Journal Freitag, 9. Dezember 2022 – Von Schnee bis Rakija

Samstag, 10. Dezember 2022 um 7:58

Start in den Tag mit Freude auf den Freitagabend, der Donnerstag hatte sich bis zum Schlafengehen gehetzt angefühlt – und ins Bett war ich (für meine Verhältnisse) so spät gekommen, dass ich nicht mehr so viel Romanlesen konnte, wie ich gerne hätte.

Allerdickster Pullover und dicke Socken in Stiefeln: Im Büro war mir immer wieder warm inkl. warme Hände, doch es handelte sich jedesmal um eine vorübergehende Entspannung. Vorm Bürofenster Dezember-düsterer Himmel, am frühen Nachmittag die ersten ernsthaften Schneeflocken dieses Winters, klein und beharrlich. Erst gegen (frühen, freitäglichen) Feierabend blieb der Schnee ein wenig auf Bäumen und Dächern liegen.
Doch jeder Blick in diese scheinhelle Dunkelheit erinnert mich lediglich daran, dass das jetzt die nächsten vier Monate so bleibt.

Mittags gab es Apfel, Orangen, Dickmilch, Banane.

Ein wenig misstrauisch macht mich, dass mich der Dezember noch nicht würgt. Ja, hin und wieder kommen Erinnerungen, doch keine runterziehenden. Gestern dachte ich bei einem bestimmten Geruch an die Küche meiner polnischen Oma. Wenn ich als Kind bei ihr zur Übernachtung abgegeben wurde, z.B. weil meine Eltern zu einem Fest eingeladen waren, selbst eine Party veranstalteten oder zum Tanzen in die Ingolstädter Hochalm gingen, gab es in meiner Erinnerung abends Schinkenwurst-Semmel: Eine glatte Semmel (die hieß so, hier ein Beispielfoto), die so hoch war, dass sie zweimal durchgeschnitten wurde, darauf jeweils dick Butter und Schinkenwurst. Klassisch dazu Schwarztee, polnisch mit Zitrone, doch da muss meine Erinnerung trügen: Man hätte doch einem Kind nicht abends schwarzen Tee gegeben? (Andererseits holte sich mein sechs Jahre jüngerer Bruder als Kind seinen ersten Rausch, weil er von dieser Oma Cognacbohnen bekam – die sie als ganz normale Süßigkeiten eingestuft hatte, “was zu Lecke”. Meine Mutter bekam einen sehr blassen, kodderigen Buben zurück.)

Heim ging ich in mitteldichtem Schneefall über ein paar Besorgungen: Abendessen und Weihnachtliches.

Zu Hause erst mal Yoga, eine 15-Minuten-Folge ohne Längen, die gefiel mir.

Erste Handgriffe fürs Brotbacken am Samstag (Sauerteig, Vorteig). Das Abendessen bereitete ich zusammen mit Herrn Kaltmamsell zu: Er kochte syrische Linsensuppe, von mir kamen Artischocken mit Knoblauchmajo. Die restlichen Orangen aus der Crowdfarming-Kiste (10 Kilo sind echt viel) wurden ausgepresst die Basis des Aperitifs Tequila Sunrise.

Köstliche Suppe, aber mei: Linsensuppe, auch aus roten Linsen, sieht halt so aus, ich habe nicht extra fürs Foto noch ein dekoratives Gewürzchen oder Kräutlein drübergestreut, wir sind ja hier nicht bei instagram.

Eine herrlich fleischige Artischocke, sie machte richtig satt. Dazu hatte ich uns eine Flasche toskanischen Vermentino aufgemacht.

Zum Nachtisch schnitten wir einen Panettone vom Eataly an, einen mit Orange und Schokolade. Wir waren uns einig, dass die Schokoladenstücke zu sehr den Geschmack dominierten, der nächste wird wieder ein klassischer (nach dem ich beim jüngsten Einkauf den ganzen Laden absuchen musste, angeboten wurden vor allem Sondersorten).

Und dann gab’s noch ein Schnapserl. Ich hatte schon mal von einer kroatischen Kollegin Selbstgebrannten aus ihrer Familie geschenkt bekommen, der mir ausgezeichnet schmeckte. Als kürzlich die Kolumne “Getränkemarkt” des SZ-Magazins Rakija behandelte (“Befehl vom Drink-Sergeant”), legte ich ihr den Artikel auf den Schreibtisch. Und bekam daraufhin wieder eine Flasche, versehen mit einer für mich als Korrekturleserin der Abteilung zentralen Korrektur des Artikels.

Wir heulten einander etwas zu schiefen Eindeutschungen vor, ich steuerte Chorizo (DER) und Gazpacho (DER) bei. Diese Rakija schmeckte ganz hervorragend. Und dann mussten wir schnell ins Bett.

die Kaltmamsell

22 Kommentare zu „Journal Freitag, 9. Dezember 2022 – Von Schnee bis Rakija“

  1. Die Toni meint:

    In meiner Kindheit in den 70ern gab’s immer Schwarztee zum Abendbrot, auch für uns Kinder (bessarabische Wurzeln). Ich kann mich gar nicht daran erinnern, dass es auch Wasser gegeben hätte. Aber damals haben Eltern ja auch im Auto geraucht.

  2. Madame Graphisme meint:

    Schwarztee zu jeder Tageszeit ist etwas, das meine Großeltern mir auch gegeben haben. Und zwar so stark, dass der (kalte. Es war immer abgekühlter Tee, der in einer Kanne zur Selbstbedienung in der Küche stand) Tee eine schillernde Haut hatte (zumindest in meiner Erinnerung. Wer weiß, was das wirklich war!).
    Auch heute noch trinke ich koffeinhaltige Getränke jedweder Stärke zu jeder Tageszeit ohne Schlafprobleme. Aber das ist wohl nur Glück in der Genlotterie.

  3. Chris meint:

    Schwarzen Tee gab’s auch in meiner Familie als Standardgetränk zum Abendessen, und der kleine Chris durfte davon soviel trinken, wie er wollte. War ja kein Kaffee.

  4. mareibianke meint:

    Auch ich, aufgewachsen in Norddeutschland im ostfriesischen Einflussbreich, habe schon als Kind regelmäßig Schwarztee getrunken. Auch Kaffee gab es für uns Kinder schon relativ früh. Und auch ich kann Kaffee und Tee zu jeder Tageszeit trinken und dennoch gut schlafen.

  5. Ruth P. meint:

    Tee gab es bei uns auch zum Abendessen. Ab und zu gemischt mit Kräutertee, ich trinke heute noch abends Tee. Und gab es auch meinen Kindern bei Oma und Opa Ferien. Und dachte nie an Koffein.

  6. Der Bruder meint:

    Erinnerung an die Cognacbohnen: ja (lecker). Erinnerung an den Rausch: nein. Macht das Sinn?

  7. Bika meint:

    Zur Vermeidung von allgemeinem Ungemach (wie z.B. die angesprochenen Artikelfehler bei der Eindeutschung) plädiere ich schon seit längerem für die Verwendung des schönen Berliner dit anstelle von das, die, der. :)

  8. Philine meint:

    Beim Polterabend meiner Cousine gab es die damals sehr beliebte Bowle mit vielen Früchten drin. Da ich mit 10 Jahren für Alkohol natürlich noch viel zu jung war, machte ich mich an die, von den Erwachsenen übrig gebliebenen Früchte. Während der kirchlichen Trauung am folgenden Tag, musste meine Grossmutter mit mir elenden, kotterigen und käsigen Kind die Kirche verlassen. Der herbeigerufene Arzt meinte dann nur: Desch Kind hat a Räuschle. Lasset es ausschlafe, desch goot dann widdr.

  9. Alexandra meint:

    In weniger als zwei Wochen beginnt die Dunkelheit, wieder kürzer zu dauern.

  10. die Kaltmamsell meint:

    Meiner Erinnerung nach (sehr unzuverlässig), Bruder, warst du da noch nicht mal in der Schule.

    Sehr schöne Geschichte, Philine, wir bekamen als Kinder immer Früchte aus dem Rumtopf ab – aber nicht den süßen Rum.

  11. Ina meint:

    Beim Lesen des Beitrags hatte ich schon eine ähnliche Geschichte im Kopf, mein angeheirateter Onkel hat sich als Kind auch einmal das Obst aus der Bowle zu Gemüte geführt. Sogar mit Erlaubnis der Mutter, die meinte trinken dürfe er nichts, weil Alkohol, aber gerne das Obst essen. Unglaublich eigentlich, dieser Gedanke mit dem Obst.

  12. Ina meint:

    Oh ja, Rumtopf hat meine Mutter in meiner Kindheit auch immer selbst gemacht (ohne dass ich etwas abbekommen hätte). Ob das heute noch jemand macht? Ich kenne niemand.

  13. die Kaltmamsell meint:

    Eine trügerische Rechnung, Alexandra: Erst in vier Wochen sind die Tage länger als jetzt.

  14. Sandra meint:

    Ich kenne zumindest ein Paar, Mitte 40. Die leben aber auch nach der Philosophie, halbe Alkohol-Flaschen würden schlecht. Fällt also wohl unter Resteverwertung. Ein Glück für mich, davon profitieren zu dürfen.

  15. Herzbruch meint:

    Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich in der Grundschule schon Kaffee Latte (hieß damals noch anders) zum Frühstück getrunken. Ich glaube, die Welt war damals adultozentrierter.

  16. Alexandra meint:

    Vier Wochen sind immerhin nicht vier Monate … aber jenseits der Haarspalterei – es wird absehbar besser werden. Das ist ja nicht nix. ;)

  17. Alexandra meint:

    Ich bekam ab dem Alter von ungefähr zehn, zwölf Jahren schultäglich einen “Schuss” starken Kaffees in die häusliche Frühstücksmilch. Wegen meines sehr niedrigen Blutdrucks hatte der Kinderarzt das empfohlen.

  18. Neli meint:

    Bei Familienfeiern in den 70ern gab es für uns Kinder immer einen Waffelbecher mit etwas Eierlikör zum Anstoßen. Und etwas Obst aus der Bowle durften wir auch naschen ( meistens Dosenmandarinen aus dem Westpaket.
    Kaffee habe ich an meinem Jugendweihetag das erste Mal getrunken, ich fand es nicht so toll. Seit einigen Jahren verzichte ich ganz darauf, trinke lieber “Muckefuck” (Im Nu – ostdeutscher Getreidekaffee) oder Tee.Tee war und ist abends fast immer auf dem Tisch.

  19. Joriste meint:

    Bei uns gab es sehr viel Essen mit Alkohol. Selbstverständlich kenne ich den legendären Blogpost von Frau Brüllen zum verkochten Alkohol. Aber ich spreche von Feuerwehrkuchen (mit Eierlikörsee) Weinschaumcreme zu Dampfnudeln und Kuchenteig mit Rum, der mir beim Schüsselauslecken besonders gut schmeckte. Ich habe sehr früh viel Alkohol konsumiert ohne dass das irgendwie problematisch schien. Möchte lieber keine Rückschlüssel auf meinen Alkoholkonsum heute ziehen.

  20. FrauZimt meint:

    Mama machte zuweilen die gute Schwarzwälder Kirschtorte, bei der der fertig gebackene Tortenboden kräftig mit Kirschwasser durchtränkt wurde. Da war auch nie die Rede davon, das wir Kinder davon nichts dürften. Und bei der aus Berlin stammenden Oma gabs Berliner Weiße mit Himbeersirup, das kam für mich damals als eine Art Limogetränk daher, das es sich wortwörtlich um Bier handelte wurde mir erst Jahre später klar. Irgendwie war man damals bei dem Thema ja reichlich unbefangen…

  21. Drochwallerin meint:

    Schnapsbohnen und Mon Chérie bekam mein Vater oft geschenkt und verteilte sie dann großzügig auch an uns Kinder. Das lief damals nicht unter Alkohol, sondern unter Süßigkeiten.
    Kaffee und Tee kriegte ich auch auf jeden Fall schon im Grundschulalter regelmäßig, ich weiß noch, dass ich mit zehn, elf im Ferienlager vom Geschmack des Ersatz-Kaffees befremdet war und von der Äußerung einer der Betreuerinnen, Bohnenkaffee sei doch nix für Kinder.
    Dampfnudeln und Rostige Ritter gab es auch mit Weinsoße, ach, und der Schokoladenkuchen meiner Oma hatte eine Schoko-Rum-Glasur, von der ich nicht genug kriegen konnte, ich aß immer zuerst das Innere des Kuchens auf, sodass mir am Schluss nur noch das Außenrum mit der Glasur blieb.
    @Ina: Meine Schwester hat diesen Sommer einen Rumtopf angesetzt und ich hoffe auf eine Kostprobe an Weihnachten.

  22. Tine meint:

    In den Feldpostbriefen meiner Großmutter habe ich gelesen, dass der Zweijährige (mein Vater) Kaffee zu trinken bekam, damit er nicht immer einnnässt. so war das ganz früher.

Sie möchten gerne einen Kommentar hinterlassen, scheuen aber die Mühe einer Formulierung? Dann nutzen Sie doch den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein, Sternchen darüber und darunter kennzeichnen den Text als KOMMENTAROMAT-generiert. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken.