Journal Mittwoch, 7. Juli 2021 – Einsatz als Schöffin, ein wenig Hintergrund

Donnerstag, 8. Juli 2021 um 6:47

Richtig tief geschlafen: Nur einmal nachts richtig aufgewacht und einmal ein bisschen, als ich Fußballfangehupe hörte. Der Wecker riss mich in die Desorientiertheit.

Da ich am frühen Vormittag einen Einsatz als Schöffin hatte, wollte ich mit dem Fahrrad in die Arbeit fahren – doch die Regennacht und weiterhin angekündigter Regen verunsicherten mich. Ich schlüpfte in eine Jeansjacke als Regenschutz und radelte los – ins Büro schaffte ich es schon mal trocken. Dort wichtigste Handgriffe, dann radelte ich unter dunkelgrauen Wolken weiter zum Amtsgericht. Wieder blieb ich trocken.

Die Verhandlung war diesmal ein vom Landgericht nach unten gereichter Fall: Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. Der Richter überließ das Maskentragen allen selbst, es wurde regelmäßig gelüftet, auch wegen allgemeiner Schwülheit. Wichtigster Lerninhalt der Verhandlung für mich: Mit einem halben Kilo Gras im Rucksack wirklich, wirklich nur bei Grün über die Ampeln radeln! Außerdem hörte ich die längsten und detailliertesten Plädoyers meines bisherigen Schöffinnendiensts; sie ordneten das Geschehen der vorherigen drei Stunden fundamental unterschiedlich ein (wieder ein gutes Beispiel für framing).

Die Sitzung dauerte dann doch überraschend lang, erst kurz nach eins kam ich aus dem Gebäude.

Weil darüber anscheinend Unklarheit herrscht: Wie vorbereitet auf die Verhandlung sollte man als Schöffin oder Schöffe sein?
Kurze Antwort: Gar nicht. Auf der Ladung sind lediglich Ort, Zeit und Aktenzeichen angegeben, hier das Beispiel von gestern.

Erst direkt vor der Verhandlung erläutert der Richter oder die Richterin im Richterzimmer den Schöff*innen, worum es gehen wird, und zwar eher knapp und ohne vorzugreifen. Das ganze Bild sollen sich Schöffinnen und Schöffen nämlich auf Basis der Informationen und Eindrücke machen, die sie in der Verhandlung hören und sehen. Alles Beweismaterial wird in der Verhandlung gezeigt, zum Tathergang werden Zeugen*innen befragt. Und die fachlichen Hintergründe erklären unter anderem Gutachten. So habe ich in den bisherigen Verhandlungen viel über Fußballfan-Gewalt gelernt, über Drogenhandel, über Abläufe in Oktoberfest-Bierzelten, über Überwachungskameras.

Und wie sieht es mit juristischer oder Sachkenntnis aus? Auch hier: Eben gerade nicht vorausgesetzt. Schauen wir uns das Schöff*innen-Amt mal genauer an. (Hier die offizielle Seite des Bayerischen Staatsministeriums für Justiz.)
Die Verfassung des Freistaates Bayern bestimmt: „An der Rechtspflege sollen Männer und Frauen aus dem Volke mitwirken.“
Und in der Broschüre von 2017 “Das Schöffenamt in Bayern” wird ausgeführt:

Als Schöffe sind Sie ehrenamtlicher Richter. Sie stehen damit grundsätzlich gleichberechtigt neben dem Berufsrichter. Dass Sie nicht Rechtswissenschaft studiert haben, ist dafür kein Hindernis. Die Mitwirkung juristischer Laien an der Rechtsprechung ist gerade deshalb gewollt, weil ihre Lebens- und Berufserfahrung, ihr vernünftiges Urteil, ihr Gemeinsinn und ihre Bewertungen in die Entscheidungen der Gerichte eingebracht werden sollen.

Wenn Sie also in einer Gerichtsverhandlung erleben, dass eine Schöffin auf Aufforderung der vorsitzenden Richterin (in jedem Schritt wendet sich die Richterin erst an die Schöff*innen, ob sie noch Fragen haben, dann an die Staatsanwaltschaft, dann an die Verteidigung) eine ahnungslose Frage stellt: Das ist kein Faux pas, sondern so vorgesehen.

Im Büro schnelles Mittagessen über der Tastatur: Nektarinen mit Hüttenkäse. Anschließend Arbeitstag. Auf dem Heimweg radelte ich beim Sportverein vorbei: In der MTV-Mitgliederzeitschrift hatte die Aufforderung gestanden, die aktuellen Mitgliederausweise abzuholen, und die Geschäftsstelle hatte gestern länger geöffnet. Doch man musste mich enttäuschen: Die Mitgliederausweise seien noch nicht fertig. Ich versicherte mich, dass ich trotzdem die neu renovierte Fitness-Galerie würde nutzen können (unser heimischer Crosstrainer ist leider wirklich kaputt, wir sind noch unentschieden, ob er einen Nachfolger bekommt – weil es im Gegensatz zur alten Wohnung in der neuen keinen wirklich guten Platz dafür gibt).

Fürs Abendessen war ich zuständig: Der Ernteanteil vergangene Woche hatte Apfelmus enthalten, das bedeutet Kaiserschmarrn. Dahinter passten noch Schokonüsse.

die Kaltmamsell

13 Kommentare zu „Journal Mittwoch, 7. Juli 2021 – Einsatz als Schöffin, ein wenig Hintergrund“

  1. Mareike meint:

    Das mit der roten Ampel erinnert mich an eine Meldung, die ich in der Zeitung gelesen habe: Ein Mann weigerte sich, im Zug einen Mund-Nasen-Schutz anzuziehen, sodass der Bahnmitarbeiter die Polizei rief. Die stellte dann fest, dass der Mann etliche geklaute Handys dabei hatte..

  2. Huflaikhan meint:

    Geschichten, die ich liebe. Kaltmamsell, so gut seit bald 20 Jahren.

  3. Sonni meint:

    Na ja, bei 500g denke ich fast, der Dealer war sowieso unter Beobachtung und man wartete nur auf einen Anlass, mal nachzusehen.

    Grundsätzlich liegt es aber schon nahe: wer sich nicht an Regeln hält, tut das nicht nur einmal nicht.

  4. Nadine meint:

    Bei der Einladung zum Schöffendienst ist mir oben links das “Schöffendienst Erwachsene” aufgefallen. Gibt es Schöffendienste auch bei Kindern oder Jugendlichen oder warum ist das so explizit hervorgehoben?

  5. die Kaltmamsell meint:

    Ja, Nadine: Die Schöffen und Schöffinnen fürs Jugendgericht werden gesondert ausgewählt. Und man bevorzugt dort Menschen mit Erfahrung in Jugendarbeit.

  6. Daniela meint:

    kann man so eine Einladung auch absagen, zb. wegen beruflicher Termine? Und könnten Sie noch ein wenige mehr zur Urteilsfindung erzählen? Begegneten Ihnen da schon Menschen mit besonders großem Geltungsdrang? Sind Sie in der Urteilsfindung genau gelichgestellt oder gibt es eine Verteilung der Stimmverhältnisse?

  7. Nina meint:

    Über Fußball-fange-hupe habe ich jetzt wirklich lange nachdenken müssen.

  8. die Kaltmamsell meint:

    Nein, Daniela, Sie können die Termine nicht absagen. Aber Sie können der Schöffenverwaltung vorher durchgeben, dass sie in bestimmten Zeiträumen durch Reisen verhindert sind, auch durch Geschäftsreisen (das müssen Sie allerdings belegen). So habe ich vor zwei Wochen der Verwaltung meine beiden Urlaubsreisewochen Ende August, Anfang September gemeldet, weil ich da nicht zur Verfügung stehe.

    Die Urteilsfindung findet im Richterzimmer statt und ist geheim. Wie es in der oben verlinkten Broschüre heißt:

    Den Inhalt der Gesetze und Rechtsvorschriften werden Sie in der Regel bei den Berufsrichtern erfragen müssen. An deren Meinung werden Sie sich auch orientieren, wenn es darum geht, wie Gesetze auszulegen sind; allerdings können Sie verlangen, dass Ihnen die Berufsrichter den Inhalt der Gesetze und ihre Rechtsmeinung klar und verständlich darlegen.

    (…)

    Auch über die Rechtsfolgen, auf die erkannt werden soll, ist von Ihnen mitzuentscheiden. Ob jemand zu einer Strafe oder zu einer Maßregel verurteilt wird und wie hoch oder schwer diese bemessen wird, müssen Sie gleichberechtigt mitbestimmen.

  9. Anja meint:

    Vielen Dank für diesen Werbeblock zum Schöffendienst. Als Juristin, die zwischenzeitlich ein anderes Aufgabenfeld gefunden hat, eine kleine Notiz am Rande: Es ist möglich, dass die Schöffen den Berufsrichter überstimmen. Dieser wird das dann in der Regel durch entsprechende Formulierungen zum Ausdruck bringen. Man liest dann zumeist „nach Auffassung der Kammer“ o.ä.

  10. arboretum meint:

    @ Nina: Hihi, sehr schön. Geht mir auch manchmal so.

  11. Rainer meint:

    Hallo Daniela, nachdem ich in der Vorperiode Schöffe am Landgericht war und da auch mitunter emotionale Kapitalverbrechen verhandelt werden kann ich dazu sagen, dass weniger ein Geltungsdrang denn eine mangelnde Neutralität das Problem bei Schöffen sind. Es ist nachvollziehbar, dass zB bei Gewalt gegen Kinder oder ähnliches eine gewisse Voreingenommenheit da ist, das muss man aber wirklich ausblenden, um objektiv ein Urteil fällen zu können. Ich kann Sie aber nur ermuntern, sich freiwillig für den Schöffendienst zu melden, es ist eine Erfahrung fürs Leben.

  12. Nadine meint:

    @Kaltmamsell Danke für die Erklärung :o)

  13. Daniela meint:

    Danke für die Ausführungen auf meine Fragen!

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