Der Pippilotta-Effekt
Dienstag, 28. Oktober 2003 um 10:10Diese meine Generation von Frauen hat fast durchwegs in frühem Alter Pippi Langstrumpf gelesen. Und jede halbwegs ernst zu nehmenden Leserin hat den zentralen Konflikt der Pippilotta im Gedächtnis behalten:
Sollte sie später mal Seeräuberkapitän werden oder feine Dame?
Für Seeräuberkapitän sprach: reisen, Geld haben, Abenteuer erleben, unter Freunden sein.
Feine Damen wiederum konnten: wunderbare Hüte und Kleider tragen, lesen, in den Zirkus gehen, sich gebildet unterhalten und schön sein.
Möglicherweise lässt sich mit dieser Zerrissenheit die Situation einer ganzen Frauengeneration erklären. Wie nämlich bereits Pippi erkannte, geht beides zugleich nicht.
Erzogen wurden wir aber zu beidem. Und zwar von Müttern, die bereits vom Bazillus der Frauenbewegung infiziert waren. Ich mache dieser Mütter-Generation keinen großen Vorwurf. Ein paar Sachen hatten sie zumindest kapiert und auch richtig gemacht. Vielleicht versuchten sie ja nur, die Art Mutter zu sein, die sie selbst gerne gehabt hätten.
Einerseits wollten sie uns also den Weg zum Seeräuberkapitänspatent eröffnen:
„Eine Frau kann alles, was ein Mann kann!“
„Nein, Du musst nicht mit Puppen spielen.“
„Wehr dich!“
„Mach dich nie abhängig von einem Mann.“
Aber dann wiederum sollten wir auch eine feine Dame werden:
„Du hattest heute schon über 1000 Kalorien.“
„Setz dich doch nicht so breitbeinig hin.“
„Du könntest so eine hübsche Figur haben.“
„Mach doch mal ein bisschen kleinere Schritte.“
„Also, mit der Figur sollte die nicht auch noch Schokolade essen / weiße enge Hosen tragen / einen Bikini anziehen.“
Eine Freundin antwortet kürzlich auf die Frage, wie ihre Mutter mit ihren Pubertätsnöten zurecht gekommen sei: „Ach, die hatte bloß Angst, dass ich dick werde.“
Eine andere hatte zwar gerade erzählt, sie könne nicht kochen, weil ihre Mutter der Meinung gewesen sei, dass eine moderne Frau das heutzutage nicht können muss. Doch gesteht sie gleich darauf, dass ihre Mutter sie sogar in eine „Laufschule“ für Models geschickt habe, um ihr den angemessenen Gang anzutrainieren.
Und so hadern wir unser ganzes Leben lang mit dem Pippilotta-Konflikt. Wir wollen uns zwar durch unser Frausein nicht beschränken lassen – und rennen dennoch einem übernatürlichen und antiquierten Frauenideal hinterher.
Darunter leiden müssen selbstverständlich auch die Männer. Sie wissen nicht, ob sie sich in die Mannschaft einer Seeräuberkapitänin einreihen sollen (Planken schrubben, Kombüse versorgen, Pferde stehlen) oder einer feinen Dame den Hof machen (Konfekt und Blumen schicken, Wagenschlag aufhalten, Arm reichen). Wir können es ihnen auch nicht sagen.
Ich bitte hiermit alle Töchter-Erziehenden, die nächsten Schritte zu machen. Textideen:
„Eine starke Frau darf auch so aussehen.“
„Wer ein Ziel hat, macht auch große Schritte beim Gehen.“
„Pfeif das doch nochmal.“
„Aber natürlich kann eine Ballett-Tänzerin auch Fußball-Spielen.“
4 Kommentare zu „Der Pippilotta-Effekt“
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28. Oktober 2003 um 11:12
Verdammt wahr! Lyssa – die nie mit Puppen gespielt, aber früh den Sandkasten dominiert hat und Trecker fahren konnte, der besseren Haltung wegen aber trotzdem beim Ballett war und natürlich auch Klavierstunden hatte
28. Oktober 2003 um 11:25
Komisch, diesen Vorwand "Haltung" für Ballettstunden habe ich schon derart oft gehört (selbst verschont geblieben). Gab es da eine Verschwörung der Mütter oder haben die sich bloß in die eigene Tasche gelogen?
28. Oktober 2003 um 12:13
Da ich als klassisches Bauernhof-Kind immer eher in die Kategorie tomboy fiel und das Spielen mit Puppen schon früh verweigert habe, hat sich meine Mutter vermutlich Sorgen um meine weiblichen Anteile gemacht und die Haltung nur vorgeschoben. Gebracht hat es übrigens viel für die Haltung und herzlich wenig für das zart Weibliche.
28. Oktober 2003 um 14:47
Ich als allein erziehende Mutter einer knapp dreijährigen Tochter würde mich über eine Seeräuberbraut freuen. Dann kann ich im zarten Alter von 65 Jahren gemeinsam mit ihr die Weltmeere unsicher machen, mich mit charmanten Piraten schmücken und meine reichlich vorhandene Rente verprassen. Das Beste daran:
Die hohe See ist nicht so kritisch wie die Supermütter an Land.