Journal Sonntag, 18. September 2022 – San Sebastián 3: Laufstrecken aus aller Welt, Monte Urgull, neue baskische Küche

Montag, 19. September 2022 um 8:51

Lang und gut geschlafen (bis auf die letzte Stunde mit unangenehmem Traum).

Milchkaffee über Blogpostfertigstellung, Herzen und Küssen von Herrn Kaltmamsell zu seinem Geburtstag. Nach halb zehn brach ich zu meiner geplanten Laufrunde auf: Ich wollte den Spaziergang vom Samstag nachjoggen, um diese Zeit am Sonntag würde sicher nicht so viel los sein.
Little did I know.

Tatsächlich geriet ich in die totale Rush Hour (auf dem Foto schlecht nachzuvollziehen, weil nicht in Bewegung): Ganz San Sebastián war genau hier genau jetzt am Spazieren, Flanieren, Joggen, Hundegassiführen, ich kam auf der Promenade der Concha kaum voran.

Ein idyllischer Nebenabschnitt.

Voran kam ich natürlich doch mit viel Slalomlaufen und gelegentlichem Auf-der-Stelle-Traben. Wenn ich am Weihnachtsfeiertag an der Croisette von Nizza joggen konnte, schaffte ich auch das. Anfangs war es bei allem Sonnenschein doch zapfig frisch (was die Spazierenden nicht von Hochsommerkleidung abhielt).

Nochmal peine del viento – bei riesigen, großteiligen Skulpturen aus rostigem Eisen denke ich ja immer an einen anderen, woanders lokalen Künstler: Alf Lechner.

Für die fast drei Stunden Spaziergang am Samstag (inklusive Eisdielen-Abstecher) brauchte ich gejoggt eine gute Stunde. Das Laufen selbst lief gut, auch wenn ich den am Vortag dumm angestoßenen und nun blauen rechten Mittelzehen merkte, ein längerer Lauf wäre vermutlich gar nicht klug gewesen.

Auf dem Gehweg der Askatasunaren Hiribidea in San Sebastián entdeckte ich diese 20x20cm-Gedenksteine für ETA-Opfer. Für mich als Deutsche erstmal gewöhnungsbedürftig, weil sie Assoziation mit Stolpersteinen hervorrufen, die eine ganz andere Größenordnung von Verbrechen markieren.

Duschen und Körperpflege, während Herr Kaltmamsell eine Runde Yoga trieb (erinnern Sie mich doch bitte dran, vor der nächsten langen Reise meine Beine mit Wachs enthaaren zu lassen, um mir Rasieren in fremden und unbequemen Umgebungen zu ersparen).

Wir gingen raus auf noch einen café von leche, diesen in einem Bar, in dem sich auf den Tischen breits alkoholische Aperitive zu den Milchkaffee-Tassen gesellten. Der Spanier und die Spanierin haben im Gegensatz zu anderen Mittelmeer-Anrainenden überhaupt kein Problem mit Milch-haltigen Kaffeegetränken bis spät in die Nacht; sie konzentrieren ihren kulinarischen Furor lieber auf gewichtige Fragen wie die, ob in Tortilla Zwiebel gehört oder nicht (selbstverständlich schon, ich komme aus einer Familie von cebollistas).

Frühstück um halb drei: Geburtstagstorte und Honigmelone. Die Torte war ganz anders transportfähig gemacht worden als in Deutschland.

Am Nachmittag zogen wir los zu einem Spaziergang auf den Monte Urgull – dieser war dann wiederum deutlich weniger besucht, als ich an einem sonnigen Sonntag erwartet hatte. Er ist der zentrale Berg in San Sebastían, auf den östlichen Monte Ulia und den ganz westlichen Monte Igueldo wollen wir schon auch noch.

Auf dem Hinweg sahen wir uns die geradezu lächerlich überladen dekorierte Brücke Puente de María Cristina an.

Und guckten Fische im Urumea, die sich immer wieder auf die Seite legten und dann silbern glänzten (kann die jemand identifizieren?).

Auch interessante Vögel sahen wir, die wir nicht kannten (neben den vertrauten Möwen und Kormoranen).

Die Spanier haben’s ja schon sehr mit christlichen Maria Muttergottes, es gibt eine für jede Gelegenheit. Diese malerisch gelegene Basilika ist “Nuestra Señora del Coro” gewidmet.

Einer der vielen Wege hinauf auf den Monte Urgull.

Aussicht mit eben 55 Jahre alt gewordenem Herrn Kaltmamsell.

Friedhof der Engländer, cementerio de los ingleses.

Der Surfistas-Strand Zurriola.

Zurück in der Wohnung Detailplanung des Montags: Wir wollen die erste Wanderung antreten. Für die Anreise zum Start der Runde musste ich Zugtickets kaufen, online ging das nur über die App der spanischen Eisenbahn Renfe. Dazu wiederum musste ich mir dort ein Konto einrichten – und scheiterte an der Fehlermeldung, das Format meiner Telefonnummer stimme nicht. Ich guckte im Web nach einer Lösung, denn wie bei praktisch jedem Online- oder Computerproblem war ich sicher nicht die erste damit. Der Tipp in einem Reiseforum, einfach eine beliebige neunstellige Zahlenfolge einzugeben, funktionierte auch bei mir – SMS-Benachrichtigungen gehörten also nicht zum Service. (Auch dafür ist ja Reisen gut: Damit man merkt, wie gut man es daheim hat.)

Zum Nachtmahl lud ich Herrn Kaltmamsell in ein Restaurant in unserem Viertel ein, das sich laut Empfehlung durch moderne Interpretationen baskischer Küche auszeichnet: Ins Xarma.

Um acht waren wir als früh essende Deutsche die ersten Gäste. Wir entschieden uns für das Degustations-Menü, das die freundliche Bedienung als Zusammenstellung aller signature dishes beschrieben hatte. Den Wein dazu ließ ich uns empfehlen, ohne weitere Erläuterung wurde uns ein Sauvignon Blanc aus Estremadura eingeschenkt: Habla de tí. (Die Informationen entnahm ich dem Etikett.) Schön duftig, mit intensiven Aromen (Himbeer, frische Erbse).

Wir aßen sehr gut, die Empfehlung gebe ich gerne weiter.

Sushi mit den Bestandteilen des berühmtesten Pintxo der Stadt “Gilda”: grüne eingelegte Pepperoni, Sardelle, Olivenölperlen – ganz hervorragend.

Gegrillte Paprika mit Paprikacreme gefüllt und gegrilltem Maniok – holte alles aus diesem Gemüse heraus.

Gazpacho mit einer Couscous-Rolle, Erdbeere, geräucherter Sardine und gehackten schwarzen Oliven – der beste Gazpacho, den ich je hatte (sorry Mama). Und die Kombi mit schwarzen Oliven merke ich mir.

Ravioli gefüllt mit Calamaretti, in eigener Tinte und mit einer Blase voll Zwiebel-Wein-Sud, die wir bitte aufstechen sollten. Mir gefiel besonders der Nudelteig, der eher asiatisch als italienisch war.

Gegrilltes Hähnchen mit Pilzcreme und Senfhonig. Gut, Brathähnchen liebe ich ja.

Zum Nachtisch gab es eine Schokoladenschlange mit Mangoaroma, Erdnusseis, Passionsfrucht. Schokolade ist immer gut, aber wie fast immer wäre mir ein Stück aromatisches, reifes Obst lieber gewesen (ist aber meine ganz persönliche Macke, nur dass sie gerade in Spanien am berechtigtsten ist, wo zumindest früher Obst der Standard-Nachtisch war).

Abschließend ließen wir uns einen Kräuterschnaps Hierbas einschenken: Dieser kam aus Galicien und war sehr gut.

Satt und zufrieden spazierten wir die fünf Minuten zu unserer Wohnung, der tapfere Herr Kaltmamsell begleitete mich auch diesmal zu Fuß in den siebten Stock.

Was mich ein wenig verwundert: Dass so viele von den Restaurants (unterhalb der Sterneklasse), die mir für San Sebastián empfohlen werden, laut Speisekarte schlicht generische spanische Küche servieren, also gegrillten Fisch, Steak, Kottelet mit Beilagen, vielleicht noch geschmorte Backerln. Und das wo ich doch gelernt hatte, dass die spanischen Regionen so stolz sind auf ihre regionalen Spezialitäten. Aber hier sehe ich im Angebot weder besonders Regionales noch Saisonales. Hat sich die hiesige gehobene Küche am End’ genau gegenläufig entwickelt wie die in Deutschland, die sich immer mehr auf Typisches aus der Gegend besinnt? (Im Grunde fast jedes Wirtshaus.) Es muss ja nicht gleich so extrem sein wie im Brightoner Isaac At, das die Food Miles aller Zutaten aufführt.

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Weil Oktoberfest, hier ein Artikel über den Ursprung des Dirndls, wie wir es heute als typisch für weibliches Oktoberfest-Kostüm ansehen:
“Erfundene Tradition
Wie das Dirndl zuerst jüdisch und dann nationalsozialistisch wurde”.

Mittlerweile finde ich erfundene Traditionen völlig ok (das Münchner Stadtmuseum zeigt dazu eine ganze Abteilung). Wenn eine Gruppe sich jahrelang über etwas definiert, sei ein Gericht, eine Kleidung, eine bestimmte Handlung zu einer Jahreszeit oder zu einem Datum – dann ist das Tradition. Seit dem späten 19. Jahrhundert gehört in Bayern dazu, was als “Tracht” bezeichnet wird. Dass das Narrativ drumrum gerne mal Jahrhunderte alte Wurzeln behauptet, ist halt auch Tradition, und Narrative müssen nicht mit historischer Belegbarkeit überein stimmen.

(Ich empfehle zu Dirndl und Tracht auch diesen Twitter-Thread und seine Kommentare mit weiteren Details und Links.)

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Ein Autotest nach meinem Geschmack.

Hier vergleicht jemand, der in Frankreich auf dem Land lebt, zwei Riesenbrummer-Automodelle, die man angeblich braucht, wenn man auf dem Land lebt, mit dem Citroen C15.

Unbedingt auch das abschließend verlinkte YouTube-Video gucken. Ich erinnerte mich liebevoll an die Fahrt zu Studienzeiten zu viert im Citroen 2CV von Frank auf der Autobahn in einem Wintereinbruch, als wir dann doch schweren Herzens all die kämpfenden, schleichenden erwachsenen Autos überholten: Mit seinem Frontantrieb hatte der 2CV aka “Eisschneider” in der Schneeschicht kein Problem. Wir machten aber ganz viele entschuldigende Gesten zu den überholten Fahrern, echt ehrlich.

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Und hier der Drink für den nächsten Sommer: Homöopa-TEA.

die Kaltmamsell

5 Kommentare zu „Journal Sonntag, 18. September 2022 – San Sebastián 3: Laufstrecken aus aller Welt, Monte Urgull, neue baskische Küche“

  1. Croco meint:

    Vielen Dank für die Autovergleich. Pruuuust!
    Herr croco fährt seit ewig Franzosenautos, aus den selben Gründen.
    Sie sehen klein aus, man kommt überall hin, die Werkstatt ist günstig und sie sind beladbar mit allem und jedem. Die Kühe sind toll!
    Die Kuchenverpackung im Übrigen auch. Die kann man sogar nachbauen.

  2. Cornelia meint:

    Die Weine der bodega Habla sind zu empfehlen, wobei der Weißwein der schwächste ist. ich würde den „habla 19“ empfehlen.
    Regional und saisonal, nein, das ist nicht der Trend. Gerade ist der Trend alles auf Holzkohle zu grillen, das große Vorbild ist Victor Arguinzoniz des Etxebarria. Der Name sagt’s, ein Baske. Ansonsten wird fusioniert mit mehr oder wenigem Erfolg. Es werden auf oft Restaurants gehypt die Erwartungen nicht erfüllen (La Viña). Noch viel Spaß beim Entdecken

  3. Alexandra meint:

    Schon ganz schön schön das alles!

    Glückwünsche an Herrn Kaltmamsell!

    Bei den Weißfischen bin ich nicht so bewandert – und die sind uferlos. Ein Angler wäre sicherlich der Richtige dafür.

    Es geht VIELLEICHT Richtung “Rapfen” oder “Nase” – aber keine Gewähr!

  4. Beate meint:

    Alles Gute zum Geburtstag, Herr Kaltmamsell!

  5. Croco meint:

    Man sieht halt bei den Fischchen weder die Schwanzflosse noch die Zeichnung genau. Vielleicht findest Du sie hier.
    http://kosteraarraiak.blogspot.com/p/blog-page.html

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