Redaktionsgestalten 2

Dienstag, 21. Dezember 2004 um 16:25

Der stille Redakteur im Bayern-Ressort (intern sagten wir nur „in Bayern“, ebenso hieß es „im Sport“, „in der Politik“, „in den Kreisen“), von dem man mir zuraunte, er sei nach einem Rauswurf aus der Bunten bei uns gelandet. Der so seelenwund war, dass er an den kleinsten Hindernissen zu verzweifeln drohte. Ich arbeitete als urlaubsvertretende Springerin hin und wieder mit ihm zusammen und erlebte, wie er minutenlang mit hochgezogenen Schultern und gesenktem Kopf vor seinem Stapel Ticker-Meldungen stand, weil im letzten Moment etwas reingekommen war, das ihm seine Seitenplanung ruinierte. Ich schob ihn sanft zur Seite und schlug mit einigen Klicks am Bildschirm einen Umbau der Seiten vor („dann stellen wir halt das hier runter, daraus machen wir einen Zweispalter, zu dem hier nehmen wir halt nur ein Bild mit, das kürzen wir zur Meldung, das Solobild schieben wir auf morgen“). Er schaute nur kurz auf den Bildschirm, dann starrte er mich an, wie ich hier klickte, da schob, dort löschte: „Sie sind so – – – – frisch und unbefangen.“ Große Augen, lächelnde Fassungslosigkeit: „Sie machen einfach.“
Im darauffolgenden Jahr traf ich ihn, noch weiter nach unten gerutscht, in der Lokalredaktion an.

Oder die Sportredakteure, die nach Ansicht der Feuilletonisten keine echten Journalisten waren (was wiederum die Sportredakteure genau so von den Feuilletonisten dachten), bei denen es immer laut zuging. Die im Hochsommer in Boxer-Shorts und T-Shirt und mit Sauna-Latschen am PC saßen (als einer von ihnen zum Leitenden Redakteur aufstieg, kostete es seine Partnerin, eine Kollegin, viel Mühe ihm klarzumachen, dass er fortan auf diese Kleidung verzichten musste). Die mich beim Vorbeigehen immer und unausweichlich mit „Habedjehre“ grüßten (was ich sonst nur aus Fabrikshallen und von Handwerkern kannte), worauf ich jedesmal trotzig „Küssdihand“ antwortete.

die Kaltmamsell

1 Kommentar zu „Redaktionsgestalten 2“

  1. baehr meint:

    Erinnert mich ganz dunkel an lange vergangene Zeiten in den Hallen einer deutschen Fernsehzeitschrift. Nur, dass die Rolle, die hier die Sportredaktuere spielen, von den beiden Jungs, die Videogames testeten, ausgefüllt wurde…
    Beobachtenswert, diese Gemengelagen, die sich ja aus denwirklich allerunterschiedlichsten Menschen zusammenstückeln – ich glaube, kaum eine Berufsgruppe (und daher auch kaum Arbeitsteams) ist in sich so unterschiedlich, so von irrem Selbsthass benebelt und kann miteinander sowenig anfangen wie die der Journalisten. Wobei ich mir natürlich alle Zahnärzte sich fröhlich mit Prosecco zuprostend auf Segelyachten vorstelle.

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