Journal Montag, 1. November 2021 – Nägel mit Köpfen und andere Tüchtigkeiten

Dienstag, 2. November 2021 um 6:18

Früh wach gewesen, noch ein Stündchen gedöst.

Die Zitronenschnecken fertiggestellt fürs letzte Gehen vor Backen, berauscht vom Duft der geriebenen Zitronenschale, die diesmal vom Meyer Lemons stammte (haben gerade Saison). Dabei fluchte ich erneut über die kleingemusterten (Terrazzo-artigen) Küchenfliesen, auf denen man keinen verschütteten Zucker, kein Mehl sieht: Das ist vermutlich genau die Absicht, dass er sauber aussieht. Doch wenn ich etwas verschütte, und das tue ich beim Backen ständig in kleinen Mengen, SEHE ICH ES ZUM AUFKEHREN NICHT! Und oft bemerke ich, dass etwas daneben gegangen ist, erst durchs Knirschen unterm Schuh.

Der Tag begann nochmal strahlend und bunt.

Nächste Tüchtigkeit: Unsere 25 Jahre alten Esszimmermöbel verschenken. Wir wollen in der neuen Wohnung einen rechteckigen Esstisch mit passenden Stühlen. Da mich bei dieser Aktion ohnehin am meisten belastete, dass wir dann ja die alten Möbel loswerden müssen, fing ich damit an (nach Absprache mit Herrn Kaltmamsell und nach Rückfrage bei Familie, ob jemand Tisch und Stühle brauchen kann): Nägel mit Köpfen, Tatsachen schaffen etc. etc. Ist ja nicht so, dass wir dann auf dem Boden essen müssten, es gibt für den Übergang zwei Tische zur Auswahl (Küche, Balkon) und genügend einzelne Stühle.

Also fotografierte ich Esstisch- und -stühle ausgiebig.

Währenddessen kam Herr Kaltmamsell vom mehrtägigen Monstertöten heim, erschöpft, aber guten Mutes.

Über den strahlenden Morgen hatten sich bald Wolken geschoben, die Regen brachten. Sport war gestern also kein Isarlauf, sondern ausgiebiges Bauchmuskeltraining.

Nach dem Duschen noch eine Tüchtigkeit (damit hatte ich tatsächlich alle Vorsätze fürs lange Wochenende abgehakt): Wanderstiefel reinigen und einfetten, sie können eingewintert werden.

Jetzt waren die Zitronenschnecken gebacken, mit Guss versehen und ausreichend abgekühlt, um als Frühstück gegessen zu werden. Meine Pflicht gegenüber frischen Hefeschnecken: Mich daran zu überfressen – auch abgehakt.

Ich stellte die Esszimmergarnitur bei ebay Kleinanzeigen ein, bekam sofort Meldungen von Interessierten und verbrachte die nächste Stunde mit der Abstimmung der Abholung (und mit Absagen an die vergeblich anfragenden).

Draußen regnete es ausdauernd und energisch, ich wollte trotzdem in die frische Luft, von der man so viel Gutes hört. Also schnappte ich mir Gummistiefel und Schirm und drehte eine Runde durch die Fußgängerzone. Ein Blick in die Schaufenster ergab, dass die Schuhmode dieses Herbsts/Winters absolut nichts zeigt, was mir gefällt: Es dominieren klobige, kurze Stiefel in Braun oder Schwarz. Zum Glück bin ich versorgt.

Kurz nach meiner Rückkehr kamen schon die Herrschaften, die Tisch und Stühle abholten. Jetzt sitze ich erst mal auf der Balkonbank am Balkontisch, Herr Kaltmamsell gegenüber auf einem Stuhl. Beim Abendessen (ich verwandelte den Rest Linseneintopf in Pastasauce und kochte Mafaldine dazu, außerdem machte ich einen Rest Endivie zu Salat) merkte man aber schon, wie viel weniger Fläche der Balkontisch bietet. Das sollte schnell Druck für die Anschaffung von Ersatz aufbauen.

Das war ein sehr volles langes Wochenende. Hat Spaß gemacht, aber ich freue mich schon auf das nächste mit Entspannung.

§

Am 1. November 1976 eröffnete das erste Frauenhaus in Westberlin. Die taz interviewt dazu die Historikerin Franziska Benkel.
“‘Ehemänner legten sogar Feuer'”.

Wie war die Lage für gewaltbetroffene Frauen bis dahin in der BRD?

Schlecht. Frauen waren strukturell abhängig von Männern. Das erschwerte den Ausstieg aus gewalttätigen Beziehungen deutlich.

Inwiefern?

Ein Ehemann konnte beispielsweise ohne Zustimmung den Job der Ehefrau kündigen. Scheidung war in den 1970er Jahren deutlich schwieriger und die zumeist männlichen Anwälte forderten hohe Summen, um sich der Fälle überhaupt anzunehmen. Für eine Strafanzeige wurden Aussagen von Zeu­g*in­nen verlangt, die es oft nicht gab.

Nahm eine Frau aufgrund der psychischen Belastung Medikamente, konnte das vor Gericht gegen sie verwendet werden. Ehemänner konnten Ehefrauen zwangseinweisen und regelrecht wegsperren lassen. Und schließlich mussten die Frauen fürchten, ihre Kinder zu verlieren. Falls sie es schafften, von zu Hause zu entkommen und die Kinder mitzunehmen, wurde ihnen das vor Gericht oft als Kidnapping ausgelegt. Die Kernfamilie sollte um jeden Preis erhalten werden.

(…)

Es war schon vor der offiziellen Eröffnung überfüllt. Rohre mussten noch verlegt werden, es gab noch keine Möbel. Aber die Frauen, die nicht mehr nach Hause wollten, standen Schlange. Über die feministischen Netzwerke hatte sich herumgesprochen, wo es ist. Und es ging ja schließlich um Soforthilfe, um Schlafplätze.

(…)

Zum ersten Mal wurde an einem massiv überfüllten Frauenhaus sichtbar, was für ein enormes Problem geschlechtsspezifische Gewalt ist. Auf diese Bewegung ist zurückzuführen, dass es heute Frauenhäuser, Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe gibt.

§

Wollen Sie mal sehen, wie Ingwer geeerntet wird? Hier lang zu einem Twitter-Thread.

die Kaltmamsell

13 Kommentare zu „Journal Montag, 1. November 2021 – Nägel mit Köpfen und andere Tüchtigkeiten“

  1. Jürgen meint:

    sind die neuen Stühle und der Tisch denn schon bestellt.??

    sonst kann das ja noch Wochen dauern. Für den Fall würde ich mir im Baumarkt eine rechteckige, beschichtete Platte schneiden lassen und diese von unten mittels Schrauben mit dem Balkontisch verbinden.
    Sonst gibt es bei dem kleinen Tisch – und bei dem leckeren Essen das der Herr Rau meistens zaubert – schlechte Laune…
    VGJH

  2. rum meint:

    ******************KOMMENTAROMAT**********************

    Gerne gelesen

    *******************************************************

  3. Alexandra meint:

    Zumeist männliche Angehörige unserer Elterngeneration beklagen ja gern die Kurzlebigkeit heutiger Ehen. Ich illustriere dann die Alternativlosigkeit der Frauen in früherer Zeit. Meist kommen meine Gesprächspartner dann ins Grübeln – jedenfalls werden sie still.

  4. die Kaltmamsell meint:

    Sie meinen, Jürgen, eine Platte, die ich später wieder loswerden muss? Und für die ich unseren edlen Balkontisch durchlöchern muss?

  5. Croco meint:

    Das ist schon traurig, dass es immer noch Zuflucht geben muss für Teile der Gesellschaft.
    Es gab früher wenig Lebensmodelle für Frauen außerhalb der Ehe.
    Ich kenne kluge Frauen, die damals in den 60ern beschlossen haben, ins Kloster einzutreten und dann eben auf Ordenskosten zu studieren. Innerhalb des Ordens hatten sie dann führende Positionen. Orden betrieben Krankenhäuser, Heime, Schulen. Das war schon was.

  6. die Kaltmamsell meint:

    Noch in den 60er, Croco?! Das ist wirklich bitter. Ich hatte im Hinterkopf, dass Klöster vor allem im Mittelalter und da für Frauen aus wohlhabenden Familien die einzige Möglichkeit boten, selbstbestimmt und intellektuell zu leben. Mir war nicht klar, dass das bis weit ins 20. Jahrhundert so war.

  7. Jürgen meint:

    das war nur so eine Idee – falls es Ihnen auf den Geist geht – an dem Minitisch.
    Wünsche viel Erfolg bei der SCHNELLEN Beschaffung von Ersatzmöbel…

  8. Eva meint:

    Eine meiner Großtanten (die Patentante meiner Mutter) war Diakonisse. Das war nicht ganz so streng wie Kloster, vermute ich mal. Sie war sehr gläubig, von daher war es für sie sicherlich von religiöser Seite aus in Ordnung. Was sie aber zusätzlich hatte, waren besondere Freiheiten wie alleine leben, Autofahren, Jugendarbeit machen (ich vermute, es war so eine Vorläufervariante von Sozialpädagogik mit religiösem Hintergrund).
    Ich bin mir sicher, dass nicht alles Gold war, denn innerhalb des Mutterhauses war sicherlich ein strenges Frauenregiment, aber sie hatte sich wohl einiges außerhalb erkämpft und war in ihrem Tun sehr erfüllt.
    Ja, das sind Zeiten deutlich nach dem Mittelalter, mag man sich schwer vorstellen.
    Liebe Grüße
    Eva

  9. Croco meint:

    Die Frauen waren Kolleginnen. Und ich habe mich gefragt, wie so klugen Frauen eine solchen Weg wählen. Sie waren entweder von einem großen Hof, oder eben Flüchtlinge. Ein Sohn hat den Hof geerbt, die anderen bekamen eine Ausbildung, die Töchter konnten als Magd bleiben oder wurden eben verheiratet auf umliegende Höfe. Da gab es kein Gymnasium.
    So gab es eben die Möglichkeit, auf ein kirchliches Gymnasium zu gehen und dann in den Orden einzutreten. Das wurde akzeptiert.
    Heute gibt t es keinen Nachwuchs mehr und der Orden verkauft seine Schulen und Krankenhäusern

  10. Petra S. meint:

    So, jetzt ist es passiert, ein neues Wort ins Hirn aufgenommen.
    Mafaldine – pädagogisch schlau schon mehrfach präsentiert – alle guten Dinge sind drei, wurde heute laut gelesen, geschrieben, gegoogelt und ich hab mir die Prinzessin Mafaldine vorgestellt.
    Nach meinem Geschmack könnte es auch eine Besucherin des berühmten, kleinen gallischen Dorfes sein.
    Werde ich sie morgen noch zeichnen?
    Das vielleicht nicht, aber wenn mich ein neues Wort sonst zu wenig interessiert, mache ich nur eine grobe Mustererkennung.
    Jetzt kann ich es laut sprechen, yeah!

    Wieso fällt mir jetzt noch diese Geschichte ein von der Tupperdame Frau Manfreda, die mit einem Italiener verheiratet war und sich echt schwer getan hat mit unserem postpubertären Gekicher?

    PS: Ich mag diese Nudelform übrigens sehr und ich hätte das Wort nicht so lange ignorieren dürfen.

  11. Jürgen meint:

    den Tisch, den Ihr abgegeben habt ..- der war wertvoll, das Baumarktmodell vom Balkon – naja …
    mehr sag ich aber jetzt auch nicht dazu..

  12. Alexandra meint:

    Meine Mutter hat ’68 geheiratet. Sie hatte zwar eine abgeschlossene Ausbildung, immerhin – aber um ein eigenes Konto zu eröffnen oder einen Arbeitsvertrag zu unterschreiben, hätte sie immer noch das schriftliche Einverständnis meines Vaters gebraucht. Einmal die Woche zum Sport zu gehen und so am Abend nicht der Familie zur Verfügung zu stehen, kostete sie so viel Überwindung, dass sie es wieder aufgab. So viel zur weiblichen Selbstbestimmung noch bis in die 70er hinein.

  13. Kuchenschwarte meint:

    Fände es auch besser, wenn Sie aufhören würden, anderen Leuten ungefragt deren Möbel zu mansplainen.

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