Journal 22. Februar 2010
Dienstag, 23. Februar 2010 um 9:33Wenn mich schon ein schlichter Folgetermin beim Orthopäden, an dem ich lediglich die Ergebnisse des hinzugezogenen Neurologen besprechen sollte und auf den ich vier Wochen warten musste, über zwei Stunden Arbeitszeit kostet (auf einen Termin ganz in der Früh oder am Abend hätte ich noch ein paar Wochen länger warten müssen), dann überlege ich mir in Zukunft grundsätzlich, ob Zähnezusammenbeißen nicht doch eine attraktive Alternative ist. Möglicherweise hätte mich der Orthopädentermin noch mehr Arbeitszeit gekostet, doch ich verabschiedete mich nach einer guten Stunde Aufenthalt im Wartezimmer, weil ich zu einer Besprechung musste. Ohne den Arzt gesprochen zu haben. Wird schon nichts Schlimmes gewesen sein.
(Bin ich blauäugig und man erwartet in Wirklichkeit, dass ich für einen Arztbesuch, der nicht ein akuter Notfall ist, Urlaub nehme?)
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Falls Sie es nicht eh schon tun: Gehen Sie einmal am Tag rüber zu Frau Percanta. Die Dame ist gerade bei ihrem Mann daheim in Buenos Aires und schreib täglich darüber, oft mit Bildern.
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Seit Montag vor zwei Wochen klingelte mein Berufsblackberry bis zu 15 Mal täglich ganz kurz. Anrufer waren verschiedene Nummern, die Festnetznummern alle aus Kempten (wie ich über das Googeln der Vorwahl herausfand). Das war sehr lästig, da jedes Klingeln mich hochschreckte. Selbst wenn ich es nicht gehört hatte, war ich durch den angeblich verpassten Anruf irritiert. Zunächst hatte ich eine abgefeimte Geldmachmasche dahinter vermutet, die mich zum Rückruf einer teuren Nummer bringen wollte. Gestern endlich war ich genervt genug, dass ich von meinem Büroanschluss aus eine der Nummern anrief. Die Auflösung: Eine Hausmeisterin war vor zwei Wochen verreist und hatte eine falsche Notfallnummer hinterlassen – meine. Sie scheint für ziemlich viele Leute mit ziemlich vielen Problemen zuständig zu sein. Jetzt kann ich nur hoffen, dass sich möglichst bald herumspricht, dass die Nummer nicht stimmt.
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Liest zufällig ein Typographie-Experte mit? Wie heißt denn die Schrift, die praktisch jeder umgehend mit Antroposophie in Zusammenhang bringt? Ich würde sie gerne – je nach urheberrechtlicher Lage natürlich – für ein T-Shirt verwenden.
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Ausführliche Gespräche mit meiner Lesegang über Saramagos (bin ich die Einzige, die immer „Scaramanga“ denkt?) Stadt der Blinden:
– Der Science-Fiction-Experte fand die Geschichte so schlecht konstruiert, dass er die Lektüre nach wenigen Dutzend Seiten verärgert abbrach.
– Die von Zahnschmerzen Gebeutelte wollte den Roman, dessen Lektüre sie zusätzlich seelisch gebeutelt hatte, so schnell wie möglich vergessen.
– Der Zum-zweiten-Mal-Leser sah sich vor großer Literatur, die Grundmenschliches durchspielt.
– Die Filmbegeisterte hatte mit der eigenartigen Interpunktion gekämpft, war aber von den Charakteren fasziniert und fand ebenso wie der
– Leser, der das Buch weggefressen hatte und sehr berührt war, den Schluss besonders gelungen.
– Ich hatte Die Stadt der Blinden gefesselt gelesen und fand die schillernde Erzählerstimme das Interessanteste.
13 Kommentare zu „Journal 22. Februar 2010“
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23. Februar 2010 um 10:19
http://www.fontshop.com/search/?q=Liant&x=0&y=0
oder
http://de.fontstock.net/7084/antropos-freefont.html
23. Februar 2010 um 10:23
Liebe Kaltmamsell,
meinen Sie die Schrift von Weleda und von den Waldorf-Schulen? Die patente Praktikantin und der Gestalter neben mir meinen, die Typo wäre die FF Liant.
Herzliche Grüße von den Buchgestaltern
Huch, ich seh gerade, da war jemand schneller. Aber Hauptsache, wir sind uns einig.
23. Februar 2010 um 10:33
Vielleicht nicht ganz die originale Waldorfschrifttype, aber sehr ähnlich und frei zum Download:
http://www.menschengeist.de/freefont/freefont.htm
Für ein T-Shirt vielleicht ausreichend.
23. Februar 2010 um 11:53
Sie sind sehr großartig, Sie da draußen. Danke!
23. Februar 2010 um 12:25
Upps, media overload – ich dachte, dass ich die Frage bei twitter las und habe meine Antworten da gegeben. Bitte um Entschuldigung!
Bin gespannt auf das Tshirt Spruch….
23. Februar 2010 um 14:35
Bin beglückt über den Hinweis auf Percantas Blog. Hab es gleich durchforstet und verschlungen sowie anschließend meinen (tangobegeisterten) Lesern empfohlen. Vielen Dank für den Hinweis.
Funktionieren auf Ihrem Blog eigentlich keine Trackbacks?
23. Februar 2010 um 16:06
Nein, Elbnymphe, Trackbacks gibt es keine. Ich habe sie ausgeschaltet, nachdem ich gleich nach dem Zuschalten vor vielen Jahren des Trackbackspams nicht mehr Herrin wurde. (Pingback habe ich seinerzeit gleich mit ausgeschaltet.)
23. Februar 2010 um 16:26
Das mit den Ärzten und der Wartezeit scheint langsam der Normalfall zu sein. Bin zu selten um es wirklich nachweisen zu können, aber Erzählungen deuten drauf hin… Aktuelles Beispiel: Meine Frau Mama fährt meinen Großvater (bald 90) eine Stunde ins Uni-Klinikum Regensburg zu einem vier Wochen zuvor von einem anderen Arzt vereinbarten Termin. Nach knapp drei Stunden Wartezeit und mehrmaligen Nachfragen probt meine Frau Mama den Aufstand, letztlich folgen zehn Minuten Untersuchung und sie können wieder heimfahren. Wofür gibt’s da eigentlich den Termin?
23. Februar 2010 um 16:33
@ Nicky:
Nu, vielleicht habe ich einfach Glück, aber ich habe meist Ärzte, die keine langen Wartezeiten haben. Das liegt aber auch daran, dass sie mich nach der Allgmeinuntersuchung zu den Helferinnen schicken, einen neuen Termin auszumachen, wenn es etwas gibt, das nicht in das Zeitfenster des ursprünglichen Termins passt. (‘Lassen Sie sich mal einen Termin für 15 Minuten geben’).
Ich warte selten länger als 15 Minuten bei irgendeinem Arzt – es sei denn, ich hätte keinen Termin ausgemacht natürlich. Dafür geh ich auch gern zweimal hin, wenn es sich dann um fein abgezirkelte Termine handelt.
23. Februar 2010 um 16:47
Trackbackspam? Davon kann man doch eigentlich nur träumen, zeigt es doch, wie ungemein und sagenhaft populär man ist.
Im Ernst, bei lebhaften Diskussionen stören die Trackbackmeldungen einfach den Lesefluß. Aber ich lasse sie trotzdem an, weil ich einfach neugierig bin, in welchem Kontext mein Blog Beachtung findet.
23. Februar 2010 um 19:04
Der Arzt kann einem wohl keine e-mail schreiben? Oder mal anrufen wenn es eh nur um eine Besprechung geht? Irgendwie würde das Sinn ergeben, aber gehört habe ich davon noch nie. Mediale Überforderung…?
24. Februar 2010 um 21:56
Themawechsel, als ehemals Krankenhausmagd, kenn ich die Missstände allzu gut. (Jetzt muss ich aber doch noch eines erzählen: ich besuche eine Ärztin, die immer sehr lange braucht. Also geh ich zur Sprechstundenhilfe und frage ob ich nochmal wegkann und merke mir, wer noch alles im Wartezimmer vor mir ist. Nach einer Stunde komme ich wieder und sie stellt mich ganz hinten in die Warteschlange und ich komme als letztes dran. Strafe muss sein und in die Sprechstunde kommt man nur gut abgehangen)
Aber jetzt kommt der Themawechsel:
Sprechen wir doch über Arztgattinnen. Der Artikel im Guardian ist exzellent. Besonders Nr. 7: Use regional dialect, patois, sparingly. Once you start spelling words in dialogue phonetically and loading the page with apostrophes, you won’t be able to stop.
Jetzt weiss ich, warum Frau Schenkels (Arztgattin) Tannen so öd sind. Ich hab mir das als Hörbuch angetan und bin lange nicht draufgekommen, warum mir die geniale Monika Bleibtreu irgendwann mächtig auf den Zeiger ging. Und dabei ist die Geschichte wirklich gut.
Regel 7.a: niemals fang den Satz mit dem Adverb an
25. Februar 2010 um 9:45
stadt der blinden hat mich sehr beeindruckt und tut es auch jetzt noch, in der nacherinnerung ausgelöst durch den beitrag, nach jahren. das schriftstellerische herausarbeiten des abblättern vom anerzogenen mäntelchen “kultur” bei reduktion auf primärbedürffnisse des einzelnen menschen ist noch stark vorhanden