Journal Sonntag, 4. Dezember 2022 – Neblig trüb

Montag, 5. Dezember 2022 um 6:21

“Neblig trüb” – der Standard-Wettervorhersagenausdruck wurde genau für das gestrige Münchenwetter geprägt.

Erfrischt und munter früh aufgewacht. Nach Morgenkaffee und noch vor Veröffentlichung des Blogposts arbeitete ich an der nächsten Runde Thüringer Weihnachtsstollen weiter.

Um halb elf war ich damit fertig und konnte raus zu meiner Laufrunde. Diesmal war ich wirklich überrascht, wie gut das lockere Traben tat: Bei diesem Wetter hatte ich keine Wirkung erwartet und freute mich umso mehr, dass sich schon nach zehn Minuten die Düsternis über meinem Gemüt lichtete, dass ich leicht und gelassen wurde.

Und das trotz der ärgerlichen Anfahrt per U-Bahn. Da ich die wochenendlichen Behinderung wegen des Umbaus Sendlinger Tor inzwischen kenne, guckte ich extra in der MVG-App nach, wie sie heute aussehen würden: Kaum, es wurden Verbindungen nach Thalkirchen ohne Umsteigen angezeigt – zwar nur alle 20 Minuten, aber das konnte ich ja einrichten. Doch als ich mit abgestempelter Streifenkarte pünktlich am U-Bahn-Gleis stand, lautete die Anzeige: “Pendelverkehr zwischen Odeonsplatz und Goetheplatz alle 15 Minuten”. Statt ungewiss lange zu warten, joggte ich, bereits leicht vergnatzt, zum Goetheplatz.

Auf die Rückfahrt musste ich 15 Minuten warten, auch hier stimmten die Abfahrtzeiten der App nicht, ich begann vom Sport verschwitzt zu frösteln. Hätte ich diese Informationen vorher gehabt, wäre meine Wahl sicher auf eine andere Laufstrecke gefallen. Eine, bei der nicht 1:40 Stunden Lauf netto einen Ausflug von fast drei Stunden brutto nach sich zogen.

Denn das ist mittlerweile der Hauptgrund, aus dem ich so lange Strecken laufe. In San Sebastián merkte ich, wie viel besser es mir tut, öfter, dafür aber nur eine gute Stunde zu laufen: Ich hatte danach praktisch keine Beschwerden – konnte aber halt fast gleich von der Haustür aus loslaufen. Doch wenn zu meiner Strecke eine halbe Stunde Anreise gehört, soll sie sich auch lohnen: Ich laufe mindestens anderthalb Stunden, bezahle dafür mit ein bis zwei Tagen (mittleren bis leichten) Schmerzen in der Achillessehne und/oder Oberschenkelrückseite und im Kreuz.

Zum Frühstück um halb drei (Semmeln hatte ich in Thalkirchen gekauft) musste ich bereits wieder das Licht anschalten: Es gab zwei Semmeln mit Marmelade, zwei Orangen.

Kristine Bilkau, Nebenan ausgelesen. Das Buch gefiel mir anfangs erleichternd gut, mich interessierte das norddeutsche Einfamilienhausleben, die Personen darin kamen mir nah. Dann allerdings dominierte das Thema Fortpflanzungswunsch immer mehr, entwickelte sich zum Thema unerfüllter Fortpflanzungswunsch – und ich musste wieder an die vielen Menschen denken, die sich nicht für Essen interessieren und wie sie sich anstrengen müssen, die ständigen Fotos von Mahlzeiten und Lebensmitteln aus ihren Internet-Kanälen zu filtern, weil sie mit diesen halt wirklich, wirklich, wirklich nichts anfangen können. Im letzten Viertel kriegte mich der Roman aber wieder, die Autorin merke ich mir. Unter anderem begrüßte ich sehr, dass fast alle angefangenen Erzählfäden (verschwundene Nachbarsfamilie, Fortpflanzung, immer gebrechlichere alte Tante, anonyme Drohbriefe) offen blieben.

Ich hätte Lust auf eine Runde Yoga gehabt, doch einige Stellen meines Körpers (siehe oben) signalisierten mir: Besser nicht. (Vielleicht verstehe ich meinen Körper irgendwann doch noch.)

Zum Nachtmahl wurde ich wieder luxusverwöhnt: Herr Kaltmamsell servierte Boeuf Bourguignon nach dem durch und durch durchdachten Rezept von Astrid Paul (das ich ihm unauffällig über Twitter-DM zugesteckt hatte). Der Herr hatte sich nahezu sklavisch an die Vorgaben gehalten, ich durfte den burgundischen Kochwein probieren – Pinot noir mag ich wirklich.

Das Ergebnis schmeckte mir ausgezeichnet. Dazu gab es ein Glas Lemberger, Nachtisch Schokolade. Dann stolperten wir im Fernsehen auch noch über den Film Last Christmas, sehr schön zum Nebenher-Laufenlassen.

§

Ellen Barry in der New York Times zu neuer Forschung über zwanghaftes Lügen. Mit einem Protagonisten, der die Flucht nach vorn angetreten hat, um nicht im Suizid zu enden.
“Can This Man Stop Lying?”

Psychiatry, they argue, has long misidentified this subset of patients. Rather than “dark, exploitative, calculating monsters,” they argue, pathological liars are “often suffering from their own behavior and unable to change on their own.”

(…)

These liars were, as a whole, needy and eager for social approval. When their lies were discovered, they lost friends or jobs, which was painful. One thing they did not have, for the most part, was criminal history or legal problems. On the contrary, many were plagued by guilt and remorse. “I know my lying is toxic, and I am trying to get help,” one said.

(…)

This was a common observation among researchers who have spent time with prolific liars: That it was difficult to build functioning relationships.

“You can’t trust them, but you find yourself getting sucked into trusting them because, otherwise, you can’t talk to them,” said Timothy R. Levine, a professor at the University of Alabama Birmingham who has published widely on deception.

“Once you can’t take people at their word, communication loses all its functionality, and you get stuck in this horrible place,” he said. “It puts you in this untenable situation.”

(…)

This fall, Mr. Massimine made his first tentative re-entry into the public eye, publishing a column in Newsweek that attempted to explain his lying.

“As part of my diagnosis, when I am in mental distress, I create fabrications to help build myself up, since that self-esteem by itself doesn’t exist,” he wrote. “I compensated in the only way I knew how to: I created my own reality, and eventually that spilled into my work.”

(…)

The diagnosis will not resolve this problem. For much of recorded history, lying has been counted among the gravest of human acts.

This is not because of the damage done by particular lies, but because of what lying does to relationships. To depend on a liar sets you on queasy, uncertain ground, like putting weight on an ankle you know is broken.

via @katzentratschen

§

Praxishilfe von den Öffentlich Rechtlichen:
“Klatschen im klassischen Konzert – so geht’s”.

via @Croco

die Kaltmamsell

10 Kommentare zu „Journal Sonntag, 4. Dezember 2022 – Neblig trüb“

  1. Sonni meint:

    Ach, danke, ein rundum lebenspraktischer Post – Rezept, Lektürehinweis, Umgang mit pathologischen Lügnern …. das kann ich alles direkt in meinem Alltag umsetzen. :-)
    Zum Laufen von mir im Gegenzug auch ein Hinweis aus der Praxis: zur Erhaltung von Herz-Kreislaufgesundheit und Fitness werden heutzutage Läufe von nicht mehr als 5 km und auf federndem Untergrund empfohlen, alles andere führe zu unnötiger Belastung und Verschleiß. Zwecks höheren Fitnesseffekts werden dann eher Zwischensprints o.ä. empfohlen.

  2. Christine meint:

    Auch wenn ich eigentlich mitten in einer westdeutschen Großstadt wohne, so habe ich das Glück, direkt an der Haustür mit meinen Laufrunden beginnen zu können. Ich denke, dass ich so viel und gerne laufe, weil der Aufwand so geringt ist. Wenn ich mich vorher noch ins Auto/Bus/Fahrrad setzen müsste, dann würde es weniger tun. Und das Beste am Laufen ist die heiße Dusche direkt danach.

    Wobei ich in den vergangenen Jahren festgestellt habe, dass ich am liebsten auf asphaltierten Wegen laufe. Wenigsten gern auf Pflaster (weil es zu hart ist und weil ich immer Angst habe, an Unebenheiten zu stolpern).

  3. die Kaltmamsell meint:

    Woraus schließen Sie, Sonni, dass es mir bei sportlicher Bewegung um “Erhaltung von Herz-Kreislaufgesundheit und Fitness” geht?

    Ist bei mir genau umgekehrt, Christine: Am liebstem laufe ich zwar auf federnden Waldwegen, aber fast am wenigsten gern auf Asphalt – die Anstrengung um Balance auf etwas (!) unebenem Untergrund macht mir besonders Spaß.

  4. kecks meint:

    In der Stadt hilft es sehr, beim Laufen nicht auf dem Beton der Münchner Gehwege mit ihren Platten (null Federung) sondern auf Asphalt (ziemlich viel Federung) zu bleiben.

  5. Pippilotta meint:

    S: “Zur Erhaltung von Herz-Kreislaufgesundheit und Fitness werden heutzutage Läufe von nicht mehr als 5 km und auf federndem Untergrund empfohlen, alles andere führe zu unnötiger Belastung und Verschleiß.”

    K: “Woraus schließen Sie, Sonni, dass es mir bei sportlicher Bewegung um “Erhaltung von Herz-Kreislaufgesundheit und Fitness” geht?”

    Sie möchten also nicht Ihre Gesundheit erhalten, sondern bevorzugen unnötige Belastung und Verschleiß?

  6. die Kaltmamsell meint:

    Kommentar wieder gelöscht.

  7. Sonni meint:

    Das schließe ich aus gar nichts. Nur die beschriebenen Beschwerden lassen auf Überlastung schließen, die für den Trainingseffekt nicht nötig wäre. Für das Laufen möglichst weiter Strecken natürlich schon.

  8. Frau Irgendwas ist immer meint:

    Wow, schon lange bewundere ich Herrn Kaltmamsells Kochkünste, auch das er so oft Wunschessen zaubert, das hier sieht wirklich Hammer aus!
    Herr Irgendwas ist immer ist leider kochtechnisch nicht sooo begabt, aber er ordnet nach meinen Kochexplosionen in unserer Miniküche das Chaos dort ohne zu klagen und – tada – er bügelt! *danke Schwiegermutter*

  9. Alexandra meint:

    Unebene Strecken trainieren die Koordination – jedenfalls meine. Ist ein Aspekt, finde ich, der berücksichtigt werden kann oder auch nicht.

    Krasser Scheiß ist für mich, meine “Hausstrecke” andersherum zu laufen, ab und an. Nie bin ich so geschlaucht wie dann – trotz überwiegend ebenem Niveau übrigens. Wahrscheinlich auch so ein Koordinationsding …

  10. Neeva meint:

    Mir war bisher nicht bewusst, dass Asphalt federt. Aber vermutlich sollte ich da keinen Wald- oder Moorboden vor Augen (vor Bewegungsgedächtnis?) haben.

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