Geht’s ma endlich weg mit eurer Biologie!
Montag, 2. Mai 2005 um 17:27Diesmal holt sich die Süddeutsche die aktuell modische Populärwissenschaftssau in die Seiten, die durch die Redaktionsbüros getrieben wird:
„Glücklich in einer Beziehung und doch vom Verlangen nach Abenteuern geplagt: Wir sind Getriebene unserer Biologie.“
Nein, ich glaube NICHT, dass alle Menschen Sklaven ihrer Biologie sind. Deutlichster Beweis sind die vielen Menschen, die sich nicht fortpflanzen wollen: Antibiologischer geht’s nicht.
Da danke ich doch mal dem Joschua, der freundlicherweise für mich Bernhard liest und kürzlich zitierte:
Natürlich ist alles ein Milderungsgrund, sage ich. Die Leute können alles angeben als Milderungsgrund, sage ich. [..] Die armen Teufel können sagen vor Gericht, sie seien arm gewesen, die Reichen, reich. Alle mit gleichem Recht. Wie die Dummen, daß sie zeitlebens dumm gewesen sind. Die einen geben an, sie sind zeitlebens benachteiligt gewesen, die andern geben an, zeitlebens bevorzugt. Alles ist ein Milderungsgrund.
Und die Biologie soll jetzt der allermildernste Milderungsgrund für alle sein.
die Kaltmamsell12 Kommentare zu „Geht’s ma endlich weg mit eurer Biologie!“
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2. Mai 2005 um 19:04
Wieso Sklave? Siehst Du dich auch als Sklave deiner Lunge, weil Du Sauerstoff zum Leben brauchst, oder als Sklave deiner Geschmack- und Geruchssnerven, weil Du womöglich alles meidest, was eklig schmeckt oder riecht? Mir geht dieses dauernde Gezerre und Negiere von allem was Ursprung und Natur, was Biologie ist, gehörig auf den Zeiger. Anstatt sich mit unserer Natur zu arrangieren, müssen unbedingt andere, bessere Welten geschaffen werden. Wohin das geführt hat und immer noch führt, sehen Leute die sehen wollen schon seit Jahrhunderten wenn nicht Jahrtausenden. Aber vielleicht willst Du kein Sklave deiner Augen und deines Verstandes sein und negierst beide biologischen Sinne?
Sorry, dass ich mich hier echauffiert habe, aber das war wohl der Sinn deines Eintrags – gelle?
3. Mai 2005 um 1:20
@ felix: ? – apropos: Wohin führt das denn seit Jahrhunderten oder Jahrtausenden?
@ kaltmamsell: Aber es ist doch ein kleiner Unterschied zwischen Getriebensein und Sklavesein. Und als Milderungsgrund taugt das biologische Ausweichmanöver natürlich nicht. Überhaupt, was ist denn eigentlich biologisch? Das scheint mir doch sehr eine Erfindung zu sein, eine erkenntnistheoretische Konstruktion oder Krücke. Vor allem hilft sie ja nichts, taugt aber zu reichlich Klimbim.
3. Mai 2005 um 8:37
Ah, die Biologie. Das ist jetzt die neueste Ausrede. In den Siebziger und Achtziger Jahren waren es noch traumatische Kindheitserfahrungen, nach dem Motto: “Ich kann nichts dafür, ich wurde als Kind von meinem Goldhamster gebissen und daher MUSS ich einfach so handeln.” Ich bin der Überzeugung, dass es so etwas wie Eigenverantwortung gibt, und da kann man sich weder mit Kindheitstraumas noch mit “der Biologie” herausreden.
Die Behauptung “Untreue ist natürlich, Monogamie unnatürlich” stimmt so übrigens nicht. Ich besitze seit Jahren Wellensittiche, und habe bereits mehrere Pärchen beobachtet, die in absoluter Treue zusammengeblieben sind (bis einer der Partner gestorben ist). Dabei müßten Wellensittiche noch viel mehr als Menschen von “der Biologie getrieben” sein.
3. Mai 2005 um 8:59
Hm, Kaltmamsell, das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Natürlich reicht es nicht zu sagen, dass etwas biologisch irgendwann mal Sinn gemacht hat, um es weiter moralisch zu rechtfertigen. Aber dass der Mensch eben “nicht mehr ganz Tier, noch nicht ganz Engel” ist, bedeutet, dass unser Verhalten auch biologisch beeinflusst ist. Es geht darum, Gründe zu analysieren, ohne sie automatisch als Entschuldigung gelten zu lassen.
Zum Sklavensein wird vom Interviewten gesagt:
3. Mai 2005 um 9:00
Ups da ist was mit der HTML-Formatierung schief gegangen.
Der Interviewte sagt
3. Mai 2005 um 9:12
Biologie? Flora und Fauna? Zitronensäurezyklus? Es geht wohl eher um das, was im Gehirn passiert => Verliebtsein, Endorphinausschüttung, Adrenalinausschüttung, diese süßen Dinger haben uns nämlich sehr wohl ziemlich im Griff. Das hat gar nichts mit Sklave von irgendwas sein zu tun.
3. Mai 2005 um 10:02
Es sind die Schlussfolgerungen aus Beobachtungen der Biologie, die mich regelmäßig auf die Logik- und Ethikpalme bringen, nicht die Beobachtungen selbst.
Deswegen sehr schön dieser Hinweis:
http://www.ethiker.ch/blog/?p=52
3. Mai 2005 um 12:58
Hihi, Moralbloggen montags. Bei mir immer mittwochs. Ich sage dazu nichts, ich werde von freundlichen Lesern immer auf die Balken in meinem Auge hingewiesen. Dennoch: Mich stört die Bequemlichkeit, die sich aus solchen “wissenschaftlichen Erkenntnissen” ableiten läßt. Sei es “Biologie” oder Sozialisationserfahrungen – wir sind alle “geprägt” und zu nichts in der Lage? Hm.
(Der Backlash des Biologismus ist insofern interessant, als in den späten 80ern/frühen 90ern noch alle Welt vom Cyber-Menschen faselte, der die Beschränkungen des materiellen Körpers bald überwinden – und nur noch Hirn, Information und Denken sein werde…)
3. Mai 2005 um 14:52
Erstens liebe ich Thomas Bernhard und zweitens hab ich Biologie studiert.
Zu erstens, er hat ja die menschlcihe Bereitschaft durschaut, laufend Ausreden zu erfinden für das eigene Unvermögen.
Zu zweitens, wir sind nicht getriebene unserer Biologie, wir sind “Biologie”, weil wir Lebewesen sind. Wir können die Gesetzmäßigkeiten nicht negieren, denen wir unterworfen sind.Das ist noch lange kein “Getrieben sein”. Sonst könnte ich ja auch behaupten, das Leben triebe mich in den Tod, obwohl Sterblichkeit ja ein Naturgesetz ist.Auch das Gehirn als Extraorgan zu sehen,d as mich zweingt, ewtas zu tun, ist schlichtweg unlogisch, da es mich ausmacht, ein Teil von mir ist. Philosophen mögen das natürlich anders sehen….
3. Mai 2005 um 23:12
Pfui,jetzt habe ich mich in Rage geredet und nicht mehr Kontrolle gelesen. Bitte entschuldigt die Rechtschreibfehler.
4. Mai 2005 um 13:25
Es geht hier ja wohl nicht um die Funktionsweise von Augen und Lungen etc., sondern um komplexe Verhaltensmuster, soziale Strukturen etc. Klar ist: Der Mensch hat hier – vielleicht als einzige Spezies? zumindest in der am weitesten gehenden Form – die Freiheit, sich so oder anders zu verhalten, sich über Trieb und Impuls hinwegzusetzen. Womit man dann durchaus die Frage stellen kann, welchen Nutzwert all die “Erkenntnisse” damit haben.
Was mich insbesondere an vielen evolutionsbiologisch orientierten Argumenten stört, ist ihre Beliebigkeit. Letztlich lässt sich damit jede noch so unbedeutende Eigenschaft eines Lebewesens als irgendwann-mal-evolutionswichtig deklarieren (sonst gäbe es sie ja nicht, oder?). Oder nehmen wir an, ein Test findet heraus, dass Frauen am ehesten auf bemuskelte Männer abfahren. Die dazugehörige Begründung: Wer körperlich arbeiten muss und daher mehr Muskeln vorweist, kann Frau und Kinder besser ernähren und beschützen. Nehmen wir an, der Test ergibt, dass Frauen eher auf blasse, nicht so muskulöse Männer stehen. Begründung wäre dann: Wer nicht körperlich arbeiten muss, hat einen höheren Rang in der Gesellschaft und mehr Reichtum und kann daher der Frau und den Kindern eine gesicherte Zukunft bieten. usw. usf.
Aber das ist auch nur eine Mode – in einigen Jahren werden es wieder andere Überhöhungen und Fehlinterpretationen von Detailfakten sein, die das Weltbild bestimmen. (Erinnert sich noch jemand an die Chaostheorie?)
20. November 2007 um 15:36
“Getrieben” zu werden ist ja auch gut, sonst bewegen wir uns immer auf der selben Stelle.
Wenn man allerdings zum Sklaven seiner Triebe wird ist das wohl eher krank. Triebe als biologischen Milderungsgrund zu sehen ist fragwürdig.