Journal Samstag, 25. Februar 2023 – Bonn: Haus der Geschichte und großes Fest
Sonntag, 26. Februar 2023 um 8:46Nachtschlaf gestört durch Kopfschmerzen – nein, nicht der Alkohol, sondern das Eck des Kleiderschranks im Hotelzimmer: Nach dem ersten Klogang bog ich im Dunklen am Ende des Gangs zum Bett, und rannte mit der linken Gesichtsseite voll in die Kante des Kleiderschranks. Das tat weh! Beim zweiten Gang war ich vorsichtiger – und fand heraus, woran das Hindernis lag: Der Schrank steht im türlosen Übergang nicht in Verlängerung zur Wand, sondern 20 Zentimer versetzt. Auch diesmal dachte ich, ich könnte bereits zum Bett abbiegen, dotzte mit der Stirn in den Schrank.
So sieht das trügerische Eck bei Tageslicht aus.
Ich ließ mir Zeit mit Bloggen und Internetlesen: Die Cafés für Frühstückscappuccino öffneten erst um 9:30 Uhr. (Das Zimmer hat sogar eine gut ausgestattete Küche, doch das wusste ich nicht und hatte deshalb weder Cafetera noch Espressopulver dabei.) Auf dem Parkplatz vorm Zimmerfenster wurde Training aufgebaut und dann auch betrieben.
Sah nach Spaß aus.
Dann aber gingen wir raus unter gemischten Wolken am Rhein entlang. Im Park Rheinaue wurde bereits heftig geblüht, in den Uferauen sahen wir verschiedene Gänse, Elstern, sehr laute Sittiche, überm Rhein einen Bussard, von Krähen geneckt, im Rhein unter anderem Kormorane.
Es begann wieder zu regnen, trotz kleinem Schirm waren wir froh um die Einkehrmöglichkeit in einem netten Café beim Bundesrechnungshof.
Eigentlich hatte ich noch eine Runde durch die Innenstadt geplant, doch der windige Regen verdarb mir die Lust darauf. Also kein aktuelles Haribo-Foto. Statt dessen gingen wir gleich zum Haus der Geschichte.
Wir verbrachten über fünf Stunden in dem Museum: Die Ausstellung ist ganz ausgezeichnet strukturiert und befüllt, die Räume sind mit Bedacht und Kreativität genutzt, die Texte einfach und verständlich formuliert, spiegeln den Forschungsstand.
Da ist es also doch: Das P für polnische Zwangsarbeiter*innen, von dem meine polnische Oma erzählte – sie habe es in der Nazizeit als Zwangsarbeiterin in der schwäbischen Landwirtschaft auf ihrer Kleidung tragen müssen. In der KZ-Gedenkstätte Dachau hatte ich es nicht unter den offiziellen Kleidungsabzeichen der diskriminierten Menschengruppen gefunden und angenommen, dass die Erinnerung meiner Oma halt nicht ganz stimmte.
Originalstücke aus dem Bonner Bundestag, die charakteristischen Nieten der Blenden sind mir sehr vertraut aus der Fernsehberichterstattung.
Für den Museumsgarten fehlte uns am Ende die Energie, auch wenn mich der Rückblick auf bundesdeutsche Gartengeschichte interessiert hätte (großartige Idee!).
Das ist ganz klar eine Ausstellung, die sich in erster Linie an Einheimische richtet, schon lange oder noch nicht so lange in Deutschland Einheimische. Herr Kaltmamsell und ich glichen fast jedes Kapitel mit unserer eigenen Familiengeschichte ab oder eigenem Erleben (wir leben halt beide schon seit 55 Jahren in Deutschland und kennen viele Ereignisse als Zeitzeug*innen), erinnerten uns an die Berichterstattung zur Ereigniszeit, an eigene Reaktionen und Verarbeitung. Besonders spannend war für mich die DDR-Geschichte, die bis zur Wiedervereinigung parallel zur BRD-Geschichte gezeigte wurde; sie ist mir als Westlerin natürlich deutlich weniger vertraut.
Je näher die Kapitel an die Gegenwart reichten, desto kürzer wurden sie – darauf fehlt noch der historische Blick, der eine Übersicht und Einordnung ermöglicht. Doch die Ausstellung reicht tatsächlich bis in die Gegenwart, das letzte große Kapitel ist die neue zahlreiche Zuwanderung seit 2015.
Um zwei waren wir für ein Mittagessen ins Museumscafé abgebogen, ich aß einen Salat mit viel Räucherlachs.
Vormittägliche Blüte an der Adenauerallee.
Nachmittägliche Blüte an der Willy-Brandt-Allee. Das Wetter war deutlich freundlicher geworden, aber recht kalt.
Herr Kaltmamsell nahm sich noch Zeit für das Arithmeum (mechanische Rechenmaschinen), ich ging direkt zurück ins Hotel.
Der Abend gehörte dem eigentlichen Anlass der Reise: Im Basecamp feierte eine ganze Familie, was in drei Corona-Jahren nicht groß zu befeiern war, von Geburtstagen über Studienabschlüsse bis berufliche Erfolge. Ich sah liebe Internet-Menschen nach Jahren wieder, trank Radler, aß Salate und Humusse mit Brot, außerdem Pulled Mushrooms in Brottasche (zu viel insgesamt), tanzte – und machte Fotobox-Fotos mit Herrn Kaltmamsell.
Es wurde nach Mitternacht, bis wir ins Bett kamen.
§
Ein wunderschönes und leidenschaftliches Plädoyer:
“PLEASE Blog”.
Starting a blog is not hard. You don’t have to be fancy-schmancy. Content matters 9/10, design is the remaining one tenth. Sure, strive to have it loaded within a reasonable time, but most blog templates do that for you.
(…)
Don’t wait for the viral piece
Just write. Write about your day. Write about joys and sorrows. Be political, social, medical, artsy. Give the world those pictures you took, or those poems you wrote. Tell us in the Fediverse when you do, and we’ll become fast fans of your writing. Because personal blogging is not about clickbait or numbers, it is about parasocial and real relationships, about the feeling that we’re not alone out there, in the world.
Blogs are more personal, more anchored to the realities of the world around that screen.
(…)
Blog in a way that is indestructible. Iron Blogging. Own your content, both digitally and personally. The cost is minimal, free more often than not (cost of a domain excluded, .md cost me $30 for five years), but the benefits are wonderful.
Don’t wait for the Pulitzer piece. Tell me about your ride to work, about your food, what flavor ice cream you like. Let me be part of happiness and sadness. Show me, that there is a human being out there that, agree or not, I can relate to.
§
Nachtrag zur Gemüsekrise in UK: Ursache ist nicht nur der Schabernack mit Brexit, sondern auch eine Landwirtschafts- sowie neoliberale Wirtschaftspolitik zum Totlachen. Laut Guardian-Kommentator Jay Rayner können Sie derzeit wunderbar beobachten, wie der Markt Lebensmittelversorgung regelt.
“You can blame the weather and Brexit. But there’s more to the UK’s food supply crisis”.
The problem is that growing salad vegetables in the UK has been made economically unviable, both by those shortsighted supermarkets and in large part by Brexit. Growers in the Lea Valley around London, regarded as Britain’s salad bowl, have started applying to knock down dozens of acres of greenhouses so the land can be used more profitably for houses. As the Lea Valley Growers Association has explained, the post-Brexit seasonal workers’ scheme only granted six-month visas when they were needed for nine months. It meant bringing in two cohorts and double the training. That means extra costs which are not being met by supermarkets.
Then came the energy crisis. The government chose not to subsidise the energy costs of growers. Last week APS group, one of the largest tomato growers in the country, admitted they had left some of their glasshouses unplanted for the first time in almost 75 years.
die Kaltmamsell
3 Kommentare zu „Journal Samstag, 25. Februar 2023 – Bonn: Haus der Geschichte und großes Fest“
Sie möchten gerne einen Kommentar hinterlassen, scheuen aber die Mühe einer Formulierung? Dann nutzen Sie doch den KOMMENTAROMAT! Ein Klick auf einen der Buttons unten trägt automatisch die gewählte Reaktion in das Kommentarfeld ein, Sternchen darüber und darunter kennzeichnen den Text als KOMMENTAROMAT-generiert. Sie müssen nur noch die Pflichtfelder "Name" und "E-Mail" ausfüllen und den Kommentar abschicken.
26. Februar 2023 um 16:44
„Don’t wait for the Pulitzer piece“.
Der Aufruf zum Bloggen ist so gut und sollte einfach wieder Mut machen, alles rauszuhauen, was einen den Tag über beschäftigt.
So viele haben aufgehört zu bloggen, das ist so schade.
Herr croco zum Beispiel ist froh, dass ich blogge.
So muss er sich nicht immer alles anhören, war mir im Kopf rumgeht.
Und es blüht im Tal! Wir sind noch weit weg davon.
26. Februar 2023 um 18:43
Ich bin wirklich neidisch wegen der Oma, DIE GESPROCHEN HAT! Meine taten es beide nicht, auch auf Nachfrage nicht.
Ich denke, ich muss das respektieren, was weiß ich schließlich über ihre Traumata und die ihrer Männer, meiner Großväter. Der eine war neun Jahre alt, als der Erste Weltkrieg ausbrach und musste im Zweiten an die Front …
Aber eben: Was weiß ich? Nix! Und das fühlt sich sehr abgeschnitten an.
27. Februar 2023 um 10:39
Das Haus der Geschichte in Leipzig ist übrigens auch sehr empfehlenswert :)