändert hat.

Zum Nachtmahl hatte Herr Kaltmamsell das Blaukraut aus unserem Ernteanteil zu einem Salat mit Fenchel, Orangen und Feta verarbeitet (Rezept aus Nicky Stichs erstem Kochbuch Delicious Days), der genau das Richtige war: Ich aß große Mengen davon.

Abendunterhaltung:

https://youtu.be/MniTf-mpQGs

Den Berliner kaberettistischen Jahresrückblick gibt es seit über 20 Jahren und er ist eine Bühnen-Legende (Bov Bjerg, Horst Evers, Hannes Heesch, Christoph Jungmann, Manfred Maurenbrecher). Jahr für Jahr bedauerte ich, dass ich ihn schon wieder nicht live im Mehringhoftheater sehen konnte. Dieses Jahr ist alles anders: Vorstellungen mit Publikum kann es wegen der Pandemie nicht geben, die fünf Herren haben ihre Show gefilmt und auf YouTube gestellt. So kam auch ich gestern in den Genuss, und es war einer. Sogar Eintritt konnte ich zahlen!

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Nun ist da diese mutierte Variante von SARS-CoV-2, am gründlichsten nachgewiesen in UK, und sorgt für hektische Grenzschließungen und Spekulationen. Für eine fachliche Einordnung empfehle ich zum einen diesen sachlichen Twitter-Thread des Virologen Marco Binder. Darin verlinkt er auch weitere interessante (wissenschaftliche – also anstrengend zu lesende) Infos. Und zum anderen das gestrige Deutschlandfunk-Interview mit nicht nur Virologen, sondern auch Corona-Experten Christian Drosten.

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Wenn sie das allweihnachtlich gesendete Drei Nüsse für Aschenbrödel mögen, interessieren Sie sich vielleicht für die Dokumente, die das Bundesarchiv in einer virtuellen Ausstellung dazu zeigt. Herzallerliebst zum Beispiel die Bemerkungen des seinerzeit, also 1973 leitenden DEFA-Dramaturgen für Kinderfilm Klaus Richter de Vroe über die Handlung und die Unterschiede zum grimm’schen Märchen Aschenputtel:

Aschenbrödel ist trotz ihrer mißlichen Lage und der schlechten Behandlung durch Stiefmutter und -schwestern nicht unglücklich und verlassen. Sie hat nicht nur Tiere zu Freunden (besonders die Tauben und das Pferd ihres Vaters), sondern auch das Hofgesinde. Sie ist lustig, sogar “keß”, klug und temperamentvoll.

(…)

Aschenbrödel liebt den Prinzen, sie will ihn haben und sorgt dafür, daß er sie auch liebt, indem sie ihm zeigt, was in ihr steckt. Sie “organisiert” sich ihr Glück, ohne dabei liebenswerte weibliche Zurückhaltung ganz aufzugeben und nicht ohne Momente der Unsicherheit und Unentschlossenheit.

die Kaltmamsell

15 Kommentare zu „Journal Montag, 21. Dezember 2020 – Corona ermöglicht meinen ersten kabarettistischen Jahresrückblick“

  1. hafensonne meint:

    Vielen Dank für den Hinweis auf den Jahresrückblick! Hier im Haus Hafensonne läuft Herr Evers rauf und runter :) dann haben wir jetzt heute abend was vor.

  2. die M. meint:

    Liebe Kaltmamsell, darf ich fragen, welche Einkaufszettel-App Sie nutzen?
    Danke für die Drei-Nüsse-Verlinkung!
    Viele Grüße, die M.

  3. Anke meint:

    Ich wäre auch sehr interessiert an dem Namen der App. Die gemeinsame Nutzung klingt sehr sinnvoll und Fehlkauf verhindernd.

  4. die Kaltmamsell meint:

    Wir verwenden derzeit die App Remember the milk RTM, die M., Anke, aber im Grunde eignet sich jede To-do-App.

  5. Sabine meint:

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    Gerne gelesen

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  6. Hanna meint:

    Über Marco Binders Thread auf die großartigen Artikel von Zeynep Tüfekçi in The Atlantic gestoßen – hach, toll, dieses Internet!

  7. Susann meint:

    Was soll bitte “liebenswerte weibliche Zurückhaltung” sein?

    NB: Vielen Dank für den Hinweis auf die Verwaltungsweihnachtslieder unlängst! Ein Highlight für meine Famiie aus leidenschaftlichen Sänger/innen, wir haben sehr gelacht.

  8. Ulla meint:

    Habe mir gerade mal RTM App angeschaut. Da bleibe ich doch lieber bei meiner Zettelwirtschaft

  9. hafensonne meint:

    Wir nutzen die App Einkaufsliste. Die ist, ich möchte jetzt nicht sagen “idiotensicher”, weil ich niemanden, auch nicht mich selbst, beleidigen möchte. Aber doch sehr einfach.

  10. Nina meint:

    Die nutze ich auch. Allerdings alleine. Ich kann also nichts zur gemeinsamen, partnerschaftlichen Nutzung sagen. Aber so tut sie alles, was sie soll, mit der Einfachheit eines papierenen Einkaufszettels. Mehr gimmicks will ich nicht.

  11. D meint:

    Ich kann die App Bring empfehlen. Wir nutzen die zu zweit und finden sie sehr praktisch.

  12. Berit meint:

    Wir benutzen To Do als Einkaufsapp und um zu vermerken wo das Auto grad geparkt ist

  13. die M. meint:

    Danke, Kaltmamsell und alle anderen!
    Es grüßt die M.

  14. hafensonne meint:

    Danke nochmal für den Jahresrückblick, er hat mich sehr berührt.

  15. Nadine meint:

    Warum Memme bei decaf?
    Ich bezahle Koffeinkonsum mit Schlaflosigkeit… Wer will die schon freiwillig?
    LG Nadine

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